Die niedersächsische Pflegekammer will nach den Worten ihrer Präsidentin Sandra Mehmecke schnellstmöglich auf die massive Kritik reagieren und die Beitragssatzung überarbeiten. Mehmecke will der Kammerversammlung bereits an diesem Donnerstag vorschlagen, die automatische Veranschlagung des Höchstbeitrags für alle Mitglieder auf den Bescheiden sofort abzuschaffen. Zudem soll umgehend eine Arbeitsgruppe die kritischen Punkte in der Beitragsordnung modifizieren. Die Arbeit daran soll nach Mehmeckes Vorstellung in den nächsten Tagen beginnen.

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Die Präsidentin der Pflegekammer hatte sich am Mittwoch mit Niedersachsens Sozialministerin Carola Reimann getroffen, um über den massiven Unmut über das Vorgehen der Kammer zu sprechen. „Ich habe dabei noch einmal deutlich gemacht, dass ich das Vorgehen der Pflegekammer für äußerst unglücklich gehalten habe und den Unmut darüber verstehen kann“, sagte Reimann nach dem Gespräch. „Es ist Vertrauen verloren gegangen. Das muss jetzt zurückgewonnen werden.“

Kammer-Präsidentin bittet noch einmal um Entschuldigung

Die Kritik der vergangenen Wochen sei sehr deutlich angekommen, und man nehme sie sehr ernst, sagte Mehmecke. Sie bat sowohl für den Zeitpunkt des Versands der Beitragsbescheide – kurz vor Weihnachten – als auch für die Art der Beitragserhebung erneut um Entschuldigung. „Die Bescheide sind nicht verstanden worden, waren viel zu kompliziert und wurde von vielen Kollegen als ungerecht empfunden. Wir werden mit Hochdruck daran arbeiten, Vertrauen zurückzugewinnen“, sagte die Kammerpräsidentin.

Eine Möglichkeit könne jetzt sein, dass alle Mitglieder zu einer Selbstauskunft aufgefordert würden und der Kammer dann 0,4 Prozent ihres angegebenen Einkommens zahlten. „Persönlich finde ich einen Beitragssatz von 0,4 Prozent sehr fair. Das muss aber die Kammerversammlung beschließen“, erklärte Mehmecke.

Die Bescheide sind nicht verstanden worden, waren viel zu kompliziert und wurde von vielen Kollegen als ungerecht empfunden. Wir werden mit Hochdruck daran arbeiten, Vertrauen zurückzugewinnen.

Das Einkommen können Zwangsmitglieder der Kammer durch den eigenen Einkommensteuerbescheid belegen. Für den Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) ist das allerdings nicht unproblematisch. Denn dadurch sammelt die Kammer massenhaft Daten darüber, wie einzelne Kliniken und Pflegedienste ihre Mitarbeitern bezahlen. „Wir wissen nicht, was mit diesen Daten passiert und wo sie zu welchen Zwecken irgendwann einmal landen könnten“, sagte Henning Steinhoff vom bpa in Niedersachsen im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick.

Inzwischen gebe es zahlreiche individuelle Gehaltsmodelle, mit denen Mitarbeiter auch Steuern sparen könnten. So gäbe es in Unternehmen teilweise Tankgutscheine für die Mitarbeiter. Das mache die Berechnung eines Beitragssatzes aufgrund des Bruttoeinkommens nicht einfacher.

Zudem würden all diese Informationen über die Betriebe dann dort gesammelt, kritisiert Steinhoff. Er hält den aktuellen Streit für eine reine Ablenkungsdiskussion. „Die Ministerin versucht sich über die Beitragsdiskussion herauszulamentieren“, meint der bpa-Vertreter. Eigentlich gehe es um die Zwangsmitgliedschaft, an der viel Kritik geübt werde. In einer Online-Petition haben sich bereits 41.000 Unterzeichner gegen die Pflichtmitgliedschaft in der Pflegekammer ausgesprochen. Und es regt sich weiterer Protest. Auf Facebook haben Kritiker für Samstagmittag in Göttingen am Haupteingang der Uniklinik zur einer Protestkundgebung aufgerufen.

Private Anbieter fragen: Wie unabhängig ist die Kammer wirklich?

Auch im Landtag sieht man den Start der Pflegekammer teilweise skeptisch. Die CDU fordert, dass bereits 2019 die Rahmenbedingungen für die Evaluation der Arbeit der Kammer festgelegt werden, damit das Ergebnis der Auswertung ohne Verzögerung im Juni 2020 vorgelegt werden kann. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Dirk Toepffer hatte bereits vor einigen Tagen gefordert, dass die Evaluation durch unabhängige Sachverständige und Betroffene geleistet werden müsse. „Wirkung und Organisation der Kammer können nicht von denjenigen überprüft werden, die das Kammergesetz geschrieben haben“, sagte Toepffer.

Die FDP im Landtag forderte die Pflegekammer dazu auf, alle Beitragsbescheide zurückzunehmen. „Die tiefe Wunde zwischen Kammer und Pflegekräften kann nur heilen, wenn sich die Pflegekammer weniger darum kümmert, Geld einzutreiben und mehr darum kümmert, die Arbeitsbedingungen von Pflegekräften zu verbessern“, sagte die FDP-Sozialpolitikerin Sylvia Bruns.


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Bei aller Kritik an der Kammer warb die pflegepolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Meta Janssen-Kucz, auch für Verständnis. „Innerhalb eines Jahres eine ganz neue berufsständische Vertretung aufzubauen und rund 90.000 Pflegekräfte zu registrieren, war für die größtenteils ehrenamtlich in der Kammer engagierten Pflegekräfte ein großer Kraftakt. Ich erwarte nun, dass die Landesregierung die Pflegekammer in ihrem Aufbauprozess unterstützt“, sagte Janssen-Kucz.

Eine Unterstützung durch die Landesregierung hält der niedersächsische bpa-Leiter Henning Steinhoff allerdings für fragwürdig. Schon jetzt zeige der Eingriff der Ministerin in das operative Geschäft, dass die Kammer eben keine unabhängige Interessenvertretung sei. „Wie will die Kammer und ihre Präsidentin jetzt noch offensiv Forderungen an die Ministerin richten?“, fragt Steinhoff.