Von Martin Brüning

„Immer mehr Autofahrer setzen auf Digitalradio“, titelte der MDR im Mai auf seiner Nachrichtenseite im Internet und ließ gleich zu Beginn einen Multimedia-Spezialisten unter den Kraftfahrzeugmechanikern zu Wort kommen, der von DAB plus „überzeugt“ sei, um dann die vielfältigen Vorteile des Digitalradios vorzustellen. Der MDR hat am speziellen und journalistisch etwas fragwürdigen Inhalt dieser Nachricht ein gewisses Eigeninteresse, denn die öffentlich-rechtlichen Sender haben seit den 90ern mindestens einen hohen dreistelligen Millionenbetrag für das Technikexperiment ausgegeben – finanziert aus den Rundfunkgebühren.

DAB plus hat bei den deutschen Radiohörern eher den Exotenstatus

Dennoch ist die Verbreitung von DAB plus in Deutschland nach wie vor äußerst übersichtlich. Die deutschen Radiohörer setzen in der Breite immer noch auf das gute alte UKW-Radio. Auf Platz zwei liegt inzwischen das Radiohören über Internet. Die hohen Millionenbeträge für DAB plus haben nicht verhindern können, das inzwischen mehr Deutsche Radio zum Beispiel über das Smartphone oder smarte Sprachassistenten hören, anstatt sich ein Digitalradio zu kaufen. An der Technologie scheiden sich nach wie vor die Geister. Das wurde auch bei einer Anhörung im Medienausschuss des niedersächsischen Landtages in der vergangenen Woche deutlich. Hintergrund war ein Antrag der FDP-Fraktion zum Thema DAB plus. Auf der einen Seite kämpfen die Öffentlich-Rechtlichen und einige Technikbegeisterte nach wie vor für die Technologie, alle anderen denken schon weiter und halten das, was für die ARD zur Zukunft gehört, schon längst für Vergangenheit.

In Norwegen sank mit der UKW-Abschaltung die Hörerzahl

Sorge bereitet vor allem den privaten Radiosendern eine mögliche Zwangsabschaltung von UKW durch die Politik. Die Unternehmerverbände Niedersachsen (UVN) sprachen in der Anhörung von einem unzulässigen Eingriff in den Markt. Eine Zwangsabschaltung sei sehr gefährlich. Harald Gehrung, Geschäftsführer von Radio ffn, forderte eine „Bestandsgarantie für den Leitübertragungsweg UKW“. Als mahnendes Beispiel haben die Sender Norwegen vor Augen. Dort wurde Ende vergangenen Jahres das UKW-Netz zwangsabgeschaltet. 99,5 Prozent der Hörer könnten in Norwegen jetzt Digitalradio empfangen, 60 Prozent der Haushalte hätten ein DAB plus-Radio, jubelt zwar das Deutschlandradio. Doch trotz der sich aus den Zahlen ergebenden theoretischen Möglichkeit, Radio zu hören, sanken die Hörerzahlen deutlich von 68 Prozent im Januar 2017 auf rund 48 Prozent Mitte Juli 2018. Das sei das typische Sommerloch, erklären die DAB plus-Befürworter inzwischen, können damit aber nicht verhindern, dass in Norwegen eine politische Debatte über einer mögliche Rückkehr zur Ultrakurzwelle begonnen hat.

DAB plus unterstützt die Geschäftsmodelle der landesweiten niedersächsischen Hörfunkveranstalter nicht

Den privaten Sendern bereiten allerdings nicht nur die möglichen Hörerverluste Kopfzerbrechen. Sie sehen ihr Geschäftsmodell teilweise in Gefahr. Man sehe „erhebliche technische Defizite“, so Steffen Müller, Geschäftsführer von Radio 21. Sein Problem: Der Sender schaltet nach eigenen Angaben bisher bis zu 25 mal pro Stunde auseinander. Das beginnt bei Programmbeiträgen und geht bis zu Jingles, den kurzen Erkennungsmelodien der Sender, in denen dann zum Beispiel der jeweilige Ort genannt wird. Auch bei der Werbung setzt der Sender zum Beispiel auf kleine und mittelständische Betriebe, die durch das Auseinanderschalten in ihrem Umkreis für sich werben können. So kleinteilig würde es mit der DAB plus-Technologie nicht mehr gehen.

