Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens hat die neue Statistik der „politisch motivierten Kriminalität“ vorgestellt – und dabei ein unbefriedigendes Ergebnis präsentiert. Obwohl die Zahl der 2022 ermittelten Taten mit 4768 um elf Prozent unter der von 2021 liegt, fällt den Behörden eine Einordnung der Entwicklungen zunehmend schwieriger. Erstmals liegt mit 2181 Taten der Bereich der einem bestimmten politischen Extremismus „nicht zuzuordnenden“ Vorkommnisse an der Spitze – gefolgt von rechtsextrem motivierten Fällen (1725) und linksextremen (693). Die Ministerin erklärte, dass die aktuelle Entwicklung aus mehreren Gründen nicht beruhigend sei.

Daniela Behrens, Ministerin für Inneres und Sport | Foto: MI

Erstens sei es nicht ausreichend, wenn die Polizei bundesweit ratlos bleibe, welcher politisch extremen Richtung eine zunehmende Zahl an Vorkommnissen zugeordnet werden kann. „Wir müssen das besser klassifizieren können, damit wir die Präventionsarbeit darauf einstellen können.“ Zweitens sei die politisch motivierte Kriminalität zwar im Vergleich zu 2021 rückläufig, aber dennoch auf einem hohen Niveau – mit Blick auf die vergangenen zehn Jahre sei es der zweithöchste Wert. Drittens spüre sie „eine Unruhe in der Bevölkerung“, teilweise erlebe man „aufgeheizte politische Debatten“. In ländlichen Gegenden stelle sie überdies fest, dass Diskussionen über die Aufnahme von Flüchtlingen „zunehmend schwieriger werden“. Die Politiker seien aufgerufen, ihre Absichten besser zu erklären. Die Institutionen des Staates müssten zudem gestärkt werden.

Wie Landespolizeidirektor Ralf Leopold erläuterte, werden unter dem Oberbegriff „nicht zuzuordnen“ unter anderem Querdenker, Verschwörungstheoretiker und einige Reichsbürger erfasst, außerdem Putin-Anhänger. Das reiche „oft in bürgerliche Milieus hinein“. Auch wenn die Prägung oft antisemitisch oder fremdenfeindlich sei, könne man die rechtsradikale Ausrichtung nicht eindeutig zuweisen. Ein klassisches rechtsextremes Profil sei rassistisch, betreffe die NS-Ideologie und völkische Haltungen. Bei den Reichsbürgern indes gebe es eine große Zahl von Menschen, die die Bundesrepublik als Staat ablehnten, keine Steuern zahlen wollen, die Polizei nicht akzeptierten und staatliche Behörden erpressen oder nötigen wollten. Dies sei nicht immer rechtsextrem ausgerichtet, sondern oft per se staatsfeindlich. Von den 180 Straftaten, die 2022 etwa Reichsbürgern oder Selbstverwaltern zugeordnet werden, sind nach den Ordnungskriterien der niedersächsischen Polizei nur 32 rechtsextremistisch angehaucht, 148 hingegen seien „nicht zuzuordnen“.



Klimaaktivisten begehen 152 Straftaten

Zu dieser immer größer werdenden Gruppe der „nicht zuzuordnenden“ Straftaten werden auch die radikalen Klimaaktivisten gezählt, die beispielsweise mit Klebe-Aktionen auffallen, Gebäude besetzen oder Eigentum beschädigen. Das waren 2022 insgesamt 152 Straftaten. Bei den „rechtsextrem motivierten Straftaten“ sind die Propagandadelikte (Zeigen von Hakenkreuzen oder Hitlergruß) mit 60 Prozent überwiegend. In 66 Fällen kam es zu Gewalt – etwa Körperverletzungen. Bei linksextremistisch motivierten Taten besteht die große Mehrzahl aus Sachbeschädigungen (etwa von Plakaten im Wahlkampf), auch hier gab es 64 Gewalttaten wie Körperverletzungen. Vieles sei im Umfeld des Landtagswahlkampfes geschehen.

Mit einer Sitzblockade stören Umweltaktivisten der „Letzten Generation“ den Verkehr vor dem Wirtschaftsministerium in Hannover. | Foto: Wallbaum

Behrens kündigte an, dass sie die Pläne von Bundesinnenministerin Nancy Faeser zur Verschärfung des Disziplinarrechts begrüßt. Faeser will über die „Disziplinarverfügung“ etwa solche Polizisten, die sich in rechtsextremen Kreisen bewegen, zügig aus dem Dienst entfernen. Das bisher recht langwierige und an gerichtliche Schritte gebundene Disziplinarklage-Verfahren soll damit abgekürzt werden. „Sobald das auf Bundesebene entschieden ist, werden wir auch in Niedersachsen festlegen, wie wir vorgehen. Die Regelanfrage beim Verfassungsschutz für jeden, der zur Polizei will, gehört dann dazu“, sagte Behrens.

„Wenn vom Putsch träumende Reichsbürger in den Statistiken nicht zuzuordnen sind, dann stimmt etwas nicht mit der Statistik.“

Michael Lühmann, Grünen-Landtagsabgeordneter
Michael Lühmann | Foto: Grüne/Brauers

Der Grünen-Innenpolitiker Michael Lühmann verschickte nach Behrens‘ Pressekonferenz eine Stellungnahme und erklärte, dass dem Phänomen „nicht zuzuordnen“ aus seiner Sicht „in der Regel ideologische Muster der extremen Rechten zugrunde liegen“. Er fügte hinzu: „Wenn vom Putsch träumende Reichsbürger in den Statistiken nicht zuzuordnen sind, dann stimmt etwas nicht mit der Statistik.“