Es sind gute Zeiten für alle, die einen Ausbildungsplatz suchen: 95 Prozent der Betriebe bilden aus. Das hat eine Blitzumfrage der Arbeitgeberverbände in Niedersachsen unter der Führung von Niedersachsen-Metall unter 620 seiner Mitglieder ergeben.

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Das Abitur setzt nur eine Minderheit der vorwiegend mittelständigen Unternehmen voraus. 60 Prozent der Befragten akzeptieren auch Bewerber mit Hauptschulabschluss. Allerdings setzen ebenso viele einwandfreie Deutschkenntnisse voraus. Laut einer Erhebung aus dem April suchen in Niedersachsen noch 21.000 Absolventen eine Zukunftsperspektive, während auf der anderen Seite 30.000 Ausbildungsplätze unbesetzt sind. Die Umfrage liefert Antworten darauf, warum Unternehmen und Bewerber nicht immer zusammenfinden.

Die Arbeitgeber sind unzufrieden mit der Qualität der Bewerbungen. Fast drei Viertel der Befragten finden, dass sie gelitten hat. Dabei sind hier die Ansprüche nicht mehr hoch: „Die äußere Form spielt heute gar keine Rolle mehr“, sagte Olaf Brandes, Geschäftsführer der bildungsnahen Stiftung Niedersachsen-Metall, bei der Vorstellung der Studie. „Ein Anruf genügt vielen schon.“ Allerdings stellen die Arbeitgeber im persönlichen Gespräch oft fest, dass es den Jugendlichen an „Soft Skills“ fehlt, dass sie Anforderungen des Betriebes an Flexibilität, Belastbarkeit und Lernbereitschaft nicht erfüllen. 

„Schon vor Corona mussten wir sagen: Viele Schulabgänger sind nicht ausbildungsreif.“

Volker Schmidt

„Schon vor Corona mussten wir sagen: Viele Schulabgänger sind nicht ausbildungsreif.“ Dieses ernüchternde Fazit zieht Volker Schmidt, der Hauptgeschäftsführer von Niedersachsen-Metall. Die Pandemie habe diesen Trend nur zugespitzt: Jugendliche konnten keine Praktika absolvieren, keine Freiwilligendienste leisten, nicht bei der Ideen-Expo und anderen Nachwuchsmessen Eindrücke sammeln. Als Veranstalter der Ideen-Expo weiß Schmidt: Das Interesse an MINT-Berufen entsteht durch Ausprobieren, Selbermachen, Interaktion. „Durch die Schulschließungen waren die Jugendlichen besonders betroffen, die auch sonst schon benachteiligt sind“, sagte Schmidt.



Die Folgen: Zugewanderte Kinder haben noch weniger Deutsch gelernt, Lerntechniken und soziale Kompetenzen blieben auch bei vielen anderen auf der Strecke. Floyd Janning, Chef des Hildesheimer Photovoltaik-Unternehmens Sonnentaler GmbH, wäre froh, wenn sich überhaupt genug Bewerber fänden – und das, obwohl er in einer Zukunftsbranche tätig ist. Ausbildung gehört zur DNA des Handwerks, machte er klar: „Wir brauchen Eigengewächse.“ Allerdings ist ein Handwerksberuf oft nicht das, was Eltern und Berufsberater empfehlen. Die Schule vermittele zu wenig praktische Inhalte, um zum Beispiel Interesse an Elektrotechnik zu wecken, kritisierte Janning. Dazu kommt: Kleine Betriebe seien damit überfordert, auf zahllosen Plattformen Werbung für sich als Arbeitgeber zu machen. Der Unternehmer wünscht sich mehr Unterstützung dabei, die Jugendlichen zu erreichen. 

Niedersachsen-Metall: Kommunen sind für Ausstattung an Schulen verantwortlich

Die Auftraggeber der Umfrage sind sich bewusst, dass das Schulsystem unter Lehrermangel und fehlenden Fördermöglichkeiten für zugewanderte Kinder ächzt. Trotzdem richten sie ihre Forderungen auch an diese Adresse: „Die Deutschkenntnisse und die Berufsorientierung müssen verbessert werden“, mahnt Stiftungs-Geschäftsführer Brandes. Wenn die Experten der Stiftung mit ihren Experimentier-Koffern in den Physik- oder Chemie-Unterricht kommen, biete sich ihnen oft ein „apokalyptisches“ Bild, ergänzt Schmidt: Die desaströse Ausstattung der Räume lasse nicht den Verdacht aufkommen, dass hier Zukunftstechniken vermittelt werden. Hier seien die Kommunen als Schulträger in der Pflicht. „Bisher habe ich noch nicht erlebt, dass Kommunalpolitiker die Ausstattung der Schulen als Wahlkampf-Thema entdeckt hätten“, sagte der Niedersachsen-Metall-Hauptgeschäftsführer.

Er regt außerdem Mentoring-Programme an, bei denen Studierende der Naturwissenschaften an die Schulen gehen und als Vorbilder für MINT-Begeisterung dienen. Auch die eigene Branche nimmt Schmidt in die Pflicht: Die Themen, die aktuell Menschen beschäftigen, müssten sich auch in den Berufsbezeichnungen und Ausbildungsgängen spiegeln. „Warum gibt es zum Beispiel noch keine klassische Ausbildung zum Solartechniker?“, fragt er und fordert: „Die Gewerkschaften sollten aufhören, die zweijährige Ausbildung als nicht vollwertig zu stigmatisieren.“ Man müsse vielmehr in Modulen denken, die einen Einstieg bieten und auf die man später noch aufbauen kann.