Nach Ansicht von Oberlandeskirchenrätin Kerstin Gäfgen-Track, theologische Bevollmächtigte der Konföderation der evangelischen Kirchen in Niedersachsen, steht für die politische Kommunikation in Deutschland viel auf dem Spiel. Nach der Europawahl sieht sie gute Chancen, dass sich junge Menschen stärker in den gesellschaftlichen Diskurs einbringen. Gäfgen-Track äußert sich in einem Interview mit dem Politikjournal Rundblick.

Der Youtuber Rezo und Kerstin Gäfgen-Track – Foto: Rezo (Screenshot aus seinem Video), Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen

Rundblick: Das Video des Youtubers Rezo, in dem dieser sich zum Thema „Zerstörung der CDU“ äußert, hat die CDU massiv verunsichert. Die Bundesvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer empfahl auch für Youtube-Videos in Wahlkampfzeiten bestimmte Regeln. Das ist von ihren Kritikern als Aufruf zur Zensur gewertet worden. Wie sehen Sie das?

Gäfgen-Track: Ich denke, wir sollten Influencern wie Rezo ihre Tätigkeit nicht verbieten, auch nicht in Wahlkämpfen. Das hat es doch früher auch gegeben, denken Sie an die Aktion „Willy wählen“ im Jahr 1972, an der sich auch Schriftsteller wie Günter Grass und Heinrich Böll beteiligt hatten. Solche Aktionen hat es immer gegeben, und sie gibt es heute in anderer Form – etwa über Youtube. Es kommt doch entscheidend darauf an, dass wir die jungen Menschen mit ihren Botschaften anhören, dass wir sie ernstnehmen und diese aktiv am demokratischen Meinungsbildungsprozess mitwirken. Eine ganz andere Frage ist der Stil, in dem Videos wie das von Rezo verfasst sind.

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Rundblick: Aber da will ich einhaken. Drückt die Rigorosität und Selbstgerechtigkeit, in der Rezo seine Botschaften eilig aneinandergereiht hat, nicht auch eine gehörige Portion Populismus aus – nämlich Populismus von links? Hat er die Zuhörer nicht mit Thesen überfrachtet, die diese nur sehr schwer auf ihre Relevanz überprüfen können?

Gäfgen-Track: Da möchte ich widersprechen. Rezo hat sich erkennbar vorher mit den Themen, die er über 55 Minuten präsentiert hat, beschäftigt. Er hat Quellen genannt und eine gewisse Transparenz ermöglicht. Aber natürlich muss auch an ihn die Anforderung gestellt werden, dass er mit seiner Wortwahl niemand beleidigen, diskriminieren oder herabwürdigen darf. Diese Pflicht zur Selbstprüfung gilt für Politiker wie für Journalisten – und natürlich auch für Influencer wie Rezo.

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Rundblick: Bleiben wir zunächst beim Phänomen des Populismus. Was zeichnet diese Haltung aus – und was ist in der politischen Kommunikation gefährlich?

Gäfgen-Track: Populisten suchen für Probleme, die sie benennen, pauschal einen Sündenbock, einen Schuldigen. Sie behaupten immer, selbst alles besser zu wissen als die, die sie heftig kritisieren. Sie greifen eine Gruppe heraus, die sie herabwürdigen und beschimpfen. Sie bieten einfache Lösungen an – und wissen oft doch selbst, dass Politik mit den schwierigen und langwierigen Prozessen oft keine schnellen und einfachen Antworten geben kann, weil Kompromisse verschiedener Interessen nötig sind.

