12. Juni 2023 · 
Inneres

Fehlt die Ausschreibung? Datenschützerin Thiel akzeptiert Wahl ihres Nachfolgers nicht

Wie gut das Verhältnis der scheidenden Datenschutzbeauftragten Barbara Thiel zu ihrem Nachfolger Denis Lehmkemper ist, kann nur spekuliert werden. Immerhin sind beide in der CDU, sie dürften sich in den vergangenen Jahren häufiger in Parteiversammlungen über den Weg gelaufen sein.

Die scheidende Datenschutzbeauftragte Barbara Thiel beschwert sich bei der Staatskanzlei über die Berufung ihres Nachfolgers – und schaltet einen Anwalt ein. | Foto: Heike Goettert, Niklas Kleinwächter

Ob es die 68-jährige Thiel aber dem 18 Jahre jüngeren Lehmkemper zutraut, das Amt in der von ihr gewünschten Weise weiterzuführen, darf wohl bezweifelt werden. Denn ein Brief von Thiel, der an die Staatskanzlei gerichtet ist, hat in der Landesregierung und im Landtag große Irritationen ausgelöst. Über einen Anwalt lässt Thiel dort mitteilen, dass Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) bitteschön nicht die Ernennungsurkunde an Lehmkemper überreichen soll. Der geplante Start der Dienstzeit des Nachfolgers, der am 1. Juli sein sollte, steht damit wohl in Frage.

Staatskanzlei reagierte nicht auf Thiels Interesse

Was ist geschehen? Viel spricht dafür, dass Barbara Thiels Unmut sich weniger gegen Lehmkemper richtet als vielmehr gegen die breite Mehrheit im Landtag, die jetzt ihren Nachfolger inthronisiert hat. Denn Tatsache ist, dass sie wiederholt Interesse an einer Fortsetzung ihrer Amtszeit verkündet hatte, zuletzt sehr deutlich in einem Rundblick-Gespräch zum Jahresbeginn. Allerdings sei daraufhin niemand zu ihr gekommen und habe mit ihr gesprochen – vielmehr hatte sie der Rundblick-Berichterstattung entnommen, dass zwischen den Landtagsfraktionen bereits über eine Neubesetzung der Stelle diskutiert worden war.


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Daraufhin wuchs ihr Ärger wohl immer mehr. Zum Jahreswechsel 2022/2023 endete Thiels achtjährige Amtszeit, und automatisch begann im Januar die halbjährige Verlängerung. Mit der ist nun aber am 30. Juni endgültig Schluss. Sollte dann kein neuer Datenschutzbeauftragter eine Ernennungsurkunde erhalten haben, würde die Leitung der Behörde mit rund 50 Mitarbeitern automatisch an den Vize-Datenschutzbeauftragten übergehen, das ist Christoph Lahmann, der einstige IT-Kopf der Landesregierung.

Nachfolger wurde einstimmig vom Landtag gewählt

Der Landtag hat nun aber auf Vorschlag der Staatskanzlei am 3. Mai Lehmkemper für das Amt gewählt – und zwar einstimmig. Bisher ist der Jurist, der lange im Innenministerium und später in der CDU-Landtagsfraktion tätig war, als Abteilungsleiter für Raumordnung und Landesentwicklung im Agrarministerium aktiv. Erst kurz vor der Landtagswahl war Lehmkemper in diese führende Position des Landwirtschaftsressorts gekommen. Er ist auf Personal-Sachfragen spezialisiert und genießt einen Ruf als kluger Kopf.

Auch die Amtsinhaberin Barbara Thiel war als Juristin in verschiedenen Stationen tätig, unter anderem auch im Innenministerium und beim Rechnungshof, sie war dann Dezernentin im Kreis Wolfenbüttel und in der Region Hannover, bevor sie Ende 2014 vom Landtag zur Datenschutzbeauftragten gewählt wurde – damals auf Vorschlag der rot-grünen Landesregierung unter Ministerpräsident Weil und Innenminister Boris Pistorius. In der CDU, ihrer Partei, hatte es zuvor einige andere Namen für das Amt gegeben, die aber bei der SPD nicht auf Wohlwollen gestoßen sein sollen. Am Ende wurde es Barbara Thiel.

Eigentlich soll Denis Lehmkemper am 1. Juli das Amt des Datenschutzbeauftragten übernehmen. | Foto: privat

In ihrer langen Amtszeit ist sie öfter mit der Landesregierung angeeckt, etwa mit dem Innenministerium bei der Reform des Polizeigesetzes – oder auch mit dem Kultusministerium, sobald es um Regeln für die Digitalisierung ging. Heftig war auch die Auseinandersetzung mit der Staatskanzlei über die Facebook-Auftritte von Mitgliedern der Landesregierung. Was für Regierungssprecherin Anke Pörksen ein unverzichtbarer Teil der medialen Kommunikation ist, war aus Sicht von Thiel nicht mit der Datenschutzgrundverordnung vereinbar. Der Konflikt schaukelte sich hoch – vor allem auch, weil Thiel sich mit ihren Hinweisen nicht ernst genommen sah und den Eindruck bekam, man ignoriere ihre Bedenken. Diesen Eindruck hat sie wohl nicht nur in dieser Streitfrage gehabt.


