In der Aussprache zu einer Regierungserklärung von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hat es am Mittwoch im Landtag einen heftigen Disput gegeben. Oppositionsführer Sebastian Lechner (CDU) nannte es „absurd“, dass Niedersachsen neben Bremen und Thüringen zu den drei Ländern gehörte, die einen Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz am Montag mit einer „Protokollnotiz“ abgelehnt hatten. Weil habe gemeinsam mit seinen Kollegen Bovenschulte und Ramelow den von den anderen Ländern befürworteten Plan torpediert, Asylverfahren in Ländern außerhalb der EU durchzuführen.

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Diese Weigerung sei „grundverkehrt“, sagte Lechner und fügte hinzu: „Das wäre der einzige wirklich wirksame Weg, dafür zu sorgen, dass Menschen, die nicht schutzbedürftig sind, gar nicht erst nach Europa kommen.“ Der Beschluss nahm Bezug auf die sogenannte „Ruanda-Regel“, die in Großbritannien gilt. Sie besagt, dass illegal eingereiste Asylbewerber aus Staaten, die eine geringe Bleibeperspektive haben, nach Ruanda geflogen werden und dort über ihren Asylantrag entschieden wird. Sie kommen damit dann erst gar nicht auf das britische Staatsgebiet. In Großbritannien stieß diese Variante indes bisher auf rechtliche Probleme, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stoppte einen ersten Flug nach Ruanda.

Die Fraktionsvorsitzenden Grant Hendrik Tonne (SPD) und Anne Kura (Grüne) verteidigten die von Weil in der MPK vorgetragene Protokollnotiz. Tonne sagte, dieser von den anderen Ländern befürwortete Weg sei „bisher stets gescheitert“. Kura meinte, der Plan sei mit den Standards der Genfer Flüchtlingskonvention nicht vereinbar und die Ablehnung von Niedersachsen sei deshalb richtig gewesen. Tonne und Kura lobten in ihren Reden die Rolle von Stephan Weil in der MPK ausdrücklich, Tonne sogar dreimal. Bei Kura fiel auf, dass sie kaum Kritik an den MPK-Beschlüssen äußerte, obwohl es gerade bei den niedersächsischen Grünen erhebliche Einwände gegen diese Linie gibt. Stefan Marzischewski (AfD) meinte, die aktuell von Bund und Ländern geplanten Schritte seien allesamt nicht ausreichend, Union, SPD und Grüne erlebten jetzt die bitteren Ergebnisse ihrer jahrelangen Versäumnisse.

Weil hatte in der Regierungserklärung mehrere Punkte betont: Die Gewährung von Schutz für Verfolgte gehöre „zu unserem historischen Erbe und zu den humanitären Wurzeln unseres Staates“. In diesem Jahr würden 32.000 Schutzsuchende in dieses Bundesland kommen, seit 2017 seien schon 257.000 Flüchtlinge in Niedersachsen angesiedelt worden. „Es sind in der Summe zu viele Menschen, die Jahr für Jahr unser Land erreichen – und es wird so auf Dauer nicht weitergehen können“, erklärte Weil, der in Teilen seiner Rede von den Grünen keinen Applaus erhielt. Der Ministerpräsident wandte sich gegen Schlepperbanden und erklärte, dass solche, die an der polnischen Grenze aktiv sind, mit Russland und Weißrussland zusammenarbeiteten. „Das sind auch Beispiele für hybride Kriegsführung der russischen Regierung“, fügte Weil hinzu. In der Debatte gab es Meinungsverschiedenheiten zu mehreren Punkten:

Schnellere Verfahren: Weil sagte, das Justizministerium arbeite an einer Beschleunigung der Asylverfahren für Antragsteller, deren wahrscheinlicher Antragserfolg weniger als fünf Prozent beträgt. Diese Vorgänge dürften „nicht mehr als sechs Monate dauern, inklusive des gerichtlichen Verfahrens“. CDU-Chef Lechner entgegnete, dazu sei „ein Kraftakt nötig, auch im Haushalt 2024“. Dort sei bisher nur die Verlängerung von sieben befristeten Stellen vorgesehen, und „das ist zu wenig“.



