Die Landtagsfraktionen von SPD (links) und CDU (rechts) haben sich im Norden Niedersachsens zu Klausurtagungen zurückgezogen. | Foto: Wallbaum

Das Wetter auf Borkum ist viel besser als vorhergesagt. Die CDU-Reisegruppe wird von strahlendem Sonnenschein begrüßt, als die Abgeordneten am Montag auf der Nordseeinsel eintreffen. Zwar ist für die nächsten Stunden das eine oder andere Gewitter angesagt, doch das kann der guten Stimmung nichts anhaben. 30 Kilometer entfernt, im ostfriesischen Leer, sind die Bedingungen kaum anders. Auch hier geht die SPD frohgestimmt in die Klausurtagung der Landtagsfraktion. Beide Veranstaltungen sind Momente des Abschieds, denn die „Familientreffen“ der beiden großen Fraktionen geschehen ziemlich zum Ende der Legislaturperiode, rund vier Monate vor den Neuwahlen.


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In dieser Zusammensetzung werden die Abgeordneten nicht noch einmal zusammenkommen, viele altgediente Mandatsträger kandidieren nicht erneut. Die gute Stimmung aber hat unterschiedliche Ursachen: Die SPD erfreut sich an den guten Umfragezahlen vor der Landtagswahl am 9. Oktober – und an einem gelungenen Landesparteitag. Die CDU sieht sich nach den erfolgreichen Wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen im Aufwind und setzt mit der historischen Parität auf der Landtagswahlliste Zeichen. Beide sind deshalb mit ihrer eigenen Performance gerade zufrieden.

So gibt es für die Abgeordneten in beiden Parteien eine Mischung – Strategiegespräche, Vorstellung der Wahlkampagne, Vertiefung wirtschaftlicher Fragen bei der CDU, Diskussionen über die Folgen der Pandemie, Podiumsdiskussion zur Energiepolitik und Exkursionen in Berufsschulen, Firmen und in Krankeneinrichtungen bei der SPD. Am Rande gibt es dann in beiden Fraktionen reichlich Gelegenheit, die Köpfe zusammenzustecken und einige bevorstehende Weichenstellungen zu sondieren. Gleich, wie die Landtagswahl ausgeht, mehrere Veränderungen kommen zwangsläufig auf den Landtag zu:

Wer führt künftig die SPD-Fraktion?

Mit der SPD-Klausurtagung verabschiedet sich die langjährige SPD-Fraktionsvorsitzende Johanne Modder von ihren Genossen – und ruft alle in ihrem Heimatwahlkreis Leer zusammen. Viele in der SPD rechnen mit einem Sieg am 9. Oktober und damit, dass Stephan Weil als Ministerpräsident wieder eine rot-grüne Regierung anführen könnte. Beim Fraktionsvorsitz wird nun – nicht offiziell, sondern hinter vorgehaltener Hand in kleinen Runden – über verschiedene Modelle getuschelt: Dass der Fraktionsvorsitz beim SPD-Bezirk Weser-Ems angesiedelt bleibt, liegt nah, da der Ministerpräsident aus dem Bezirk Hannover kommt und sich im Bezirk Braunschweig kein Bewerber aufdrängt.


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Der Parlamentarische Geschäftsführer Wiard Siebels, ein Ostfriese, ist ein begabter Redner und guter Organisator – aber in der SPD-Fraktion heißt es, seine Integrationskraft reiche für den Fraktionsvorsitz vielleicht nicht aus. Deshalb könnte er eher in die Ministerriege wechseln. Olaf Lies, der wie Siebels aus dem Bezirk Weser-Ems stammt, könnte Super-Minister für Wirtschaft und Klimaschutz werden.

Die SPD-Landtagsfraktion trifft sich im ostfriesischen Leer zu einer Klausurtagung. | Foto: Wallbaum

Die SPD-Generalsekretärin Hanna Naber aus Oldenburg, eine dritte aus Weser-Ems, käme durchaus für den Fraktionsvorsitz in Betracht, sie erfüllt Voraussetzungen, wie sie auch Amtsinhaberin Johanne Modder perfekt beherrschte: absolute Loyalität gegenüber dem Ministerpräsidenten, kritische Hinweise strikt nur intern. Schon bisher gab es in der SPD-Fraktion jedoch Kräfte, die sich ein stärkeres eigenständiges Profil der Fraktion gegenüber dem Regierungschef wünschen. Das wäre wohl eher mit Sozialministerin Daniela Behrens im Fraktionsvorsitz zu gewährleisten als mit Naber.