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In dieser Woche nun, bei der Vorstellung ihres letzten Tätigkeitsberichts, will die scheidende Beauftragte noch einmal klare Positionen beziehen, heißt es. Nicht wenige sagen, sie scheide mit Groll aus dem Amt. Auch Thiels Verhältnis zu den Wirtschaftsunternehmen, die sie zu überwachen hatte, blieb über die Jahre nicht ungetrübt. So kursiert der bislang unbestätigte Hinweis, ein großer niedersächsischer Medienkonzern wolle seine Online-Aktivitäten nach Hamburg verlagern, weil der dortige Landesdatenschutzbeauftragte im Unterschied zu Thiel „sehr viel umgänglicher“ sein soll.

Bekommt Lehmkemper trotzdem die Ernennungsurkunde?

Thiels vermutlich letzter öffentlicher Auftritt in einer Pressekonferenz am Donnerstag dürfte von dem Streit über die Nachfolgeregelung überlagert werden. Sie steht offenbar auf dem Standpunkt, dass die Stelle des Landesbeauftragten für den Datenschutz hätte ausgeschrieben werden müssen – wenn man denn, wie geschehen, die zur Fortsetzung ihrer Arbeit bereite Amtsinhaberin nicht länger beschäftigen möchte. Da das nicht passiert sei, obwohl sie selbst ihren Willen zum Weitermachen erklärt hatte, sei die Wahl von Lehmkemper im Landtag rechtswidrig. Daher dürfe an Lehmkemper keine Ernennungsurkunde überreicht werden.

Laut Thiel sieht die „Datenschutzgrundverordnung“ (DSGVO) vor, dass Ausschreibungen der Landesbeauftragten-Stellen notwendig seien. Das ist jedoch unter Juristen umstritten, denn das Verwaltungsgericht Schleswig urteilte 2020, dass die Ausschreibung hier eben nicht geschehen muss. Wie es heißt, sieht sich Thiel im Fall einer Ausschreibung auch als die wohl am besten geeignete Bewerberin an – sie hofft dann wohl, in diesem Fall Lehmkemper bei einer Konkurrentenklage schlagen zu können. Die in der DSGVO verlangte „Qualifikation, Eignung und Sachkunde“ sei bei ihr viel größer als bei Lehmkemper.


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Der Blick wird in diesem Zusammenhang immer wieder auf das Nachbarland Sachsen-Anhalt gerichtet. Dort stand bis vor kurzem ausdrücklich im Landesgesetz, dass vor der Auswahl eines Datenschutzbeauftragten eine Ausschreibung stattzufinden hat, deren Ergebnis dann per Landtagsbeschluss bestätigt werden muss. Mehrfach misslang daraufhin in Magdeburg der Versuch, für den vorausgewählten Kandidaten eine Landtagsmehrheit zu bekommen – sodass die Sachsen-Anhaltiner schließlich ihr Landesgesetz angepasst und ausdrücklich auf die Ausschreibung verzichtet hatten.

Im niedersächsischen Gesetz hingegen ist die Ausschreibung gar nicht erwähnt. Deshalb, meinen einige in der Landespolitik, liege Thiel mit ihrer Position neben der Spur. Thiel hingegen argumentiert mit der Tatsache, dass ihre Bewerbung für die Verlängerung quasi vorgelegen habe – und dass die Staatskanzlei deshalb darüber nicht hätte einfach hinweggehen dürfen, jedenfalls nicht ohne Ausschreibung.



Sollte nun die Haltung von Thiel bei den Juristen in der Staatskanzlei Anklang finden, würde sofort das nächste Problem entstehen: Wenn Ministerpräsident Stephan Weil dem gewählten neuen Datenschutzbeauftragten Denis Lehmkemper die Ernennungsurkunde nicht geben sollte oder zumindest nicht in den nächsten Tagen vor dem 1. Juli, wäre das dann nicht eine Missachtung des Landtagsbeschlusses? Oder anders ausgedrückt: Sind nicht mit dem einhelligen Votum des Parlaments Fakten zugunsten von Lehmkemper geschaffen worden, die viel stärker wiegen als die juristischen Einwände von Thiel?

Das ist nun ein interessantes Thema für die Juristen – und ausgeschlossen ist ja nicht, dass sich der Konflikt später noch gerichtlich fortsetzen wird, sofern die Staatskanzlei sich für oder gegen die Aushändigung der Urkunde an Lehmkemper entschieden hat. Für Thiel scheint jedenfalls klar zu sein: Ein geräuschloser Abschied aus dem Amt ist von ihr nicht zu erwarten.

Dieser Artikel erschien am 13.6.2023 in Ausgabe #107.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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