Der heftige Streit zwischen den Krankenkassen auf der einen Seite, den rund 200 Pflegediensten der Arbeiterwohlfahrt, der Caritas, der Diakonie und der kommunalen Sozialstationen auf der anderen Seite ist vorerst beigelegt. Gestern verkündeten beiden Seiten eine Einigung, die auf einem Vorschlag des Vorsitzenden der Schiedsstelle basiert. Rückwirkend werden die Leistungen zum 1. Januar 2018 um 2,97 Prozent besser vergütet, zum 1. Januar 2019 noch einmal um 2,56 Prozent. In der Altenpflege werden die Wegepauschalen um 18 Prozent für das Jahr 2018 gesteigert, dann noch einmal um fünf Prozent für 2019.

„Damit sind wir an die Grenze dessen gegangen, was die Kassen aushalten können“, sagte der Leiter der Landesvertretung für die Ersatzkassen in Niedersachsen, Jörg Niemann. Die Caritas bezeichnete die Verständigung als „Schritt in die richtige Richtung“. Der Vorstandssprecher der Diakonie, Hans-Joachim Lenke, sagte, nun werde „der Weg zu den Pflegebedürftigen realistischer vergütet“. Insgesamt aber bleibe die Situation der ambulanten Pflege in Niedersachsen weiter kritisch: „Eine Entspannung ist damit leider nicht in Sicht.“

Eine Auskömmlichkeit der Vergütungen und insbesondere der Vergütungen für die Wegezeiten ist weiterhin nicht gegeben.

Der Streit hatte sich im vergangenen Jahr zugespitzt. Rund 1300 Pflegedienste gibt es in Niedersachsen, für die Masse – rund 1000 – wurde mit den Kassen schon 2018 eine Vereinbarung abgeschlossen. Die von AWO und Diakonie angeführte Gruppe von 200 Diensten aber verweigerte sich seither einer Verständigung – und setzte auf eine Einigung vor dem Schiedsgericht. Sie forderten eine Erhöhung der Pauschalen für die Wege zum Patienten um 40 Prozent. Die Kassen lehnten das ab und zitierten dazu auch ein Urteil des Bundessozialgerichts.

Demnach dürfe sich die Vergütungssteigerung nur an der allgemeinen Lohnentwicklung orientieren. Wenn man aber Sonderfaktoren zugrunde legen wolle, so die Richter, müsse es Belege dafür geben, dass diese repräsentativ sind. Eine detaillierte Berechnung der Wege der ambulanten Pflegedienste wäre also erforderlich. Aus Sicht der Kassen haben die 200 Dienste den nötigen Nachweis hier aber nicht erbracht. Die Einigung für die Masse der 1000 Pflegedienste war nur zustande gekommen, weil Kassen und Dienste eine pauschale Verständigung über die Gesamtkosten (Pflegeleistungen und Anfahrtswege) erzielen konnten. Für die Gruppe um AWO, Diakonie und Caritas gelang das bis gestern nicht.

Kassen wünschen sich „rhetorische Abrüstung“

Die neue Einigung zu den Vergütungen der Anfahrtswege differenziert nun nach verkehrsreichen Zeiten – also montags bis freitags – und Einsätzen in der Nacht und an Wochenenden. Der Diakonie-Vorstandssprecher erklärt dazu: „Eine Auskömmlichkeit der Vergütungen und insbesondere der Vergütungen für die Wegezeiten ist weiterhin nicht gegeben. Es muss das von den Kostenträgern refinanziert werden, was Pflege in Niedersachsen nun einmal kostet.“ VdEK-Landesleiter Niemann entgegnet, dass die von den drei großen Arbeitgebern AWO, Diakonie und Caritas vorgetragenen Forderungen nur eine Seite markierten. Die Kompromisslosigkeit, in der einige von ihnen ihre Haltung vorgetragen hätten, sei einer Verständigung nicht dienlich gewesen.

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„Ich finde es nicht richtig, wenn so getan wird, als würde die Pflege zusammenbrechen“, betont Niemann im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick. Eine „rhetorische Abrüstung“ sei geboten, man dürfe im Streit um Kosten keine falschen Ängste schüren. Wenn behauptet werde, dass viele Pflegebedürftige keinen ambulanten Dienst bekämen, dann sei das oft ein Trugschluss. Sicher sei es oft so, dass man nach einem Dienst mit freien Kapazitäten suchen müsse, aber dann auch fündig werde. Daraus eine Unterversorgung abzuleiten, sei nicht seriös. „Ich bin gegen eine Untergangsstimmung“, betont Niemann. Die großen Anbieter hatten sogar eine Schließung von Pflegediensten für den Fall einer ausbleibenden besseren Vergütung angedroht.

Dass dieser Schritt abgewendet wurde und die Kassen auch die Refinanzierung der Tariflöhne akzeptiert hätten, begrüßt Sozialministerin Carola Reimann (SPD) ausdrücklich. Auch sie sieht die Einigung „als wichtigen Zwischenschritt“ an. Reimann appelliert zudem an die Bundesebene, die Möglichkeiten für eine bessere Vergütung der Wegstrecken zu verbessern. Der Bundestag habe dazu den rechtlichen Rahmen schon geschaffen.


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