Das Gesetz zur Umsetzung der Auflösung der Pflegekammer Niedersachsen, wie es so schön umständlich heißt, ist beschlossen, Ende November werden die Schreibtischschubaden leer und die Türen geschlossen sein. Vor gut drei Wochen hatte der Landtag die Auflösung beschlossen, die zuletzt aus einem Umfrageergebnis resultierte. In der vorgezogenen Evaluation durch die Beraterfirma Kienbaum war gleich zu Beginn die Frage nach dem Fortbestand der Kammer gestellt worden. Rund 15.000 der knapp 80.000 Kammermitglieder beteiligten sich an der Umfrage, und 70,6 Prozent sprachen sich gegen die Kammer aus.


Lesen Sie auch:

Landtag beschließt die Auflösung der Pflegekammer

Pflegekammer: Eine Professorin rechnet mit der Politik ab


Inzwischen lassen sich alle Ergebnisse der umfangreichen Umfrage einsehen, der Bundesverband für freie Kammern (BFFK) hat die kompletten 63 Seiten auf seiner Internetseite veröffentlicht. Das Dokument bietet einen Einblick in das Scheitern einer Institution und zeigt zugleich, wie knallhart die Gegner der Kammer mit ihr ins Gericht gehen. Das lässt sich schon daran ablesen, dass nach der Beantwortung der Frage zum Fortbestand der Pflegekammer für ein Drittel der Befragten die Umfrage damit beendet war. Nur knapp 9600 Pflegekräfte beantworteten auch weitere Fragen, aber auch in dieser Gruppe hatten sich zuvor 59 Prozent gegen die Kammer ausgesprochen.

Pflegekräfte wünschen sich eine Interessenvertretung. Sie können die Bedarfe inhaltlich auch sehr genau bestimmen.

Zugleich wird aus den Ergebnissen deutlich, dass den Pflegekräften viele Themen schwer auf dem Magen liegen und es einer Vertretung bedarf. 56 Prozent der befragten Pflegekräfte halten es für sehr wichtig, dass eine Kammer Projekte zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf auf den Weg bringt, 45 Prozent sehen das Aufgabengebiet „Rechte und Pflichten von Pflegefachkräften“ als sehr wichtig an.

Foto: MB.

Eher unwichtig finden die Befragten die Zertifizierung von Fortbildungen und die Erstellung von pflegefachlichen Gutachten – zum Beispiel für Gerichtsverfahren. „Pflegekräfte wünschen sich eine Interessenvertretung. Sie können die Bedarfe inhaltlich auch sehr genau bestimmen“, meint BFFK-Geschäftsführer Kai Boeddinghaus. Die Kammer ist für ihn aber die falsche Antwort gewesen. Stellt man eine Rangliste der Wichtigkeit von Themen auf, so läge die Verbesserung der Arbeitsbedingungen mit 67 Prozent an der Spitze. Es folgt die Vergütung (64 Prozent) und die Personalbemessung (63 Prozent).

Es scheint das Instrument der Zwangsverkammerung nebst Beitragspflicht zu sein, das die Pflege entzweit.

Die Pflegekammer erscheint 57 Prozent aber nicht als die richtige Institution, diese Themen anzugehen. Gerade einmal ein Fünftel schätzt ihren Nutzen als sehr hoch oder hoch ein. Daraus lässt sich ableiten: Die Pflegekräfte wollen keine Kammer – oder genauer gesagt: eine von ihnen über Beiträge finanzierte Kammer. Denn die Pflegekräfte sehen zwar den Bedarf, wollen aber eine Zwangskammer nicht aus eigener Tasche finanzieren. Im Falle eines Fortbestands der Kammer sprechen sich 83 Prozent der Befragten für eine Kammer ohne Beitragszahlungen aus. „Es scheint das Instrument der Zwangsverkammerung nebst Beitragspflicht zu sein, das die Pflege entzweit“, erklärt Boeddinghaus.

Hinzu komme, dass die Mehrheit der Befragten offensichtlich nicht den Grund dafür erkennen kann, wofür die Beiträge überhaupt gut sein sollen. Die Negativ-Bewertungen ziehen sich wie ein roter Faden durch das Kienbaum-Dokument, etwas mehr als die Hälfte der Befragten steht in klarer Opposition zur Kammer, das wird durch die ganze Umfrage hindurch deutlich. Mehr als 60 Prozent geben der Öffentlichkeitsarbeit der Kammer die Noten „ungenügend“ und „mangelhaft“, fast die Hälfte übt auch scharfe Kritik an der Erreichbarkeit der Kammer-Mitarbeiter.

Nur in einem einzigen Bereich konnte die Kammer überzeugen

Es sei von Anfang an nicht gelungen, den Pflegekräften zu vermitteln, welchen Nutzen die Pflegekammer für sie habe, hatte die Sozialpolitikerin der Grünen, Meta Janssen-Kucz, im April in der Landtagsdebatte gesagt. Noch problematischer ist allerdings, dass die Kammer nicht in der Lage war, diesen möglichen Nutzen ihrerseits in der zugegebenermaßen kurzen Zeit ihres Agierens deutlich zu machen. 57 Prozent der Befragten geben sogar an, die Zufriedenheit habe sich als Kammermitglied über die Zeit verringert. Gerade einmal 5,5 Prozent, also ein verschwindend geringer Anteil, hat die Kammer mit ihrer Arbeit überzeugt und damit die Zufriedenheit erhöht.

Keine massiven Unterschiede gibt es bei der Abstimmung , wenn man zwischen Alter oder Profession der Befragten differenziert. Grundsätzlich standen Jüngere der Kammer etwas aufgeschlossener gegenüber. In der Altersgruppe 18 bis 25 Jahre lehnten 64 Prozent die Kammer ab, bei den 26- bis 35-Jährigen lag der Wert bei 70 Prozent. In den Altersgruppen darüber stimmten mehr als drei Viertel gegen die Kammer, und diese Gruppen waren in der Umfrage auch in der deutlichen Mehrheit. Die breite Mehrheit der Befragten war mindestens seit 20 Jahren im Beruf. Bei einer differenzierten Betrachtung der Tätigkeitsbereiche und Funktionen wird deutlich, dass mit einer Quote von rund 85 Prozent vor allem Altenpfleger in den Heimen oder in der Tages- und Nachtpflege gegen die Kammer eingestellt waren.

Nur in einem einzigen Bereich konnte die Kammer überzeugen.  Bei den lehrenden Pflegekräften, die zum Beispiel in einer Berufsfachschule arbeiten, sprachen sich 72 Prozent für die Kammer aus. Daraus ließe sich schließen: Je entfernter man von der Praxis ist, desto leichter fällt einem die Nähe zu einer Institution wie der Pflegekammer.

Von Martin Brüning