Die Vorbereitungen auf die Europawahl 2024 laufen allmählich an. Das Politikjournal Rundblick befragt einige Europaabgeordnete nach ihren Einschätzungen und Erwartungen. Niklas Kleinwächter hat mit Jan-Christoph Oetjen aus Rotenburg/Wümme gesprochen.

Jan-Christoph Oetjen (rechts) berichtet im Podcast mit Niklas Kleinwächter über seine Arbeit im EU-Parlament. | Foto: Gartz

Ist das Einstimmigkeitsprinzip in der EU, was beispielsweise die Außenpolitik angeht, noch zeitgemäß? Jan-Christoph Oetjen aus Rotenburg/Wümme, Europaabgeordneter der FDP, sieht einen durchaus erheblichen Reformbedarf. Zwar habe sich in der EU etwas gewandelt. In Polen, das lange Zeit die Migration sehr kritisch gesehen hat, betrachte man mit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine die Flüchtlingsfrage anders – kein anderes Land habe so viele Kriegsvertriebene aufgenommen wie Polen. In Tschechien haben sich bei einem Regierungswechsel die moderaten Kräfte durchgesetzt. Nur Viktor Orban, der Ministerpräsident aus Ungarn, nutze sein Nein zur Migration als Mittel zur Blockade der EU-Politik.

Mehrheitsbildung im EU-Parlament? Eher wie ein Gemeinderat, weniger wie im Bundestag

Für Oetjen, den liberalen Politiker, ist das ungarische Modell der „illiberalen Demokratie“ nichts anderes als eine autokratische Herrschaftsform. Da ja die Außenpolitik der EU auf eine Einstimmigkeit angewiesen ist, drohe ein Land wie Ungarn alles aufzuhalten – „wie in einer Gemeinderatssitzung, in der man auf den letzten Dösel warten muss“. Verschlimmert werde das dadurch, dass auch die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni ähnliche Töne wie Orban anschlage. Die Wirklichkeit indes, fügt Oetjen hinzu, sehe dann doch differenzierter aus. Tatsächlich gebe es ja, trotz der immer wieder hervorgehobenen Nein-Haltung des ungarischen Regierungschefs, einige doch weitgehende Sanktionen der EU gegen Russland.

Oetjen hat fast 15 Jahre lang im Landtag gearbeitet, bevor er in das EU-Parlament wechselte. Warum hat er die politische Ebene verändert? „Ich wollte etwas anderes erleben, neue Gestaltungsmöglichkeiten nutzen“, sagt Oetjen, der mit einer Französin verheiratet ist und inzwischen mit ihr und den Kindern in Brüssel wohnt. Der FDP-Politiker sieht einen großen Unterschied zu den Parlamenten auf Bundes- und Landesebene. „Bei uns in Europa ist die Freiheit viel größer“, sagt er. Einen eigenen „Wahlkreis“ hat Oetjen nicht, als EU-Abgeordneter der FDP ist er für gleich drei Bundesländer als Betreuungsgebiet zuständig – neben Niedersachsen noch Bremen und Sachsen-Anhalt.

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Die größere Freiheit, die Oetjen bei den EU-Abgeordneten sieht, hängt auch mit dem Selbstverständnis des EU-Parlamentes zusammen. Dort gibt es die festgefügte Einteilung in Mehrheit oder Minderheit nicht, auch nicht die Konfrontation zwischen Parlament und Regierung. „Bei fast jeder Abstimmung ist offen, in welche Richtung das Ergebnis ausfällt“, sagt Oetjen. Mal sei das Resultat „Mitte-links“, ein anderes Mal dann „Mitte-rechts“. Damit sei das Europaparlament näher an einem Gemeinderat als an nationalen oder regionalen Volksvertretungen. Vergleichbar sei auch die Erfahrung, dass ein Parlament einen schweren Stand habe, wenn die Verwaltung – hier also die EU-Kommission – eine bestimmte Richtung nicht wolle oder nicht unterstütze.

Oetjen arbeitet im Verkehrs- und Innenausschuss

Die FDP hat sich in einer Fraktion mit anderen liberalen Parteien und den französischen „Macronisten“ zusammengetan, also jener Partei, die dem französischen Staatspräsidenten Emanuel Macron nahe steht. Die Bezeichnung „liberal“ werde von den französischen Freunden nicht geteilt, und auch in einigen inhaltlichen Bereichen gebe es politische Unterschiede. So seien die Macronisten wie traditionell alle Parteien in Frankreich offen für staatliches Eingreifen in die Wirtschaft – während das die Liberalen in Deutschland eher kritisch einschätzen. Oetjen arbeitet im Verkehrs- und im Innenausschuss des EU-Parlaments, kümmert sich um Fragen der Migration oder auch um die „Verkehrswende“ bis hin zu CO2-armen Antriebsformen.



„Ich bin für Technologieoffenheit“, betont Oetjen. Für die Transportwirtschaft auf Straßen, Schienen oder Flüssen müsse es verschiedene Energieformen geben können – ebenso für den Flugverkehr, den Schwerlastverkehr und die Schifffahrt. Eine CO2-neutrale Antriebsform für Autos werde es 2035 sicher geben können in Deutschland und in den Benelux-Ländern. „Ob das aber in Rumänien und Bulgarien auch klappt, da hätte ich Zweifel“, sagt der FDP-Politiker. Und ob es sinnvoll sei, im eiskalten nordschwedischen Winter auf E-Autos zu setzen, sei auch fraglich.