22. Nov. 2021 · 
Landwirtschaft

Gesellschaftsvertrag: Agrarministerin sucht den Schulterschluss mit den Medien

„Wir brauchen einen Gesellschaftsvertrag für die Landwirtschaft.“ Dieser Satz ist der Soundtrack, der das Handeln der niedersächsischen Agrarministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) seit mehreren Jahren begleitet und umgibt bei fast allem, was sie tut und beschäftigt. Bauernproteste? Gesellschaftsvertrag! Schweinekrise? Gesellschaftsvertrag! Moor-Vernässung? Gesellschaftsvertrag! Dieses zunächst recht nebulös klingende Wort Gesellschaftsvertrag ist ihre Antwort auf die allermeisten Probleme ihres Ressorts. Doch wann immer sie diese Antwort ausspricht, hallt ihr stets diese eine Frage aus der Umgebung zurück: Was genau ist denn dieser Gesellschaftsvertrag für die Landwirtschaft überhaupt? Im letzten Jahr der Legislaturperiode soll diese Frage nun beantwortet werden.

Foto: gettyimages, redaktion

Angestoßen hatte Otte-Kinast diesen Prozess schon vor gut zwei Jahren: Los ging alles mit einem sogenannten „Bar Camp“ im Landesagrarministerium. Otte-Kinast hatte die Türen ihres Hauses geöffnet für allerlei Akteure aus dem weiten Feld der Landwirtschaft, um unter dem Slogan „Stadt. Land. Food“ zu diskutieren. Zuständig für die Durchführung dieses ungewöhnlichen Formats war die Berliner Kommunikations-Agentur „Ariadne an der Spree“. Das besondere war, dass es keine vorgeschriebene Tagesordnung gab, jeder konnte sich mit seinem Anliegen präsentieren und auf die Suche nach Gleichgesinnten begeben.


https://soundcloud.com/user-59368422/politiknerds-podcast-mit-barbara-otte-kinast

Eigentlich sollte dieses Format dann Schule machen und im gesamten Land zum Einsatz kommen, doch die Corona-Pandemie verhinderte in den vergangenen anderthalb Jahren den Fortgang dieses Formats. Im Sommer 2020 gab es lediglich eine digitale Alternative, die zu einem Großteil daraus bestand, dass die Ministerin ihren neuen Plan für einen Gesellschaftsvertrag skizzierte. Einen Webfehler hatte das „Bar Camp“ ohnehin: Es blieben zunächst doch eher die üblichen Vertreter der Agrarbranche unter sich, der Austausch etwa mit dem Handel oder den Verbrauchern kam etwas zu kurz. Ob sich das mit der Zeit noch geändert hätte, bleibt Spekulation.

Nun soll der gesamte Vorgang aber mehr Kontur an- und Fahrt aufnehmen. Und das ist auch notwendig, schließlich bleibt der Ministerin kein ganzes Jahr mehr, um erste Erfolge dieses Verfahrens noch vor der Landtagswahl am 9. Oktober 2022 präsentieren zu können. Auch für diesen zweiten Anlauf hat sich die Agrarministerin nun professionelle Hilfe ins Haus geholt. Die hannoversche Agentur „Mensch und Region“, die sich auf Projekte zur Partizipation sowie zur Stadt- und Dorfentwicklung spezialisiert hat, führt nun den Prozess zum Gesellschaftsvertrag auf die Zielgerade und setzt mit demselben Logo das bereits 2019 begonnen Verfahren fort.

Rund 300 Akteure wurden beim "Open Call" kontaktiert für Feedback

Vergangene Woche präsentierte Birgit Böhm, Gesellschafterin der Agentur „Mensch und Region“, in einem Presseworkshop den weiteren Fahrplan. Dieser sieht nun vor, dass zunächst in einem sogenannten „Open Call“-Verfahren rund 300 verschiedene Akteure kontaktiert und zu Stellungnahmen aufgerufen werden. Am Ende könnten sich aber noch viel mehr zu Wort melden, die Veranstalter setzen auf einen Domino-Effekt, der immer mehr Teilnehmer auf den Plan ruft. Mit sechs offenen Fragen sollten Einschätzung und Wissensstände, Erfahrungen und Hürden rund um die Landwirtschaft erfragt werden. Als Zielgruppe hat die Agentur Einrichtungen aus den drei Dimensionen der Nachhaltigkeit ausgewählt: aus der Ökologie (etwa Tiermediziner, Landeigentümer oder Landschaftspfleger), aus dem Sozialen (Universitäten, Medien, Verbände und Vereine) und aus der Wirtschaft (Handel, klassische Landwirtschaft).


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Die Stellungnahmen vermengt die Agentur dann mit Erkenntnissen aus Experteninterviews und der Wissenschaft, mit den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen und mit Praxisbeispielen. Aus diesen Ergebnissen wird dann ein erster Vorschlag für ein späteres Abschlussdokument entworfen. Ungefähr an dieser Stelle befindet sich der Prozess derzeit. Darauf folgen nun Workshops, dezentrale Partizipationsmöglichkeiten und schließlich ein Konvent, auf dem dann das vorläufig endgültige Abschlussdokument beschlossen wird, das dann wiederum an den niedersächsischen Landtag weitergereicht wird. 