Zahlkarte: Dass Asylbewerber kein Bargeld mehr ausgezahlt bekommen sollen, sondern eine Geldkarte erhalten, wird von Weil begrüßt – obwohl er auf das Problem der Praxistauglichkeit hinweist. Der Ministerpräsident begrüßt, dass die Empfänger dann kein Geld mehr an ihre Familien im Ausland überweisen können – da solche Schritte bisher Anreiz für weitere Zuwanderung gewesen sein könnten. Lechner sagte, diese Bezahlkarte sei, anders als oft behauptet, gar nicht so schwer zu handhaben. Er erwarte, dass die Landesregierung das gesamte in der MPK verhandelte Paket im Bundesrat befürwortet. „Bis Weihnachten muss hier Klarheit herrschen“, betonte der CDU-Politiker. Er schaue mit Interesse darauf, wie sich die Grünen verhalten werden.

Leistung für Zuwanderer: Auch jene Asylbewerber, die keine Bleibeperspektive haben, erhalten heute in Deutschland nach 18 Monaten Leistungen analog zum Bürgergeld. Weil sagte, dieser kurze Zeitraum „erscheint zweifelhaft“. Der Bund werde dazu eine Reform vorschlagen. Lechner meinte, die Frist müsse auf 36 Monate verlängert werden. Die Regelung müsse grundsätzlich überarbeitet werden.

Rückführung beschleunigen: Weil sagte in der Regierungserklärung: „Es geht um die beschleunigte Integration von Menschen mit Bleiberecht ebenso wie um die beschleunigte Rückführung von Menschen ohne Bleibeperspektive.“ Lechner erklärte, Innenministerin Daniela Behrens habe jüngst in einem Interview die Rückführung-Debatte als „emotional überladen“ bezeichnet. „Ich erwarte, dass Sie Ihre Innenministerin auf die Spur bringen“, betonte der CDU-Chef, an den Ministerpräsidenten gerichtet. Lechner meinte, für eine bessere Rückführung müsse die Bundesregierung weitere Abkommen mit Staaten wie Marokko oder Tunesien schließen. „Da sollte man dann festlegen, dass es eine Visa-Erteilung nur noch gibt, wenn die Staaten auch ihre Staatsbürger wieder zurücknehmen.“ SPD-Fraktionschef Tonne erklärte, die Rückführung sei komplex und hänge von vielen Faktoren ab. Kura meinte, es sprächen ja oft humanitäre Gründe wie Erkrankung oder bevorstehender Schulabschluss gegen eine Abschiebung.



Angriff auf Innenministerin: Lechner warf Behrens vor, sie habe „eine der größten Fehlleistungen zu verantworten“. Diese bestehe darin, dass die Landesregierung statt des versprochenen Aufbaus an neuen Plätzen in den Landes-Erstaufnahmezentren aktuell einen Abbau gebe. Der Hinweis auf lokale Widerstände gegen derlei Pläne zum Aufbau neuer Unterkünfte überzeuge nicht. „Es ist dann die Aufgabe der Ministerin, sich durchzusetzen.“

SPD-Applaus für Lechner-Äußerung: In seiner Rede ging der CDU-Chef kurz auf Überlegungen zur Reform des Staatsbürgerschaftsrechts ein. Dabei betonte er einen Satz, der auch in einem CDU-Landtagsantrag zur Judenfeindlichkeit steht: „Wer antisemitische Straftaten begeht, kann kein deutscher Staatsbürger werden.“ Dafür erhielt Lechner Beifall aus den Reihen von CDU, SPD und AfD. Bei den Grünen indes rührte sich keine Hand zum Applaus. (kw)