Die Kür von Behrens hätte noch einen anderen Charme: Falls Weil in der Mitte der Wahlperiode sein Amt überraschend doch abgeben sollte, womöglich an Olaf Lies, könnte der Fraktionsvorsitz unberührt davon bleiben – denn Behrens gehört zum kleinen Parteibezirk Nord-Niedersachsen, sie stört also in keinem Fall das Gleichgewicht der Hannoveraner, Braunschweiger und Weser-Emser in der Partei. Dass Weil Behrens jüngst „den Shooting-Star der Landespolitik“ nannte, wird als Hinweis auf einen geplanten Aufstieg der bisherigen Sozialministerin nach der Wahl verstanden. Denn das Vorschlagsrecht für den Fraktionschef liegt nach der Wahl beim Landesvorstand, de facto also bei Stephan Weil.

Die CDU-Landtagsfraktion hat sich auf Borkum zu einer dreitägigen Klausurtagung zusammengefunden. | Foto: Wallbaum

Wer verstärkt die Kontakte der CDU zu den Grünen?

In der CDU-Fraktion setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass es nur eine wirkliche Machtoption gibt: Wenn die CDU am 9. Oktober vor der SPD liegen sollte und die Mehrheit für Schwarz-Grün oder für eine Jamaika-Koalition aus CDU, Grünen und FDP reicht. Nun sind die niedersächsischen Grünen aber im Bundesvergleich eher links ausgerichtet, und in den vergangenen Jahren gab es nur wenige schwarz-grüne Gesprächsfäden. Viele in der CDU werben dafür, das Versäumte jetzt schleunigst nachzuholen. Generalsekretär Sebastian Lechner und Christian Fühner, der JU-Chef, stehen für diesen Kurs, auch Fraktionschef Dirk Toepffer. Gerade bei vielen Agrarpolitikern jedoch stauen sich seit Jahren Vorbehalte gegenüber den Grünen.

Die CDU-Landtagsfraktion tagt auf Borkum. | Foto: Wallbaum

Als Minister der Grünen, gleich ob bei Rot-Grün oder bei Schwarz-Grün, kämen zunächst Julia Hamburg und Christian Meyer in Betracht, Hamburg als Kultusexpertin und Meyer als Umweltexperte, auch der Finanzexperte Gerald Heere gilt als ministrabel. Im Fall von Rot-Grün könnte Kultusminister Grant Hendrik Tonne sein Amt verlieren – und womöglich in das Justizressort wechseln. Da Tonne dem SPD-Bezirk Hannover angehört, wäre er als Fraktionschef erst vorstellbar, wenn nicht mehr der Hannoveraner Weil, sondern ein anderer Sozialdemokrat Ministerpräsident ist.

Wer wird Landtagspräsidentin oder Landtagspräsident? Wer geht nach Berlin?

Die stärkste Fraktion hat Anspruch, den Parlamentspräsidenten zu stellen. Da Amtsinhaberin Gabriele Andretta aus dem Landtag ausscheidet, müsste ein anderer SPD-Kandidat zum Zuge kommen. Diskutiert wird über die bisherige Landesbeauftragte für Migration, Doris Schröder-Köpf. Im Fall eines CDU-Sieges fällt der Name des jetzigen Fraktionsvorsitzenden Dirk Toepffer oder auch der von Wissenschaftsminister Björn Thümler. Sollte die SPD weiter Regierungspartei bleiben, ist mit einer Fortsetzung der Amtszeit von Innenminister Boris Pistorius (SPD) zu rechnen. Das gilt zumindest solange, bis auf Bundesebene eine mögliche Nachfolgeregelung im Bundesinnen- oder im Bundesverteidigungsministerium notwendig werden sollte. Für beide Ämter in Berlin käme nämlich auch Pistorius in Betracht. Manche sagen, sein Aufstieg liege dann sogar sehr nah.