Am Anfang waren die Länder und erst dann kam der Bund. Als vor 75 Jahren die Bundesrepublik aus der Taufe gehoben wurde, hatte sie viele Väter und eine Handvoll Mütter. Sie hatte aber auch Paten, ohne die es diese Taufe nie gegeben hätte: Es waren die Länder, die den Auftrag zur Erarbeitung des Grundgesetzes gegeben haben und darin mitunter minutiös regeln ließen, wer für welche Aufgaben zuständig ist – und wer jeweils auch wieder nicht. Häufig genug gibt es aber gar keine klare Trennung, sondern eine Verschränkung von Macht. In Deutschland sind es stets viele, die mitentscheiden dürfen und müssen. Und für die Umsetzung sind ohnehin wieder meist die Länder zuständig. Gute Gründe für das Festhalten am Föderalismus gibt es viele, die Macht sollte zum Beispiel nie in einer Hand allein liegen. Das macht die Verfahren vielleicht manchmal langsam, aber auch besser für den Menschen. Sowohl die Gewalten als auch die Ebenen sind auf feine Weisen miteinander verwoben – keiner kann ohne den anderen.

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Wie genau die Zusammenarbeit zwischen den Ebenen aussieht, wird dabei stets neu verhandelt. Manchmal geschieht dies in großen Schritten mit viel Aufmerksamkeit, etwa durch eine Föderalismusreform, wenn die Zuständigkeiten ganz offiziell neu verteilt werden. Durchaus bedeutsam und deshalb interessant ist aber auch die Verschiebung, die schleichend stattfindet. Augenfällig wurde eine solche Verschiebung von Macht – wie so häufig – in der Krisensituation. Während der Corona-Pandemie trat plötzlich ein Gremium in den Vordergrund, das die Verfassung eigentlich gar nicht kennt: die Ministerpräsidentenkonferenz, kurz MPK. In den Pandemie-Jahren entwickelte sich die MPK zeitweilig zum Entscheidungszentrum für Wohl und Wehe der Republik. Wann müssen Schulen geschlossen werden? Wo dürfen Gartencenter öffnen? Es nahm zuweilen absurde Züge an und die nächtlichen Sitzungen der MPK gerieten in Verruf, auch weil Thüringens Landeschef in einem Interview verriet, er würde nebenbei „Candy Crush“ spielen, weil er sich so langweilte. Kritiker erzürnte diese (elitäre) Runde, die hinter verschlossenen Türen tagte und gar keine Legitimation durch die Verfassung kannte.

In Deutschland sind es stets viele, die mitentscheiden dürfen und müssen.

Beides, sowohl die Überbetonung als auch die Verächtlichmachung der Runde der Ministerpräsidenten mit der damaligen Kanzlerin, kann aber auch als Teil eines gesellschaftlichen und politischen Aushandlungsprozesses verstanden werden. Das Grundgesetz hat schließlich viele Prozesse möglich gemacht, ohne sie wirklich zu regeln. Das geschah in dem Spielraum, den das Verfassungsdokument gelassen hat, in dem sich die Republik als solche entfalten konnte und kann. Wie die Bundesregierung ihre Arbeit verrichtet, wird beispielsweise auch nicht durch die Verfassung geregelt. Und wie die Länder sich im Bundesrat verhalten, ist im Konkreten ebenso wenig grundgesetzlich festgeschrieben. Dass sich ein Land aber der Stimme enthält, wenn die Koalitionspartner im Kabinett sich nicht einigen können, hat sich weitgehend durchgesetzt.

Neben der Runde der Ministerpräsidenten gibt es noch für zahlreiche andere (Landes-)Fachminister Konferenzen, auf denen man sich üblicherweise zweimal im Jahr austauscht. Niedersachsen hat derzeit den Vorsitz in der altehrwürdigen Justizministerkonferenz. Ganz neu in der Riege ist seit kurzem die Digitalministerkonferenz, die sich in diesem Jahr zum ersten Mal getroffen hat. Was auf diesen Konferenzen entschieden wird, hat formal keine bindende Wirkung, es hat aber koordinierenden und appellierenden Charakter. Wie in der Corona-Pandemie gilt: In manchen Fällen ist es einfach sinnvoll, dass sich die Länder miteinander abstimmen, um absurde Situationen an den Grenzen zu vermeiden. Ihre Freiheit, sich nicht an die Beschlüsse zu halten, bleibt davon unbenommen. Hinzu kommt, dass die Länder und vor allem die einzelnen Landesminister über diesen Weg noch mehr Gewicht und Profil erhalten. Gerade weil die Abstimmung im Bundesrat einer anderen Logik folgt, stärkt die wachsende Wahrnehmbarkeit der Fachministerkonferenzen die Länder – und das alles im Rahmen des Grundgesetzes.