Kein Tag vergeht, ohne dass über schwere Unfälle auf niedersächsischen Autobahnen berichtet wird. Häufig kommen Menschen dabei zu Tode, sehr oft geschieht das auf der A2. Was ist zu tun? Über den Sinn eines Tempolimits streiten Martin Brüning und Klaus Wallbaum in ihrem Pro und Contra.

Martin Brüning (li.) und Klaus Wallbaum – Foto: DqM

PRO: Martin Brüning streckt die verbalen Waffen. Seit er den Führerschein hat, war er immer gegen ein Tempolimit. Inzwischen lohnt es sich seiner Meinung nach nicht mehr, für ein Relikt der Vergangenheit zu kämpfen.

Ich bin sozusagen kurzzeitig mit einem scharfen Tempolimit aufgewachsen. Wer bei uns in West-Berlin nach dem 1. Juli 1989 von einer Urlaubsreise zurückkam und dem Meister in der Autowerkstatt berichtete, es gebe ein merkwürdiges Geräusch bei Tempo 130, erntete nur resigniertes Schulterzucken. Denn der rot-grüne Senat hatte auf der Avus Tempo 100 verhängt, natürlich unter scharfen Protesten von Auto- und Motorradfahrern. Dennoch: Wer als Berliner über 100 Stundenkilometer fahren wollte, musste erst einmal über die Transitstrecke (Tempo 100) nach Westdeutschland. Vielleicht habe ich in den Folgejahren auch deshalb die Forderungen von zumeist roten und grünen Verkehrspolitikern nach einem Tempolimit als Gängelung empfunden, galten doch Autobahnen im Westen für mich als Hort der Freiheit. Und konnte es etwas Schöneres geben, als von Papa den Autoschlüssen zu bekommen und seinen Wagen über die magische 200 km/h-Grenze (für alle jüngeren Leser: das galt damals noch als schnell) zu jagen, wo doch beim eigenen Opel Kadett schon bei Tempo 163 Schluss war?


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25 Führerscheinjahre später sieht man das alles natürlich gelassener. Hinzu kommt, dass man sich nicht nur selbst, sondern dass sich auch das Autofahren verändert hat. Auf der linken Spur überholen einen nicht nur ein paar Porsche oder BMW, sondern inzwischen auch spießige Dienstwagen-Audis und Volkswagen mit absurd-aggressiven Autogesichtern und zu vielen Pferdestärken unter der Haube. Gleichzeitig ziehen Lastwagen, von denen es viel zu viele gibt, gerne spontan nach links. In der Ich-Gesellschaft gilt das Motto: Bremsen kann doch immer der andere. Die Autobahnbaustellen und Gefahrenstellen haben sich gefühlt vervielfacht, die Zahl der Unfälle ist weiterhin hoch. Und wer viel auf Autobahnen unterwegs ist, wundert sich, dass nicht noch viel mehr passiert.

Mit Tempolimit entspannt unterwegs

Ich kann immer noch im Schlaf mit Argumenten gegen das Tempolimit um mich werfen. 99 Prozent der Straßen sind doch ohnehin schon tempolimitiert, die Einsparung von Sprit- und Kohlendioxid liegt am Rande jeglicher Messbarkeit, 60 Prozent aller tödlichen Unfälle passieren ohnehin auf der Landstraße… All diese Argumente sind richtig. Und doch müssen sie sich mit der Realität auf der Straße messen lassen. Wer auf den Autobahnen anderer Länder unterwegs ist, stellt schnell fest, dass man mit einem Tempolimit recht entspannt unterwegs sein kann: Tempomat einschalten und rollen lassen statt hektisches Gas geben und bremsen. Auch die Zahl gefährlicher Situationen sinkt mit der Differenz der Geschwindigkeit auf der Straße. Und wer meint, seine Aggressionen mit Blinker, Lichthupe und Gasfuß ausleben zu können, muss sich ein anderes Hobby suchen.

