Sie hätte mit in das Familienunternehmen einsteigen können. Eine Firma für Kunststoffverarbeitung, die ihr Großvater aufgebaut hat und ihre Eltern nun führen. Doch Annika Hahlbrock hat sich für einen anderen Beruf entschieden, der genauso viel Einsatz und Verantwortung bedeutet: Die junge Frau will Landwirtin werden. Im blauen Sweatshirt, die langen blonden Haare zum Zopf gebunden, geht Hahlbrock an diesem Morgen über den Hof des Instituts für Nutztiergenetik bei Neustadt in der Region Hannover. Ihr Ziel ist der Stall. Zwei Kühe liegen in Einzelboxen im Stroh, ihre Bäuche sind dick, bald werden sie ihre Kälber zur Welt bringen. Die anderen Tiere kauen gemächlich auf der Silage herum, einer Mischung aus Kraftfutter, Mais und Gras. Es ist der dritte Hof, auf dem Hahlbrock arbeitet. Und hier lernt sie neben dem Pflanzenbau und der Pflege der Tiere auch die wissenschaftlichen Grundlagen der Zucht. Zurzeit ist die 22-Jährige in ihrem dritten und letzten Lehrjahr, hat schon zwei von drei Abschnitten der Abschlussprüfung hinter sich. Und was kommt danach? „Dann will ich Agrarwirtschaft studieren.“ Denn Landwirtschaft bedeutet längst nicht mehr nur, nach der Ausbildung auf einem Hof Tiere zu halten und Feldfrüchte zu ziehen. „Der Beruf hat unglaublich viele Sparten, man kann zum Beispiel Betriebsleiter oder Herdenmanager werden, in die Forschung gehen oder Landwirtschaftspolitik machen“, sagt Hahlbrock. Und sie will sich alle Optionen offenhalten.

Ihre Liebe zu Tieren und der Natur ist seit ihrer Kindheit ein wesentlicher Teil von ihr. Aufgewachsen in Großenheidorn, einem Ortsteil von Wunstorf bei Hannover, war sie schon früh von Landwirtschaft und Tieren umgeben. „Die Familie meiner Freundin hat einen Hof mit Kühen und Hähnchen, da haben wir viel gespielt“, sagt Hahlbrock. Und ihre Familie pflegte ohnehin guten Kontakt zu den Landwirten im Ort. Später hat Hahlbrock den Jagdschein gemacht. „Ich bin unglaublich oft und gerne draußen unterwegs.“ Der Familie entging Hahlbrocks Interesse an der Natur nicht, und so sei auch keiner sehr überrascht oder gar enttäuscht gewesen, als sie verkündete, nicht in die elterliche Firma mit einzusteigen und stattdessen Landwirtin zu werden. „Landwirtschaft ist in meinem Umfeld durchgehend positiv besetzt und meine Eltern haben mir ohnehin die Wahl gelassen, was ich später beruflich machen will“, sagt Hahlbrock.

„Es gibt Landwirte, bei denen steht immer öfter die Polizei am Acker“

Auch am Gymnasium in Wunstorf gab es keine abschätzigen Blicke, sondern eher das Gegenteil. Hahlbrock hat festgestellt, dass das Interesse an ihrem Beruf sehr groß ist, die Unwissenheit aber auch. „Viele denken immer noch, wir stehen den ganzen Tag mit Gummistiefeln im Dreck.“ Was sie jedoch ärgert, sind die Vorurteile, die viele Menschen ganz offen vor sich hertragen. Vor allem, wenn es um konventionelle Landwirtschaft geht. „Es gibt Landwirte, bei denen steht immer öfter die Polizei am Acker, weil jemand sie anruft und meint: ,Was dort auf dem Feld geschieht, ist verboten.‘ Dabei handeln sie völlig regelkonform und gehen nur ihrer Arbeit nach.“ Sie findet es bedauerlich, dass den Landwirten immer weniger Vertrauen entgegengengebracht wird. Obwohl sich gerade so viele Menschen mit der Ernährung und der Umwelt beschäftigten. „Natürlich ist es schön, wenn die Kühe nur auf der grünen Wiese stehen können, aber ohne eine zusätzliche Fütterung ist die Nährstoffaufnahme nicht ausreichend, weil das Gras allein ihnen nicht alle Nährstoffe bietet, die sie für eine ausgewogene Ernährung brauchen.“ Außerdem gäben die Kühe nicht genug Milch, um bei den derzeitigen Milchpreisen die Kosten zu decken. „Auch wenn viele Leute sagen, sie sind bereit, für Weidemilch mehr zu zahlen: Von ein paar Cent mehr pro Liter kann eine Kuh nicht das ganze Jahr draußen stehen, das ist in unserer Region nicht tragbar.“


