In der Kirche sorgt man sich um den Zusammenhalt der Gesellschaft. Angesichts zahlreicher Krisen scheinen sich immer größere Teile der Bevölkerung radikaleren Ansichten zuzuwenden. Doch was kann helfen? Ein Verbot der AfD etwa? Heribert Prantl würde dies befürworten und hält ein Verbotsverfahren zudem für verfassungsrechtlich geboten sowie aussichtsreich, wie er am Dienstagabend in der neusten Auflage des „Wortwechsel“-Formats der hannöverschen Marktkirche und der Hanns-Lilje-Stiftung erörtert hat.

Heribert Prantl | Foto: Jens Schulze

„Demokratie ist nicht einfach nur eine Abstimmungsprozedur“, begann der langjährige Redakteur und jetzige Kolumnist der Süddeutschen Zeitung seinen Impulsvortrag. Viele hielten die Demokratie für eine Kiste: 19 Zentimeter hoch, 15 Zentimeter breit, mit einem Schlitz im Deckel, zeichnete er das Bild einer Wahlurne nach. Diese Kiste heiße dann auch noch wie das Gefäß, in dem die Asche der Verstorbenen aufbewahrt wird. Die Demokratie solle man aber nicht beerdigen, sondern aufleben lassen, und das nicht nur alle paar Jahre. „Demokratie muss mehr sein als eine Abstimmung. Demokratie ist ein Wertesystem“, postulierte er sodann und folgerte daraus: „Eine Partei, die dieses System ändern und stutzen will, ist verfassungsfeindlich.“

Doch wenn in der Demokratie das Volk der Souverän ist, muss man dann nicht dessen Willen respektieren und anerkennen, wenn dieses Volk eine verfassungsfeindliche Partei wählt, fragte Prantl sich selbst, um dann sofort die Antwort zu geben: Nein. Im Grundgesetz sei mit den Instrumenten der „wehrhaften Demokratie“ das „Nie-wieder“ ausbuchstabiert worden. Nicht derjenige, der über den Ausnahmezustand verfüge oder diesen herbeirede, sei souverän, sondern derjenige, der die Grundwerte verteidige, sagte der Journalist aus Bayern. Die Demokratie brauche stützende Instrumente, fügte er an und zählte die Kirchen, die kulturellen Einrichtungen und die Zivilgesellschaft dazu, aber auch den Sozialstaat. Auf die selbstgestellte Frage, ob der Sozialstaat nicht vielleicht überlastet sei, antwortete er: „Vielleicht haben wir beim Geldausgeben zu wenig überprüft, was der Staat sein muss.“ Der Staat, meinte er, müsse ein „Schicksalskorrektorat“ sein, das das „Gerechtigkeitsrisiko“ der Natur ausgleiche.

Theater als Ort des Diskurses öffnen

Auch Sonja Anders, als Intendantin am Schauspiel Hannover in der Marktkirchendebatte die Repräsentantin einer weiteren staatstragenden Säule, begegnete der Idee vom Verbot der AfD mit Wohlwollen. Gleichzeitig formulierte sie einen anderen Umgang mit den Sympathisanten der in Teilen rechtsradikalen Partei. Am Theater habe man das Privileg, aus dem Vollen schöpfen zu können, und wenn man Geschichten erzähle, nicht zwischen AfD-Wählern und Nicht-AfD-Wählern unterscheiden zu müssen. „Überhaupt, was heißt schon: AfD-Wähler? Potenziell? Gestern, heute, morgen?“

Heribert Prantl, Petra Bahr und Sonja Anders | Foto: Jens Schulze

Ihr Ansatz hat eine andere Ausgangslage. So wolle sie das Theater als Ort des Diskurses weiter öffnen. „Wir müssen uns mit den Positionen auseinandersetzen und den Personen, die denen anhängen“, sagte sie und zog sogleich eine rote Linie: „Wer sich mit Themen auseinandersetzt, ist willkommen. Wer aber antidemokratisch, rassistisch agiert, als Partei, hat in unserer Demokratie keinen Platz.“ Prantl zieht derweil eine andere Grenze, er sagte in der Marktkirche: „Es geht nicht um Andersdenkende, es geht um Rechtsradikale!“

Bahr: Die eigenen Ressentiments wahrnehmen

Die AfD sei eine kirchen- und religionsfeindliche Partei, ergänzte Hannovers Regionalbischöfin Petra Bahr. Zwar kokettiere die AfD mit rechten Kreisen der Kirchen, doch die Kirche als solche lehne die Partei ab, weil diese dadurch gefährlich werde, dass sie die Macht der Schwachen sichtbar werden lasse – eine Funktion, die Schauspiel-Intendantin Anders wiederum auch für die Theater reklamierte. Doch die Theologin Bahr kam insgesamt zu einer anderen Schlussfolgerung: „Die AfD zu verbieten reicht nicht aus“, sagte sie. Zunächst kritisierte sie Prantl dafür, dass er das Publikum in der Marktkirche als die „Demokratinnen und Demokraten“ adressiert hatte. Selbst wenn das wohl faktisch stimmen sollte, mache er einen Gegensatz auf, der da lautete: „Die anderen sind da draußen.“

Petra Bahr widerspricht Heribert Prantl beim „Wortwechsel“ in Hannovers Marktkirche | Foto: Jens Schulze

Bahr berichtete aber von Abendgesellschaften in bürgerlichen Kreisen, in denen sie bereits Ressentiments erlebe. Rund um die Diskussion um Hubert Aiwanger und die Hetzschrift in seinem Schulranzen beispielsweise habe sich gezeigt, dass sich ein anderer Ton ausbreite – die Haltung, dass jetzt doch auch mal genug sein müsse mit diesem Thema. Bahr forderte die Demokraten auf, sich selbst zu fragen, wo die eigenen Ressentiments lägen. Ihres beschrieb sie folgendermaßen: Wenn selbst sie als weltgewandte Frau des Nachts am Steintorplatz in Hannover auf Jugendliche mit Migrationshintergrund treffe, die dort ausgelassen feierten, überlege sie schon, ob sie sich nicht doch lieber von ihrem Mann abholen lassen wolle. Auch wenn sie bei Tageslicht gewillt sei, sich die Lebensgeschichten der jungen Menschen anzueignen, suche sie hier also nach sicherem Geleit.

„Ich wünsche mir eine Gesellschaft, die um den richtigen Weg streitet, sich dabei auch anschreit, wenn es um die Sache geht – aber nicht um die Person.“

„Wie geht man damit auf heilsame Weise um?“, fragte sie und erzählte, dass es Menschen im bürgerlichen Spektrum gebe, die genau für solche Herausforderungen nach einer Sprache suchten, mit der sie ohne Verlegenheit und Angst das Problem ansprechen könnten. Als Lösung regte die Regionalbischöfin bildsprachlich an, dass jeder seine geballte Faust in der eigenen Tasche wahrnehmen sollte, um sie dann auszustrecken und die Hand dem Gegenüber zu reichen. „Ich wünsche mir eine Gesellschaft, die um den richtigen Weg streitet, sich dabei auch anschreit, wenn es um die Sache geht – aber nicht um die Person.“