„Männer, der Kampf ist zu Ende und wir sehen dabei auch nicht mehr lässig aus!“ – Martin Brüning, Rundblick-Redakteur

Die Argumente für und gegen ein Tempolimit sind seit vielen Jahren ausgetauscht. Die letzten Mohikaner, die gegen eine Limitierung kämpfen, sind eine Gruppe Männer in einem bestimmten Alter, die dem Auto immer noch einen hohen Stellenwert beimessen (wie ich auch) und die nach wie vor glauben, das unlimitierte Fahren sei die letzte Freiheit des Lenkrad-Machos auf großer Fahrt. Aber diese Gruppe wird immer kleiner. Männer, der Kampf ist zu Ende und wir sehen dabei auch nicht mehr lässig aus! Die meisten Frauen haben uns schon seit Jahren nicht mehr zugestimmt. Und die Jugend, die nur noch mit Mühe für das Automobil zu begeistern ist und stattdessen einfach nur Wert auf Mobilität legt, haben wir auch verloren.

Roboterautos bringen das Tempolimit

Vielleicht wäre die beste Lösung ein Kompromiss ohne Schaum vor dem Mund: ein flexibles Tempolimit. Denn wer eine Geschwindigkeitsbegrenzung einsieht, der hält sich auch daran. Es spricht meines Erachtens nichts dagegen, dass so ein Limit auf einer freien, dreispurigen Autobahn testweise auch einmal bei 140 oder 150 km/h liegen kann. Das wichtigste Argument für ein Tempolimit bringt übrigens die Zukunft. Das selbstfahrende Auto wird nur schwer mit den großen Tempounterschieden auf deutschen Autobahnen zurechtkommen. Der Ablauf einer Fahrt ohne Limit ist wesentlich hektischer und geprägt von unerwarteten Situationen. Spätestens mit den Roboterautos kommt das Tempolimit ohnehin auf uns zu. Da können wir uns auch gleich verabschieden. Schickt den Gasfuß in Rente, schaltet lässig den Tempomat ein.

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CONTRA: Freie Fahrt für freie Bürger? Nicht ganz, wir brauchen Reglementierungen. Aber ein allgemeines Tempolimit ist der falsche Weg und lenkt von wichtigeren Aufgaben ab, meint Klaus Wallbaum.

Die vielen Unfälle, die in den vergangenen Wochen vor allem auf der A2, aber auch auf anderen Autobahnen in Niedersachsen geschehen sind, geben zur Besorgnis Anlass. Deshalb ist es richtig, wenn sich die verantwortlichen Verkehrspolitiker verstärkt Gedanken machen über geeignete Schritte, wie man auf darauf reagieren kann und soll. Nur ist hier Vorsicht geboten – die allzu einfachen Antworten sind eben oft nicht die besten, und seit Jahren lautet eine einfache Antwort, ein allgemeines Tempolimit einzuführen, so wie es in vielen europäischen Nachbarländern auf den Autobahnen längst existiert.

Deutschland ist typisches Transit-Land

Dabei sind nun zwei Dinge zu berücksichtigen. Erstens ist die Verkehrsdichte in Deutschland größer als in vielen anderen, weniger zentral gelegenen Ländern. Deutschland zeichnet sich eben dadurch aus, dass es in der Mitte liegt und ein typisches Transit-Land ist, die Verkehrswege sind vor allem auch Transportwege für Waren von West- nach Osteuropa, von Nord- nach Südeuropa. Deswegen sind oft die Autobahnen voll, vor Beginn von längeren Staus ist die Unfallgefahr besonders hoch – die Häufung entsprechender Vorkommnisse mit Todesfällen vor allem auf der A2 belegt dies.  Aber was ist nun die richtige Antwort darauf?

