Siegesgewiss waren die führenden Leute der niedersächsischen AfD, der Landesvorsitzende Jens Kestner, sein Bundestagskollege Armin-Paul Hampel und viele andere Getreue aus dem Landesvorstand vergangenen Sonnabend nach Braunschweig gefahren. Nach ihrem überzeugenden Sieg bei der Vorstandswahl Mitte September glaubten sie fest an einen Selbstläufer: Ebenso souverän würde die Mitgliederversammlung ihnen nun wieder das Vertrauen schenken – und sie auf die vorderen Plätze der Landesliste für die Bundestagswahl 2021 setzen. Sie wogen sich in Sicherheit.

Was dann aber folgte, war ein Debakel, das den Teilnehmern des Parteitags erst allmählich bewusst wurde: Im Geheimen, ohne Vorwarnung, hatte sich gegen Kestner, Hampel und ihre Freunde eine Gegenbewegung gebildet, die dann zielstrebig und entschlossen ihre Kandidaten durchboxte. Im Ergebnis erlebten die führenden Köpfe der AfD eine dramatische Niederlage.

Armin Paul Hampel und General Joachim Wundrak -Fotos: kw

Der Landesvorsitzende Kestner wurde nicht wieder aufgestellt, er dürfte dann vom Herbst 2021 an sein Bestattungsunternehmen in Northeim wiederbeleben müssen. Der außenpolitische Sprecher der AfD und Journalist Armin-Paul Hampel, unbestritten einer der stärksten politischen Köpfe der Bundestagsfraktion, fliegt nächstes Jahr auch aus dem Bundestag. Er, der eigentlich wieder Spitzenkandidat hätte werden sollen, versuchte es später noch mal, etwa auf Rang sechs – aber hatte gegen die neuen Mehrheiten keine Chance. Die führende Riege der AfD kassierte eine Klatsche, sodass ihr Rücktritt von den Vorstandsämtern nicht überraschend wäre. Bislang allerdings sieht es noch nicht danach aus.


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Die Vorgänge haben AfD-intern eine rege Debatte ausgelöst. Sie kreist vor allem um zwei Fragen: Wie konnte das geschehen? Und: Was heißt das eigentlich für die momentane Aufstellung der AfD Niedersachsen – und für die drohende schärfere Beobachtung durch den Verfassungsschutz?

Der Pakt der Hampel-Gegner: Es verdichten sich Hinweise, dass der Schlag gegen die aktuelle Führung der Landespartei von langer Hand vorbereitet wurde. Von einem Pakt verschiedener Gruppen ist die Rede – allesamt solche Leute, die bisher der inzwischen aus der AfD ausgetretenen ehemaligen Vorsitzenden Dana Guth nahe standen. Mehrere Hannoveraner sind dabei, etwa der bisherige Bundestagsabgeordnete Jörn König und der Kreisvorsitzende Dirk Brandes, aber auch Dietmar Friedhoff aus der Region Hannover. Sie haben die Listenplätze vier, fünf und sechs. Platz eins erhält der frühere General Joachim Wundrak, der als bürgerliches Aushängeschild der AfD gilt, selbst aber offenbar in die Vorbereitungen nur bedingt eingebunden war. Als strategischer Kopf gilt vielmehr die neue Nummer zwei der Landesliste, der 34-jährige Landwirt Frank Rinck aus Uelzen. Ihm ist es gelungen, die Hannoveraner um Brandes, die Gruppe um Friedhoff und die Celler um MdB Thomas Ehrhorn (jetzt Platz drei) zu einem Pakt gegen Kestner und Hampel zusammenzuführen. Erzählt wird, dass eine zu mittelständischen Wirtschaftskreisen gut vernetzte Gruppe um Ansgar Schledde und Danny Meiners aus dem Bereich Emsland/Grafschaft Bentheim dabei massiv geholfen haben soll. Einige Aktive aus Gifhorn und Braunschweig sollen das dann noch unterstützt haben.