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Die Ausbildung zur Landwirtin hat Hahlbrock vor zwei Jahren begonnen, direkt nach dem Abitur. „Ich hätte auch gleich studieren können, aber wenn man nicht auf dem Hof aufgewachsen ist und in der Landwirtschaft arbeiten will, sollte man schon die Ausbildung zum Landwirt gemacht haben, um sich ein solides Grundwissen anzueignen.“ Allerdings kann man auch mit einem Haupt- oder Realschulabschluss Landwirt werden, und so kam es, dass Hahlbrock mit 20 Jahren eine der ältesten war, die die Ausbildung angefangen haben. Doch das Abi kam ihr auch zugute: „Das erste – überwiegend schulische – Lehrjahr ist weggefallen, sodass ich gleich im zweiten Jahr einsteigen konnte und direkt auf einem Hof angefangen habe.“

Überrascht hat sie die Vielfältigkeit des Berufs. Denn jeder Hof hat seine eigene Herangehensweise. Auf dem ersten Hof lernte Hahlbrock, wie man Kühe in einem klassischen Melkstand melkt. Der zweite Hof hatte einen Melkroboter. „Generell habe ich auf den Höfen viel über die Digitalisierung der Landwirtschaft gelernt, denn es wird mittlerweile viel mit moderner Technik gearbeitet.“ So gibt es etwa digitale Steckbriefe aller Äcker und ihrer Früchte, die der Hof gerade bewirtschaftet. Ist die Arbeit am Tag getan, essen die Azubis zusammen mit der Familie des Betriebes. Sind auch die Großeltern, die Kinder und Angestellte da, sitzt eine große Runde am Tisch. Obwohl die Höfe in der Region Hannover liegen und Hahlbrock es nicht weit nach Hause hat, lebt sie in den Ausbildungsmonaten auch auf den Höfen. Das gehört dazu. „Die Landwirtschaft ist sehr bodenständig und familiär. Das ist auch ein Grund, warum ich den Beruf so mag.“ Meist teilt sie sich ein Zimmer oder eine Wohnung mit anderen Auszubildenden. Zuerst war ein Junge ihr Zimmernachbar, jetzt sind es Mädchen. „Die Landwirtschaft ist nicht mehr so hart wie früher, man muss zwar noch viel körperlich arbeiten, aber das ist auch für Frauen schaffbar“, sagt Hahlbrock. Deswegen interessierten sich auch immer mehr Frauen für den Beruf. Zwar seien sie noch in der Unterzahl, doch in ihrer Klasse sind vier von 20 Auszubildenden weiblich, in die Parallelklasse gehen sogar sechs Frauen.

Mit einigen Landwirtinnen ist Hahlbrock auch jetzt verabredet. Sie muss bei der künstlichen Besamung von Legehennen bestimmter genetischer Linien helfen, um deren Art langfristig zu erhalten. „Klingt kompliziert, aber wenn man erst mal weiß, wie es geht, dann ist es einfach.“ Einen eigenen Hof könnte sich Hahlbrock durchaus vorstellen. Schließlich weiß sie durch die Familie, was Selbstständigkeit bedeutet. Aber realistisch ist der eigene Hof eher nicht. „Die Investition muss man sich leisten können und es gibt so viele rechtliche Auflagen, wegen denen schon viele alteingesessene Höfe aufgeben.“

Von Isabel Christian