Die Vorbereitungen auf die Europawahl 2024 laufen allmählich an. Das Politikjournal Rundblick befragt einige Europaabgeordnete nach ihren Einschätzungen und Erwartungen. Niklas Kleinwächter hat mit Viola von Cramon (Grüne) aus Göttingen gesprochen.

Die Europaabgeordnete Viola von Cramon war zu Gast im Podcast-Studio des Politikjournals Rundblick. | Foto: Struck

Im Europaparlament kümmert sich Viola von Cramon seit langem um die Außenpolitik, besonders die Kontakte nach Osteuropa liegen ihr am Herzen. Viele Jahre lang schon pflegt sie intensive Beziehungen in die Ukraine, und ihre Haltung ist hier absolut klar: „Es gibt kein bisschen grau in dieser Frage – die Fakten sind klar und eindeutig. Die Ukraine als souveräner Staat ist von den Russen überfallen worden, nachdem es schon 2014 die völkerrechtswidrige Annexion der Krim gegeben hat. Wenn wir jetzt zulassen, dass Putin die Ukraine als selbstständigen Staat vernichtet, dann wird das nicht das letzte Land sein, dass von ihm angegriffen wird.“ Wie steht die Grünen-Politikerin nun zu der Tatsache, dass es gerade in der niedersächsischen SPD sehr enge politische Beziehungen zu Putin und seinen Leuten gegeben hatte?

Von Cramon: Nähe zu Putin ist kein reines SPD-Problem

Viola von Cramon holt kurz aus und sagt, dass ja nicht allein die SPD betroffen sei. Man könne auch Namen nennen wie den des früheren hannoverschen CDU-Politikers Friedbert Pflüger oder den des FDP-Urgesteins Wolfgang Kubicki. In jeder Partei, auch teilweise bei den Grünen, habe es Kräfte gegeben, die Putin jahrelang wohlwollend begegnet seien. Es stimme aber wohl auch, dass in Niedersachsen „besonders eindringlich“ eine Männerfreundschaft rund um Gerhard Schröder und Putin gewirkt habe. Auch wenn Frank-Walter Steinmeier als Bundesaußenminister alles versucht habe, Russland eine „Modernisierungspartnerschaft“ anzubieten, so zeige sich doch auf der anderen Seite das Bild eines russischen Regimes, das von Anfang an den Westen habe unterwerfen wollen.

„Wir brauchen irgendwann im Bundestag einen Untersuchungsausschuss oder wenigstens eine Sonder-Staatsanwaltschaft, um diese Verbindungen aufzuhellen.“

Erschreckend sei, wie stark einige politische Eliten in Deutschland sich dazu bereitgefunden hätten, trotz vieler warnender Hinweise mit den Russen zu kooperieren. Beim Thema Nord-Stream-2 etwa hätten gerade Sozialdemokraten aus Niedersachsen gegen jede Vernunft und trotz warnender Hinweise die Entscheidungen so getroffen, dass die Abhängigkeit zu Moskau verstärkt wurde. „Ich denke, wir brauchen irgendwann im Bundestag einen Untersuchungsausschuss oder wenigstens eine Sonder-Staatsanwaltschaft, um diese Verbindungen aufzuhellen“, betont von Cramon. 

Abgeordnete rechnet fest mit einer EU-Mitgliedschaft für die Ukraine

Als Ukraine-Expertin hatte die Grünen-Abgeordnete schon im April 2021, also zehn Monate vor dem Angriffskrieg, merkwürdige Entwicklungen wahrgenommen. Putin habe an den Grenzen zur Ukraine Truppenverbände zusammengezogen und eine Kriegs-Infrastruktur aufgebaut. Aus heutiger Sicht, sagt sie, wäre es wohl besser gewesen, die EU und die EU-Mitgliedsstaaten hätten damals schon Putin klar die Grenzen aufgezeigt. Viele in der EU aber hätten der russischen Propaganda geglaubt, die die Ukraine als Hort von Faschisten bezeichnet hatte.

Politiknerds Podcast mit Viola von Cramon

Und wie haben die Menschen in der Ukraine die Zeit vor dem Krieg und seit Kriegsbeginn erlebt? Seit 1996 ist von Cramon immer wieder mal da gewesen, sagt sie, und es habe immer wieder Hinweise auf Fälle von Korruption in dem Land gegeben. Tatsächlich aber habe das Land spätestens seit 2014 große Fortschritte gemacht.

Von Cramon beschreibt, wie die Menschen noch kurz vor Kriegsbeginn nicht geglaubt hatten, dass es tatsächlich zu einem russischen Angriff kommt. Die offizielle Politik habe auch keine Panik verbreiten wollen. Nach dem 24. Februar 2022 sei sie dann in monatlichen Abständen immer wieder in der Ukraine gewesen – und habe erlebt, wie viele Menschen wie unter Schock oder wie in Trance agierten, wie stark das unmenschliche Agieren der russischen Soldaten die Leute präge.

„Es soll schon zügig gehen, aber wir können nicht suggerieren, dass man nur noch zwei oder drei Jahre warten müsse auf die formelle Mitgliedschaft.“

Die Ukraine, sagt von Cramon, werde bestimmt irgendwann EU-Mitglied werden. Sie könne aber nicht einfach an den Balkan-Ländern oder an der Türkei vorbeiziehen, die schon seit 20 oder gar 40 Jahren auf den Beitritt warten. „Es soll schon zügig gehen, aber wir können nicht suggerieren, dass schon alle Bedingungen erfüllt seien und man nur noch zwei oder drei Jahre warten müsse auf die formelle Mitgliedschaft. Das wird so nicht gehen.“



Die Grünen-Politikerin, die dem Realo-Flügel ihrer Partei angehört, wirkt künftig auch im „Kammernetzwerk“ der EKD mit. „Dort werden wir sicher die Frage besprechen, ob es noch richtig sein kann, einen imperialistischen Staat einfach gewähren zu lassen – oder ob der Pazifismus hier nicht die falsche Antwort ist.“