Die niedersächsische Landesmedienanstalt (NLM) hatte Experten der TU Braunschweig Möglichkeiten dafür ausloten lassen. Der Modellversuch habe gezeigt, dass das temporäre Auseinanderschalten zur Verbreitung von lokalen Informationen nicht ermöglicht werde. „DAB plus unterstützt die Geschäftsmodelle der landesweiten niedersächsischen Hörfunkveranstalter nicht“, heißt es in der Stellungnahme der NLM. Hinzu kommt, dass die Privaten sich wirtschaftlich massiv unter Druck gesetzt sehen, zumal ihnen keine Milliardenbeiträge aus den Rundfunkbeiträgen zur Verfügung stehen. Gerade erst sei man gezwungen gewesen, sich an den UKW-Sendern und Antennen finanziell zu beteiligen, deshalb sei eine zusätzliche finanzielle Belastung für seinen Sender nicht darstellbar, moniert die Geschäftsführer des landesweit größten Privaten, Radio ffn, Harald Gehrung. Zudem kosten die Verbreitung über DAB plus zusätzliches Geld ohne die Möglichkeit zusätzlicher Erlöse. „Die Programm-Distributionskosten würden sich gegenüber der UKW-Verbreitung verachtfachen“, heißt es bei Radio 21.

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Die Öffentlich-Rechtlichen setzen dagegen nach eigenen Worten auf eine „hybride Strategie“. Das bedeutet: für den ersten Übergang noch UKW, dann auf DAB plus und das Internetradio. Wie lange dieser Übergang dauern könnte, bleibt unklar. Deshalb könne eine „Festlegung auf ein konkretes UKW-Abschaltdatum heute noch nicht getroffen werden“, heißt es in der Stellungnahme des NDR. Nur auf das Internetradio will man sich beim Norddeutschen Rundfunk nicht verlassen, schließlich gebe es dabei gleich mehrere Hindernisse. Zum einen sei Radio dann nicht mehr kostenlos empfangbar, weil der Hörer schließlich einem Provider erst einmal Geld überweisen müsse. Zum anderen könne die Netzabdeckung je nach Provider unterschiedlich ausfallen. 5G als grundsätzlich denkbarer Rundfunkstandard werde noch für lange Zeit nicht verfügbar sein.


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Die Unternehmerverbände sehen den 5G-Standard dagegen als die Zukunft für zahlreiche Innovationen, auch für die Radiosender. Die Forderung des Landeswirtschaftsminister nach „5G an jeder Milchkanne“ sei mehr als eine Floskel, für das Thema schnelle Internet gebe es zudem eine breite Akzeptanz, DAB plus sei dagegen weithin unbekannt.

Die Millionen fließen erst einmal weiter

Und so kämpft beim Thema Digitalradio weiterhin jeder für sich: Die Privatsender in Niedersachsen setzen auf den Faktor Zeit und darauf, dass die 5G-Verbreitung so schnell vorankommt, dass DAB plus nur noch so modern wie ein Festnetztelefon wirkt. Das Deutschlandradio hofft durch DAB plus endlich einmal auf eine bundesweit lückenlose Empfangbarkeit, gibt es im UKW-Netz bei den DRadio-Sendern nach wie vor größere Flächen, in denen sie nicht zu hören sind. Und die öffentlich-rechtlichen Anstalten wie der NDR schielen auf die Millionen, die in den vergangenen Jahren für DAB plus ausgegeben wurden, und vielleicht erhoffen sie sich durch die neue Technologie auch einen weiteren kleinen Wettbewerbsvorteil gegenüber den Privaten.

Wie es sich auch entwickelt, die Millionen fließen erst einmal weiter: „Für die Periode 2017 bis 2020 haben die ARD 122,7 Millionen und das Deutschlandradio 73,3 Millionen Euro für das Entwicklungsprojekt DAB plus angemeldet“, so die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten.