Wenn im Juni des kommenden Jahres ein neues EU-Parlament gewählt wird, dürfen in Niedersachsen erstmals schon 16-Jährige ihre Stimme abgeben. Aber sind die jungen Menschen dazu schon bereit und wissen sie überhaupt, worum es beim „Projekt Europa“ im Kern geht? Wissen sie genug darüber, wie die EU tickt – und an welcher Stelle nicht so ganz richtig? Der Verein „Europäische Bewegung Niedersachsen“ (EBN), ein breiter Zusammenschluss proeuropäischer Organisationen, hat sich darüber Gedanken gemacht, wie die Begeisterung für die Europäische Union in die Schulen getragen werden kann.

„Wir müssen die Herzen für Europa gewinnen“, sagt Uwe Grebe aus dem Präsidium der Europäischen Bewegung Niedersachsen (EBN). | Foto: MK/Thiel

„Wir müssen die Herzen für Europa gewinnen“, erklärte Uwe Grebe aus dem EBN-Präsidium kürzlich bei einer Veranstaltung im Forum des niedersächsischen Landtags. „Aber das schaffen wir nicht durch Schilder an Gebäuden, Straßen und Brücken“, sagte er mit Verweis auf die Plaketten, die vielerorts auf eine finanzielle Förderung durch die EU hinweisen. „Motivation, Empathie und Miteinander entstehen durch Kontakte, Vertrauen und Kommunikation“, führte er aus. Wichtig sei es, Europa erlebbar zu machen, etwa durch geförderte Klassenfahrten und ein europäisches Schulkonzept, das sich der Verband auf die Fahne geschrieben hat. Die EBN fordert ein spezifisches Förderprogramm „Niedersachsen lernt Europa“, mit dem „Leuchttürme intensiver Kontakte“ gesetzt werden sollen. „Jedes Jahr sollen Schulklassen die Möglichkeit erhalten, eine Schule in einem anderen Land zu besuchen“, heißt es dazu in einem Konzeptentwurf, den die engagierten Pro-Europäer im Landtag mit Praktikern aus den Schulen diskutiert haben. Als weitere Forderung steht in diesem Papier, dass ein „verpflichtender und kompakter europäischer Schwerpunkt im Lehrplan der Schulen gebildet werden“ solle, „um den Europagedanken, die Europäische Integration und ihre Vorteile verständlich zu machen“.

„Im Kerncurriculum ist das Thema Europa für die Oberstufe gestrichen.“

Mit einer gewissen Skepsis reagierten allerdings die Fachlehrer auf das Ansinnen der EBN. Zwar teilten die Anwesenden die Begeisterung für die europäische Idee. Die Pläne aus dem Konzeptpapier der EBN werden allerdings als „praktisch schwierig“ bewertet. Ruth Wesemann-Mutz, Fachbereichsleiterin Gesellschaftslehre an der IGS Garbsen (Region Hannover), berichtete aus ihrem Alltag an einer von 201 Europaschulen in Niedersachsen. Europa werde dort als Querschnittsthema in vielen Unterrichtsfächern behandelt. Im fünften Jahrgang würden die Kinder mit den europäischen Nachbarn bekanntgemacht; im siebten Jahrgang werde versucht, über biographische und emotionale Zugänge die Vielfalt der Kulturen Europas zu vermitteln. Inzwischen gehe es dabei vielfach schon eher um einen multikulturellen statt um einen europäischen Blickwinkel.



Schüleraustausch-Programme in dieser Jahrgangsstufe gestalteten sich allerdings schwierig, führte Wesemann-Mutz aus – es fehle noch an nötigen Sprachkenntnissen und auch an Selbstständigkeit der Kinder. „Nach Corona sind die Kinder zögerlicher geworden, rauszugehen und sich etwas zuzutrauen“, sagte die Lehrerin und fügte an: „Das heißt nicht, es zu lassen – aber das muss bedacht werden.“ Für die Lehrer sei es zudem herausfordernd, Klassenfahrten zu planen, da die Gruppen das Europathema in Wahlpflichtkursen oder Arbeitsgemeinschaften behandelten. Die Organisation sei so herausfordernd, dass man sich das an der IGS Garbsen nur noch alle drei Jahre zumute.

In der Oberstufe, führte Wesemann-Mutz aus, ergebe sich noch ein ganz anderes Problem. „Im Kerncurriculum ist das Thema Europa für die Oberstufe gestrichen. Es taucht lediglich als kleines Nebenthema in Klammern im Bereich der Friedens- und Sicherheitspolitik auf“, erläuterte sie. Diese Kritik unterstrich eine Abiturientin, die ebenfalls an der Diskussion im Landtags-Forum teilnahm: „Ein Hauptfach Europa brauchen wir nicht. Aber das Kerncurriculum muss in den Blick genommen werden.“ Es werde immer wieder der Zweite Weltkrieg und die Soziale Marktwirtschaft behandelt, ebenso die Antike und das Mittelalter. „Aber wie Europa aufgebaut ist, das wissen die meisten Schüler nicht!“

Kultus-Staatssekretär Marco Hartrich lobt die Europaschulen und will die Kritik an der fehlenden Vernetzung ins Ministerium mitnehmen. | Foto: MK/Thiel

Kultus-Staatssekretär Marco Hartrich zeigte Verständnis für die EBN-Idee, den Europagedanken gebündelt zu vermitteln, hielt aber an dem aktuellen fächerübergreifenden Ansatz fest. Die große Anzahl an Europaschulen im Land lobte er, stellte aber fest, dass Schulen auch dann einen fächerübergreifenden Europa-Schwerpunkt setzen könnten, wenn sie sich nicht als Europaschulen zertifizieren ließen.

Aus den Reihen der Teilnehmer wurde Kritik daran geäußert, dass das Netzwerk der 201 Europaschulen Niedersachsens sich rein ehrenamtlich und aus eigenen Mitteln vernetze. Die Praktiker formulierten auch Kritik daran, dass die guten Programme und Angebote des Kultusministeriums mit Bezug zur Europabildung noch längst nicht überall in der Fläche ankämen, insbesondere nicht an jenen Schulen, die eine Unterstützung besonders brauchen würden. Überhaupt fehle ein Gesamtkonzept, das die vielen guten Initiativen zur Europabildung sinnvoll miteinander vernetze.

Leuchtturm-Projekte brauche es keine, sondern Europabildung an allen Schulen und Schulformen, forderte ein Schüler. Den Europa-Koordinatoren an den Schulen fehle es dann vielfach an der nötigen Zeit, um die Netzwerkarbeit oder die Zertifizierung anzugehen, hieß es. Staatssekretär Hartrich sagte, diesen Punkt werde er aus der Veranstaltung explizit mitnehmen und prüfen lassen, wie die Kommunikation zwischen den Einheiten der Kultus-Verwaltung da besser werden könnte.