Plötzlich könnte alles sehr schnell gehen: Wenn der Bundesrat am 22. März das Gesetz zur teilweisen Legalisierung von Cannabis billigt, dann gibt es ab 1. April eine 180-Grad-Wende im Umgang mit der Droge. Bei einer Veranstaltung des Vereins „Wirtschaftsrat der CDU“ in Hannover fasste der Arzt und Soziologe Prof. Torsten Passie die geplanten Regelungen zusammen: Jeder darf dann 50 Gramm Cannabis besitzen und 25 Gramm davon in der Öffentlichkeit mitführen. Bis zu drei Cannabis-Pflanzen darf jeder selbst anbauen – entweder zu Hause oder ab 1. Juli gemeinsam mit anderen in einer nicht-gewerblichen Anbauvereinigung. Da es aber viele Monate dauert, bis die Pflanzen gebrauchsfertigen Stoff liefern, müssen sich die Konsumenten erstmal weiterhin auf dem Schwarzmarkt eindecken.

Bei einer Veranstaltung des Wirtschaftsrats Niedersachsen diskutieren Experten über die Cannabis-Legalisierung. | Foto: Beelte-Altwig

In der Apotheke wird es kein Cannabis geben. Nach intensiven Diskussionen haben sich die Apotheker gegen die Legalisierung ausgesprochen, berichtete Cathrin Burs, die Präsidentin der Apothekerkammer in Niedersachsen. „Wir sind für Gesundheit zuständig und geben auch keinen Alkohol ab“, erklärte sie. Dabei könnten die Apotheken Cannabis in bester Qualität liefern: ohne Pestizide angebaut und mit einem genau ausgewiesenen Gehalt der Wirkstoffe THC und CBD. Seit 2017 dürfen sie Medizinal-Cannabis an Patienten ausgeben, denen es verordnet wurde. Die Experten auf dem Podium waren sich einig, dass damit sehr gute Erfolge erzielt werden, zum Beispiel in der Schmerztherapie. 

Warum ausgerechnet jetzt ein neues Cannabis-Gesetz – statt der dringend nötigen Krankenhausreform, fragte der Landtagsabgeordnete und rechtspolitische Sprecher der CDU, Christian Calderone. Er antwortete gleich selbst: „Ich glaube, man brauchte mal ein Erfolgserlebnis.“ Evrim Camuz, rechtspolitische Sprecherin der Grünen, stimmte ihm nur soweit zu, als das Thema tatsächlich ein grünes Herzensanliegen sei. Aber auch die FDP und einzelne SPD-Politiker hätten die Legalisierung forciert. Es seien nicht die Grünen gewesen, ließ Camuz durchblicken, die auf einem Start am 1. April bestanden haben. Gerne hätte ihre Partei Cannabis komplett legalisiert, doch das widerspricht dem EU-Recht. 

Cathrin Burs (von links), Prof. Jörn Heine und Christian Calderone. | Foto: Beelte-Altwig

Calderone ist überzeugt, dass die Leitplanken des Gesetzes nicht durchsetzbar sind: Wie solle das Ordnungsamt kontrollieren, dass ein Abstand zu Schulen eingehalten werde? Wie könne die Polizei prüfen, ob der Stoff, den jemand mit sich führt, legal erworben wurde und den erlaubten Wirkstoff-Gehalt nicht überschreitet? Camuz und Passie hielten dagegen: Bereits jetzt müssen die Behörden Näherungsverbote durchsetzen, zum Beispiel bei Stalking, argumentierte die Grünen-Politikerin. Den Wirkstoffgehalt zu kontrollieren, würden die Anbauclubs selbst übernehmen, da das auch in ihrem Interesse liege, sagte der Arzt. Schwer zu entkräften schien ein Einwand der Apothekerin Burs: Vorgesehen ist, dass junge Erwachsene nur Cannabis mit 10 Prozent Wirkstoffgehalt konsumieren dürfen. Damit sollen sie besonders geschützt werden, da die Hirnreifung erst mit 25 Jahren abgeschlossen ist. „Das ist völlig unrealistisch“, kommentierte die Pharmazeutin. Seit Jahren steige nämlich der THC-Gehalt – auch beim Medizinal-Cannabis, berichtete sie. Bei ihren Lieferanten sei unter 22 Prozent Wirkstoffgehalt nichts zu bekommen. 

Prof. Passie, der zu Beginn für sich in Anspruch genommen hatte, „keine Meinung, nur Fakten“ zu haben, wartete mit überraschenden Ergebnissen auf: In der Forschung gebe es keine Hinweise auf Hirnschäden durch Cannabis. Bereits nach vier Wochen Abstinenz seien keine Effekte mehr messbar. Die Entwicklungsverzögerung bei Jugendlichen erklärte er mit einer indirekten Wirkung: Da Kiffen träge mache, zögen sich die jungen Konsumenten aus dem schulischen und sozialen Leben heraus und verpassten altersgemäße Entwicklungsschritte.

Evrim Camuz und Prof. Torsten Passie. | Foto: Beelte-Altwig

„In der Geschichte der Menschheit ist kein Todesfall durch Cannabis bekannt – im Gegensatz zu Alkohol“, argumentierte Passie. Er verwies auf den US-Bundesstaat Colorado, wo nach der Legalisierung von Cannabis die Gewaltdelikte um 14 Prozent zurückgingen. Man vermute, dass solche Konsumenten, die nach Alkoholgenuss zu Gewalt neigen, auf Cannabis umgestiegen seien – was sie sozialverträglicher gemacht habe. Der CDU-Politiker Christian Calderone schloss sich der Kritik von Justizministerin Kathrin Wahlmann (SPD) an dem neuen Gesetz an. Sie hatte davor gewarnt, dass es die Gerichte überfordern werde, alle Akten von Straftätern durchzuforsten, die wegen Cannabis-Delikten verurteilt wurden und nun amnestiert werden sollen. „Die Justiz geht jetzt schon auf dem Zahnfleisch“, kommentierte Calderone.

Evrim Camuz wollte dieses Argument nicht gelten lassen. „Das ist ein Prinzip des Rechtsstaates“, antwortete sie: Wenn ein Delikt nicht mehr strafbar sei, müssen sofort alle entsprechenden Strafen aufgehoben werden. Calderone zog den Vergleich zur Legalisierung der Prostitution: „Das hat auch nichts gebracht.“ Weiterhin stünden kriminelle Strukturen hinter der Branche. Er forderte, erst Anstrengungen zur Prävention zu unternehmen, bevor man über eine Legalisierung von Cannabis nachdenke. Deutlich wurde an dem Abend zweierlei: Die breite Spannweite der Positionen unter Diskutanten und Gästen des CDU-nahen Veranstalters – und die Fülle der organisatorischen Herausforderungen, die auf das Land zukommen, wenn das Gesetz tatsächlich zum 1. April in Kraft tritt.

Noch eine Erkenntnis, die die Vertreter der Wirtschaft im Publikum mitnehmen konnten: Fördermittel zur Diversifizierung der Landwirtschaft können nach dem Inkrafttreten des Gesetzes auch für den Cannabis-Anbau in Anspruch genommen werden – allerdings nur von Unternehmen, nicht von Anbau-Clubs. Denkbar wäre zum Beispiel die Versorgung von Gewächshäusern mit Bio-Gas, merkte ein Teilnehmer an. Die Frage, ob es ein lukratives Geschäftsmodell sein könnte, Anbau-Clubs zu betreiben, musste noch ungeklärt bleiben.