Von Britta Grashorn

Überlange Lastwagen dürfen seit Januar 2017 regulär auf etwa 60 Prozent der deutschen Autobahnen, auf ausgewählten Zubringern, Bundesstraßen und einigen wenigen Gemeindestraßen fahren. Zu sehen sind die knapp 18 Meter langen Großlaster oder 25-Meter-Gespanne selten, obwohl sie nachweislich sicherer, ökologischer und ökonomischer als herkömmliche Lastwagen sind. Während die Riesen in Holland, Belgien oder Frankreich seit Jahrzehnten auch schwere Güter transportieren, gelten bei uns zahlreiche Einschränkungen. Kritiker wie die „Allianz pro Schiene“ oder die Grünen werden nicht müde, Bedenken und diffuse Ängste gegenüber „Monstertrucks“ zu schüren.

Von 2006 bis 2007 ließ die damalige schwarz-gelbe Landesregierung gegen großen politischen Widerstand aus Bund und Ländern erstmals sogenannte Gigaliner auf einigen Strecken in Niedersachsen und Bremen fahren. Mit bis zu 25 Meter langen Lastzügen, die mit 44 Tonnen nicht schwerer sein durften als die herkömmlichen, etwa 19 Meter langen Gespanne, gingen die Cotrans Logistik (Volkswagen-Konzernlogistik, Schnellecke) sowie zwei Speditionen aus Meppen (Boll-Logistik) und aus Osnabrück (Hellman-Worldwide-Logistics) an den Start. Ein Jahr später zogen die drei Unternehmen eine durchweg positive Bilanz: Das Gütervolumen von drei Fahrten verteilte sich auf zwei – also weniger Dieselverbrauch, Schadstoffausstoß und Verkehrsbelastung. Straßen, Brücken und Kreisel blieben heil, keine spektakulären Unfälle.

Wenn wir unser analysiertes Potential für den Einsatz von Lang-Lkw ausnutzen könnten, würden wir allein in Europa jährlich über 10.000 Fahrten und mehr als drei Millionen Kilometer einsparen.

Matthias Biedenkopf, Leitung des Transportnetzwerkes VW-Konzernlogistik

Das Bundesverkehrsministerium legte am 1. Januar 2012 mit dem „Feldversuch Lang-Lkw“ nach. Wie zuvor zeigte sich, dass die Gigaliner effizient, sicher, umweltverträglich und verkehrsentlastend sind. Die „Positivliste“ für genehmigte Strecken entstand, die bis heute auf Antrag der Unternehmen und der Bundesländer vom Bundesverkehrsministerium fortgeschrieben wird. Mittlerweile umfasst sie mehr als 11.700 Kilometer in 15 Bundesländern – zu 70 Prozent Autobahnen. Insgesamt testeten 59 Unternehmen aus sieben Bundesländern fünf Jahre lang 158 Großlaster. Wie viele der Gigaliner derzeit unterwegs sind, lässt sich nicht sagen. Die Bundesanstalt für Straßenwesen hat mit Auslaufen des Feldversuchs am 31. Dezember 2016 die wissenschaftliche Begleitung eingestellt. Seitdem gibt es keine Übersicht mehr.

Im Gegensatz zu VW und Hellmann verzichtete die Meppener Boll-Logistik auf den zweiten Feldversuch und nutzt seit 2007 keinen Lang-Lastwagen. Das Unternehmen liegt unmittelbar an der Grenze zu Nordrhein-Westfalen. Das Bundesland weigerte sich, die A30 und die A1 Richtung Ruhrgebiet freizugeben. Mittlerweile dürfen dort zumindest Abschnitte wichtiger Autobahnen von Riesenlastern befahren werden. Nach Angaben von Ulrich Boll, Sprecher der Geschäftsführung, ist langfristig geplant, diese auf den Linien Duisburg, Köln und Hannover einzusetzen. Allerdings sollte es möglich sein, auch leichte Gefahrgüter wie zum Beispiel Wandfarbe zu transportieren, fordert Boll.

Dagegen fahren für die VW-Konzernlogistik unter anderem täglich sieben Lang-Lastwagen im regionalen Lieferantenverkehr zum Wolfsburger Werk und pendeln zwischen Braunschweig und Emden. Zusätzliche Gespanne sind zwischen München und Braunschweig, in der Slowakei und Spanien unterwegs. Der Konzern peilt weitere Strecken an. „Wenn wir unser analysiertes Potential für den Einsatz von Lang-Lkw ausnutzen könnten, würden wir allein in Europa jährlich über 10.000 Fahrten und mehr als drei Millionen Kilometer einsparen“, sagt Matthias Biedenkopf von der Leitung des Transportnetzwerkes VW-Konzernlogistik. Noch blockiert die EU-Kommission den innereuropäischen Verkehr.


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Zu den überzeugten Anhängern des Lang-Lastwagen zählt auch René Stöcker, Hellmann-Geschäftsleiter Landverkehre Deutschland. Die Osnabrücker setzen seit mehr als zehn Jahren einen „bis an die Zähne mit Assistenz- und Sicherheitssystemen bewaffneten“  Motorwagen mit Auflieger ein, der durch eine lenk- und höhenverstellbare „Dolly-Achse“ mit einem Sattelanhänger gekoppelt wird. Damit bringt Hellmann unter anderem Servietten, Papiertischtücher, Becher und Plastikbestecke von Bramsche nach Osnabrück. 106 Paletten statt der üblichen 53 verteilen sich im Lang-Lastwagen auf acht Achsen statt wie zuvor auf fünf. Aus sieben täglichen Touren wurden fünf. Hellmann-Fahrer Alexander Sauer fährt die Riesen seit 2012. „Sie lassen sich besser und sicherer lenken als herkömmliche Gespanne“, berichtet der 30-Jährige. Bei der Ladung werde das Optimale herausgeholt. Rangieren auf der Stelle oder Kreisel seien kein Problem. „Wir können enger drehen als jeder normale Zug“, versichert Sauer, der gemeinsam mit neun Kollegen speziell auf das Führen der 25-Meter-Züge geschult wurde.

Sein Chef wundert sich über die Unkenntnis, die ihm immer wieder begegnet: Lang-Lastwagen dürften weder in die Innenstädte, noch auf die mittlere Spur der Autobahn. Sie eigneten sich ausschließlich für leichte, Raum fordernde Waren, seien also keineswegs Konkurrenz für die Schiene, betont Stöcker. Er ist überzeugt, dass sich die überlangen Gespanne für den Verkehr mit Volumengütern durchsetzen werden. Allein das Fehlen von derzeit 35.000 qualifizierten Fahrern werde über kurz oder lang auch in Deutschland zum Durchbruch führen. Allerdings wünscht sich der Hellmann-Manager schnellere Genehmigungen neuer Fahrtrouten: „Ein halbes Jahr ist einfach zu lang.“

Im Gegensatz zur rot-grünen Vorgängerregierung unterstützt die jetzige Große Koalition die Gigaliner als „sinnvolle und verkehrssichere Alternative, um den zunehmenden Güterverkehr auf der Straße zu bewältigen“. Aus Sicht von Niedersachsens Verkehrsminister Bernd Althusmann (CDU) stärken Lang-Lastwagen den Wirtschaftsstandort und entlasten gleichzeitig die Umwelt – „eine gute Kombination“. Das Land prüfe auf Anfrage der Speditionen gewünschte Strecken auf Befahrbarkeit und melde diese bei Eignung an den Bund. Eine spezielle Förderung oder eine Initiative zur Ausweitung der Gesamtlast auf 60 Tonnen seien nicht geplant, sagte der Minister dem Politikjournal Rundblick.