Hickhack im Landesvorstand: Zum Misserfolg von Kestner und Hampel haben womöglich auch interne Auseinandersetzungen beigetragen. Dem Vorsitzenden wird intern vorgeworfen, er habe etwa 20 Aufnahmeanträge positiv beschieden, die aus rein formalen Gründen nicht hätten angenommen werden dürfen – weil der Vorstand in Osnabrück derzeit nur ein Notvorstand ist und gar nicht formal handeln kann, der Landesvorstand ihn aber auch nicht einfach ersetzen darf. Parteivize Christopher Emden, der selbst Bundestagskandidat werden wollte, soll diesen Missstand an den Bundesvorstand gemeldet und sich so das Vertrauen der Gruppe um Kestner und Hampel verscherzt haben. Auch Emden scheiterte mit dem Versuch, einen guten Listenplatz zu erringen.

Ist die AfD „verfassungsfeindlich“?: Der Machtkampf in der niedersächsischen AfD geschieht nicht nur vor dem Hintergrund einer totalen Zerstrittenheit auf der Bundesebene – der rechte Flügel setzt dort dem Bundessprecher Jörg Meuthen massiv zu. Diejenigen, die in Hannover bei der Listenaufstellung dominiert haben, sind nun eher dem Meuthen-Lager zuzurechnen, allen voran der moderat auftretende frühere General Joachim Wundrak. Umso stärker aber geht in der AfD die Sorge um, die Konferenz der Länder-Innenminister könnte vielleicht noch vor Weihnachten beschließen, den Verfassungsschutz noch intensiver die AfD beobachten zu lassen. Sie könnten erklären, viele Belege für die angebliche Verfassungsfeindlichkeit der AfD zu haben. Was aber geschieht, wenn die AfD vom „Verdachtsfall“ zum „Beobachtungsfall“ des Verfassungsschutzes wird? Der AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland gab auf dem Parteitag in Braunschweig am Wochenende die Parole aus, die AfD dürfe sich nicht entmutigen lassen, sondern solle selbstbewusst agieren – niemand könne so einfach eine Partei als verfassungsfeindlich bezeichnen, die AfD würde wohl gegen die Einstufung vor das Bundesverfassungsgericht ziehen.

Sorge um den Beamtenstatus vieler Funktionäre: Jene Funktionsträger der AfD, die auch Beamte sind, könnten bei einer stärkeren Beobachtung durch den Verfassungsschutz unter Druck geraten. Als Beamte stehen sie in einem besonderen Treueverhältnis zum Staat, und eine Belastung könne daraus entstehen, dass sie sich für eine Partei engagieren, der von der Regierung verfassungsfeindliche Haltungen unterstellt werden. Die Folge könnte sein, dass AfD-Funktionären nach einer Einzelfallprüfung ihres Verhaltens der Beamtenstatus aberkannt wird – und damit auch ihr Pensionsanspruch. Der frühere AfD-Landtagsabgeordnete Jens Ahrends, einstiger Kampfflieger bei der Bundeswehr, hat deshalb bereits die AfD verlassen. Im Landtag wirken noch drei Beamte, ein Lehrer, ein Finanzbeamter und ein Richter, auf der Ebene der Kreisverbände sind es zudem noch etliche weitere. Sie riskieren nicht nur wachsenden Druck, da sie stärker ins Visier des Geheimdienstes kommen könnten. In Nordrhein-Westfalen sind unlängst zwei Beamte, die sich in einem Fall für „Pro NRW“, im anderen für die AfD engagiert hatten, ihrer Pension verlustig gegangen. Selbst Wundrak, dem ehemaligen General, würde das unter Umständen drohen. In einem Vermerk des Bundesinnenministeriums von März 2019 wird die Haltung vertreten, schon die Mitgliedschaft eines Beamten zu einer Partei, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, könne bedenklich sein – „unabhängig davon, ob ihre Verfassungswidrigkeit durch Urteil des Bundesverfassungsgerichts festgestellt ist oder nicht“. Das klingt ganz so, als würden die Zeiten für die AfD jetzt noch viel härter werden. (kw)