Premiere im Parlament: Erstmals hat sich in einer wichtigen Sachfrage eine Mehrheit von SPD, Grünen und FDP auch förmlich abgebildet. Die Vertreter dieser drei Fraktionen haben gestern im Landtags-Rechtsausschuss empfohlen, einem sogenannten „Gruppenantrag“ von 71 Landtagsabgeordneten zuzustimmen. Dieser Antrag, den Wiebke Osigus (SPD), Anja Piel (Grüne) und Sylvia Bruns (FDP) anführen, fordert die Landesregierung auf, sich auf Bundesebene für die „ersatzlose Streichung“ des Paragraphen 219a im Strafgesetzbuch (Werbeverbot für Abtreibungen) einzusetzen. Nächste Woche steht dazu eine Entscheidung im Landtag an. Wird die Initiative angenommen, womit zu rechnen ist, so muss die Landesregierung auf Bundesebene in dieser Weise aktiv werden. Dieser Vorgang ist nicht ohne Brisanz – denn bundesweit wie auch in Niedersachsen stehen die Christdemokraten einer Abschaffung der entsprechenden Vorschrift kritisch gegenüber. Mit einem eindeutigen Landtagsbeschluss im Nacken werden die CDU-Vertreter in der Landesregierung allerdings kaum weiter für die Beibehaltung des Paragraphen 219a eintreten können. Jedenfalls dann nicht, wenn sie im Namen der Landesregierung handeln.


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Diese Vorschrift beschreibt bisher die Strafbarkeit der Werbung für Abtreibungen – und aus Sicht der Antragsteller werden damit die Informationsmöglichkeiten über Schwangerschaftsabbrüche unbillig eingeschränkt. Viele Ärzte würden sich aus Angst vor rechtlichen Repressionen nicht mehr trauen, auf ihre Bereitschaft zu solchen Eingriffen aufmerksam zu machen. Mehrere Abgeordnete der CDU sehen das anders, sie interpretieren den Sinn von Paragraph 219a so, dass nur die ausdrückliche Werbung, die auf einen geschäftlichen Vorteil der abtreibenden Ärzte zielt, untersagt ist. Aus der CDU wird deshalb eine Konkretisierung des Strafrechtsparagraphen ins Spiel gebracht. Der „Gruppenantrag“ der 71 Abgeordneten geht viel weiter, er möchte den Paragraphen ganz abschaffen. Spannend ist nun die Situation nächste Woche im Landtag. Es dürfte eine Mehrheit von SPD, Grünen und FDP zustande kommen, CDU und AfD dürften in der Minderheit bleiben. Die Zahl der Unterstützer des Ampel-Gruppenantrags liegt nämlich um fünf Abgeordnete über der absoluten Mehrheit im Parlament. Fast alle SPD-Landtagsabgeordneten tragen ihn mit, Ausnahmen bilden lediglich vier Abgeordnete der Sozialdemokraten –Ministerpräsident Stephan Weil (Hannover), Christoph Bratmann (Braunschweig), Markus Brinkmann (Sarstedt) und Matthias Möhle (Peine). Bratmann hat, obwohl nicht Unterzeichner des Antrags, den Vorstoß seiner Parteifreunde gestern trotzdem im Rechtsausschuss befürwortet.

In der Ausschusssitzung beklagten sich Marco Genthe (FDP) und Helge Limburg (Grüne), dass die Große Koalition sehr lange Zeit gebraucht habe, bis sie einen ursprünglichen Antrag von FDP und Grünen überhaupt parlamentarisch beraten habe. Die ersten Initiativen in diese Richtung seien nämlich schon vor einem Jahr eingereicht worden. Christian Calderone (CDU) kündigte an, dass die CDU nun einen eigenen Gruppen-Antrag auf den Weg bringen und um Unterstützung auch aus der SPD werben werde. Die verlangte „ersatzlose Streichung“ des Werbeverbots für Abtreibungen verfolgt aus seiner Sicht ein anderes Ziel, nämlich eine langfristige Änderung des Abtreibungsrechts an sich. Dies lehne er aber strikt ab, betonte der CDU-Politiker, der einer der aktivsten Katholiken in seiner Fraktion ist. Limburg widersprach der Vermutung von Calderone. Es gebe in Deutschland sicher Gruppen, so Limburg, die auch auf den Paragraphen 218 zielten. Dies sei mit dieser Initiative allerdings keineswegs verknüpft. Im Rechtsausschuss stimmten die Vertreter von CDU und AfD gegen die Empfehlung, den Ampel-Gruppenantrag zu befürworten. Ein Antrag von CDU-Abgeordneten, der sich auch um die Mitautorenschaft von einigen der vier SPD-Mandatsträger bemüht, die den Ampel-Antrag nicht mittragen, lag bis gestern noch nicht vor.