Presseworkshop: Journalisten sollen an Entwicklung eines eigenen Hashtags mitwirken

Bis zu diesem Punkt war die Vorstellung des Verfahrens nichts Ungewöhnliches. So etwas passiert ständig auf zahllosen Pressekonferenzen. Doch was dann folgte auf diesem sogenannte „Presseworkshop“, war für einige der anwesenden Journalisten mindestens ungewöhnlich, wenn nicht sogar unangenehm. Zunächst wollte die Projektverantwortliche Böhm die Anwesenden dazu motivieren, an der Entwicklung eines geeigneten Hashtags (also dem Schlagwort für die sozialen Netzwerke) mitzuwirken. Eine Kollegin der Braunschweiger Zeitung merkte dabei an, dass sie mit diesem Format, bei dem die Medienvertreter dem Ministerium Tipps für eine Kampagne geben sollten, „etwas fremdele“. Anschließend wurden die anwesenden Journalisten noch gefragt, was sie von ihrer Seite in den Prozess einbringen könnten. Die meiste Zeit wurden beide Aufforderungen mit betretenem Schweigen quittiert. Der erhoffte kooperative Dialog blieb größtenteils aus.


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Agrarminister Otte-Kinast sorgt sich ums Gesprächsklima


Dabei machten die Agrarministerin und auch ihre Pressesprecherin Sabine Hildebrandt gleich zu Beginn deutlich, dass die Medienschaffenden explizit als Akteure miteinbezogen werden sollen: „Wie berichtet wird, entscheidet über den Gesellschaftsvertrag“, sagte Hildebrandt in ihrer Begrüßung und warb darum, dass die Ergebnisse des Verfahrens möglichst lange offengelassen werden sollten, und dass man bitte nicht in schwarz-weiß berichten solle, sondern dass es auf die Grautöne ankomme. Später wurde seitens der Agentur ergänzt, dass man sich eine sachliche Berichterstattung erhoffe, dass Sachfragen und Emotionen getrennt werden müssten. Außerdem setze man auf Unterstützung der Medien, wenn man später spezielle Akteure ansprechen und zur Teilnahme aufrufen möchte. Was bei diesem Presseworkshop angeboten oder eingefordert wurde, war nicht weniger als eine Medienpartnerschaft zwischen Ministerium, Agentur und Medienschaffenden – ein in dieser Form zumindest ungewöhnlicher Schritt.

„Wir brauchen Sie alle, um zu erklären, wo die Reise hingeht."

Barbara Otte-Kinast

Warum die Agrarministerin mit ihrem Referat für „Kommunikation, Presse und Bürgerdialog“ diesen ungewöhnlichen Weg gewählt hat, hat wohl zwei Gründe, die eng miteinander verbunden sind: Zum einen ist sie auf die Unterstützung der Medien angewiesen, damit ihr Konzept überhaupt aufgehen kann. Es bleibt wenig Zeit, und es müssen möglichst viele gesellschaftliche Gruppen erreicht werden. „Wir brauchen Sie alle, um zu erklären, wo die Reise hingeht“, sagte Otte-Kinast beim Presseworkshop. Zum anderen möchte die Ministerin offensichtlich wirklich etwas auf den Weg bringen, das von Dauer ist – was also auch womöglich ihre Amtszeit überdauert, sollte diese im Oktober 2022 enden. Ihr Vorbild ist dabei Gert Lindemann, jener CDU-Landesagrarminister, der 2011 den Tierschutzplan aufgestellt hat, jenes Dokument, so sagte es Otte-Kinast, das erst zehn Jahre später Wirkung entfaltet habe. Die Ministerin möchte nun „dem Durcheinander mit einem Kompass eine Richtung geben“ und einen Kurs einschlagen, dem am Ende nicht nur CDU und SPD, sondern auch alle anderen folgen werden.

Bis zur Sommerpause soll der Prozess deshalb so weit wie möglich vorangebracht werden. Wie es nach der Landtagswahl weitergeht, entscheidet sich dann. Der Zeitplan der hannöverschen Agentur reicht jedoch deutlich darüber hinaus, wenn auch ausgegraut. Denn im Idealfall soll sich das Verfahren mehrere Male wiederholen. Doch für den Anfang hat Otte-Kinast schon etwas vorgesorgt. Im Doppelhaushalt 2022/23 sind 31,5 Millionen Euro dafür eingeplant. Auch wenn der Prozess offen sein soll, ahne sie schon das eine oder andere, was da an Vorschlägen kommen könnte, erklärte Otte-Kinast – ein Klima-Label zum Beispiel.

Dieser Artikel erschien in Ausgabe #209.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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