„Tempo 130 auf allen Autobahnen führt noch nicht automatisch dazu, dass alle Verkehrsteilnehmer vorsichtiger und umsichtiger agieren.“ – Klaus Wallbaum, Rundblick-Redakteur

Natürlich erzieht ein allgemeines Tempolimit zu mehr Vorsicht. Wenn Autofahrer eine freie Strecke auf der Autobahn vor sich haben, sind sie nicht mehr verleitet, aufs Gaspedal zu drücken und erheblich zu beschleunigen. Das mindert die Gefahr, bei plötzlich auftretenden Hindernissen, etwa langsam fahrenden Autos hinter einer Kurve, abrupt abbremsen zu müssen. Die meisten der Unfälle, die in den vergangenen Wochen auf Autobahnen geschehen sind, haben allerdings nicht diesen Zusammenhang, sie sind vornehmlich am Ende eines Staus entstanden – auch verspätetes und plötzliches Abbremsen ist eine Ursache, allerdings meistens nicht von einer Geschwindigkeit, die unangemessen hoch wäre. Tempo 130 auf allen Autobahnen führt noch nicht automatisch dazu, dass alle Verkehrsteilnehmer vorsichtiger und umsichtiger agieren, wie es eigentlich nötig wäre.

Automatisches Bremssystem muss Pflicht werden

Nötig wären mehrere andere Schritte. Die Halter von Lastwagen, die auf den Straßen unterwegs sind, müssten zur Ausstattung mit automatischen Bremssystemen verpflichtet werden. Wenn übermüdete und überlastete, weil von ihren Arbeitgebern ausgebeutete Kraftfahrer das plötzliche Stauende zu spät bemerken, muss der Wagen automatisch die Geschwindigkeit drosseln – und der auf ihn folgende Wagen ebenfalls. Die Politik kann vorschreiben, dass die Fahrzeuge, die sich auf den Autobahnen bewegen, möglichst mit moderner Technik versehen sein müssen. Automatische Bremssysteme sollten zum Standard werden. Die Einhaltung der Ruhezeiten von Lastwagenfahrer sollte besser und strenger kontrolliert werden. Auch die Personenwagen, die sich auf den Straßen befinden, sollten mit mehr Sicherheitssystemen und besserer Sicherheitstechnik ausgestattet werden. Staatliche Auflagen können hier einen Anreiz dafür bieten, dass der Markt sich stärker ins Zeug legt – indem die Mindeststandards, die ein Auto auf deutschen Straßen aufzuweisen hat, angehoben werden.

Baustellen dauern zu lange

Es gibt viel zu tun, aber wer mit einem allgemeinen Tempolimit auf allen deutschen Autobahnen anfangen würde, ginge das Risiko ein, dass nur noch über dieses Thema gestritten wird und alle anderen, weitaus sinnvolleren Maßnahmen gar nicht mehr angesprochen werden können. Dann wäre der Dauerbrenner Tempolimit ein Mittel, eine notwendige Diskussion im Keim zu ersticken. Zu den nötigen Schritten gehört beispielsweise auch das Baustellenmanagement: Warum dauern die Baustellen auf deutschen Autobahnen immer so unendlich lange? Warum wird nicht kompakter gebaut, rund um die Uhr gebaut, schneller gebaut? Liegt es an der sprichwörtlichen deutschen Gründlichkeit, dass jede Baustelle immer so unendlich lange bestehen muss?

„Im selbstfahrenden Auto muss sich dann sowieso niemand über ein Tempolimit aufregen.“ – Klaus Wallbaum

Das sind die Fragen, die kurz- und mittelfristig beantwortet werden müssen. Und langfristig geht es dann darum, wie der Autoverkehr der Zukunft überhaupt organisiert wird. Wie schnell selbstfahrende Autos in einer langen Kolonne unterwegs sein können, ist ein Thema für sich – dort geht es weniger um individuelle Beschleunigung als vielmehr um den geregelten, aufeinander abgestimmten optimalen Verkehr zwischen A und B. Anders ausgedrückt: Im selbstfahrenden Auto muss sich dann sowieso niemand über ein Tempolimit aufregen. Aber noch ist das Zukunftsmusik.

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