In den Parteiführungen in Hannover wird gegenwärtig zwar auch über Landespolitik gesprochen – aber das nur am Rande. Denn es richten sich bei SPD, CDU, Grünen, FDP und AfD die Blicke nach Berlin, es herrscht spürbare Anspannung. Gelingt es der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP, eine Lösung in der Haushaltskrise zu erreichen – und das Loch von rund 30 Milliarden Euro zu stopfen? Nach Lage der Dinge ginge das wohl nur, wenn der Bundestag für 2023 und für 2024 eine „Notlage“ beschließt. Das könnte die Regierungsmehrheit allein bewerkstelligen. Allerdings wäre ein solcher Weg juristisch angreifbar und dürfte eine neue erfolgversprechende Klage der Opposition nach sich ziehen.

Sprengen sie gemeinsam die Ampel? Friedrich Merz (links) und Olaf Scholz. | Foto: Tobias Koch, Maximilian König, mit KI generiert, Montage: Link

In der Verfassung sind die „Notlagen“ als Ausnahme von der Schuldenbremse nur für plötzliche Krisen vorgesehen – so für Naturkatastrophen oder Pandemien, vielleicht noch für den Ukraine-Krieg. Alles, was sich längerfristig entwickelt, kann wohl kaum unter „Notlage“ verbucht werden. Eine rechtlich tragfähige Lösung wäre deshalb wohl nur, das Grundgesetz zu ergänzen. Man könnte etwa die Ausnahmevorschriften der Schuldenbremse lockern, den gestatteten Kreditrahmen erweitern oder zum Zwecke des Klimaschutzes ein Sonderrecht für Verschuldung festschreiben. Das Problem ist nur: Dazu bräuchte die Ampel-Regierung die Mitwirkung der CDU für eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag. Es reichte auch eine Mehrheit von SPD, CDU/CSU und FDP (oder Grünen). Ohne die Union indes wäre es unmöglich. Auch im Bundesrat müsste die Zweidrittelmehrheit erreicht werden.

Diese prekäre Lage lässt die Parteistrategen seit Tagen stark grübeln – auch die in Hannover. Vor dem am heutigen Freitag beginnenden SPD-Bundesparteitag werden Szenarien durchgespielt. Kommt die Ampel zu keiner Einigung über den Bundeshaushalt 2024 noch im Dezember, so würde im Januar die „vorläufige Haushaltsführung“ beginnen. Das hieße dann, dass Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) zunächst die Hand über sämtliche bisherigen Ausgaben halten könnte, seine Macht würde schlagartig wachsen. Das löst weder bei SPD noch bei Grünen Freude aus, auch nicht bei der CDU/CSU.



Die „vorläufige Haushaltsführung“ wäre ja überdies ein Eingeständnis der Handlungsunfähigkeit der Bundesregierung und würde aus der Ampel-Krise eine Staatskrise machen. Deshalb könnte ein Beenden der Ampel-Regierung im strategischen Interesse auch der SPD liegen. Für die SPD wäre das auch eine strategische Chance, da sie im nächsten Jahr Asylrechtsverschärfungen ohne die Grünen leichter durchsetzen könnte. Vielleicht wagt die SPD schon den Koalitionsbruch beim SPD-Bundesparteitag? Sollte Kanzler Scholz die FDP-Minister entlassen? Da Rot-Grün dann keine Mehrheit im Bundestag hätte, würden womöglich die Grünen-Minister aus Protest zurücktreten. So käme die Union ins Spiel.

Womöglich könnte Friedrich Merz, der in den eigenen Reihen umstritten ist, dann als Vizekanzler und Wirtschaftsminister in ein Regierungsamt kommen und damit automatisch die Kanzlerkandidatur der CDU/CSU beanspruchen. Dies sehen viele in der CDU, die nicht zum Merz-Fanclub gehören und lieber NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst als Leitfigur hätten, ausgesprochen kritisch. Für Merz und einen Teil der CDU/CSU-Funktionsträger im Bundestag aber wäre dieser Weg aber die Gelegenheit, sich in der Krise in Regierungsämter zu retten. Auch diese Perspektive löst nicht überall in der CDU helle Zustimmung aus.

Der Weg zu Neuwahlen indes erscheint schwierig. Wenn die Ampel-Regierung zerbricht und Scholz keine neue Koalition erreichen kann, müsste er die Vertrauensfrage stellen und würde sie wohl verlieren. Die Basis für Neuwahlen wäre zunächst da. Doch dann käme Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ins Spiel und würde wohl auf die Union einwirken, aus staatspolitischer Verantwortung Junior-Partner im Kabinett Scholz zu werden. Neuwahlen befürchtet vor allem die SPD, in der Steinmeier groß geworden ist, vermutlich auch die FDP. Allgemein wird damit gerechnet, dass die AfD bei vorgezogenen Wahlen extrem stark würde. Neuwahlen – vielleicht parallel zur Europawahl Anfang Juni – kämen wohl auch für das Wagenknecht-Bündnis zu früh.

Stephan Weil schaut kritisch auf Olaf Scholz. Vom Bundeskanzler hat er beim Brückenstrompreis für die Industrie mehr erwartet. | Foto: Link (Archiv)

Auffällig ist, dass Ministerpräsident Stephan Weil sich seit Monaten sehr kritisch über die Ampel-Politik äußert, auch öffentlich. Jüngst hat er gegenüber „table-media“ und dann auch gegenüber der Deutschen Presse-Agentur scharfe Kritik vor allem an Lindner geübt und gerügt, dass das nötige Geld für Investitionen (etwa für Wasserstoff-Projekte, aber auch für die Infrastruktur) fehle. Auch mit den bisherigen Ampel-Angeboten für einen „Industriestrompreis“, der energieintensive Unternehmen entlasten und vor einer Abwanderung ins Ausland bewahren soll, ist Weil höchst unzufrieden.



Hier weiß der niedersächsische Ministerpräsident, dass starke Kräfte in der CDU/CSU ebenfalls für Strompreis-Subventionen zugunsten der Industrie eintreten – ganz im Gegensatz zur FDP, die gegenwärtig noch in der Bundesregierung mitwirkt. So dürfte Weil insgeheim auf eine Kooperation von SPD und Union in Berlin hoffen, während er gleichzeitig immer wieder die gute Stimmung von Rot-Grün in Niedersachsen betont.