Rundblick: Also ist Rezo in diesem Sinne auch ein Populist…

Gäfgen-Track: Ich sehe ihn eher als einen Repräsentanten der jungen Generation, der seine Popularität geschickt genutzt hat. Und die Politik ist in der Pflicht, die junge Generation einzubeziehen. Die Chancen stehen nicht schlecht, denn die starke Beteiligung junger Menschen an der Europawahl ist ein gutes Zeichen. Die Grünen haben davon profitiert, und Robert Habeck hat die einzig richtige Antwort darauf gegeben: Wir Grüne, sagte er, müssen jetzt liefern. In der Tat muss die Politik die Rufe der jungen Generation nach einem verstärkten Engagement der Politik zum Klimaschutz in praktisches Handeln umsetzen. Tut sie es nicht, produziert sie Enttäuschungen – und riskiert, dass sich nicht nur die jungen Leute wieder abwenden.

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Rundblick: Sie verwenden in diesem Zusammenhang den Begriff „Repräsentationslücke“. Was meinen Sie damit?

Gäfgen-Track: Es geht um Menschen, die denken, die Volksvertreter würden ihre Haltung nicht mehr richtig vertreten. Ganz krass fällt das auf bei den Anhängern der AfD: Viele ihrer Wähler befinden sich schon außerhalb des gesellschaftlichen Dialogs und unterstützen die Partei, weil sie auf Konfrontation zu den etablierten Politikern geht und verspricht, die Anliegen der Menschen zu Gehör zu bringen (Wir sind das Volk.). Andere tun dies, weil sie auf Veränderungen in der Politik hoffen. Bei den jungen Leuten, die sich für den Klimaschutz engagieren, ist es, wie ich beobachte, in dieser Hinsicht anders. Sie wollen Gehör finden für ihr Anliegen – und sie wollen ernst genommen werden. Die Reaktion der Parteien – etwa auf die Bewegung „Fridays for future“ oder auf Rezo – ließ oft nicht erkennen, dass die Politiker die Botschaften so verstehen, dass sie nun ihrerseits wirksamen Klimaschutz betreiben wollen. Die große Aufgabe von Parteien, Gewerkschaften, Verbänden und Kirchen ist es aber, junge Leute stärker mitgestalten zu lassen.

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Rundblick: Welche Voraussetzungen hat die stärkere Beteiligung an der Politik?

Gäfgen-Track: Zuerst ist es die Bildung: Nur wer die demokratischen Prozesse verstehen und nachvollziehen kann, wer die Komplexität begreifen kann, ist auch fähig zur Teilnahme an den Prozessen. Es braucht Bildung, damit man andere Überzeugungen akzeptieren und Kompromisse eingehen kann. Hier sind weniger gebildete Menschen benachteiligt gegenüber gebildeten, Menschen in ländlichen Gegenden benachteiligt gegenüber Stadtmenschen.

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Rundblick: Brauchen wir neue Formen?

Gäfgen-Track: Unbedingt. Das Internet als Basis für die Kommunikation ist wichtig – aber auch riskant. Wer den ganzen Tag am Computer verbringt, versäumt das Gespräch mit dem Nachbarn, in der Dorf- oder Stadtgemeinschaft. Wichtig sind die Medien. Wir sollten Kinder dazu anhalten, jeden Tag eine Zeitung oder einen Informationsdienst zu lesen, damit sie jeden Morgen zwei wichtige Informationen aufnehmen: Was ist los in meiner häuslichen Umgebung? Was sind die großen politischen Themen, die aktuell eine Rolle spielen?

Rundblick: Aber die repräsentative Demokratie mit der Grundthese, dass Volksvertreter im Auftrag des Volkes die komplexen Fragen entscheiden, hat sich doch im Grunde bewährt, oder?

Gäfgen-Track: Ja, aber für Politiker gilt, dass sie den Kontakt zu den Menschen – aktuell gerade zu den jungen Menschen – nicht verlieren dürfen. Sie sollten sich den Bürgern stellen, mit ihnen diskutieren, von ihnen wichtige Hinweise aufnehmen – und nicht stets versucht sein zu sagen: Das geht nicht, das ist viel zu kompliziert. Um mit Luther zu sprechen: Sie sollten dem Volk aufs Maul schauen.