Das Leben läuft nicht immer geradlinig, und manche Kurve kann einen kräftig ins Schleudern bringen.  So ging es der Grünen-Politikerin Julia Hamburg im September 2013. Die damals 27-Jährige Mutter von zwei Kindern, das Jüngere war gerade erst geboren, kam mit einer lebensbedrohlichen Herzmuskelerkrankung ins Krankenhaus. Die Diagnose: Peripartale Herzschwäche, eine Krankheit, die bei Frauen kurz vor oder nach der Geburt auftritt und nur schwer zu diagnostizieren ist.

Foto: Grüne Fraktion Niedersachsen

Die Grünen-Fraktion, zu jener Zeit auf einer Klausurtagung in Barsinghausen, reagierte schockiert. Hamburg, die jüngste Abgeordnete des Landtags, galt nicht nur als politisches Talent, sie war auch eine der beiden Vorsitzenden des niedersächsischen Landesverbandes. Die Erkrankung hatte für die junge Frau später einschneidende Folgen, der Prozess der Genesung zog sich lange hin. Im Februar des Folgejahres sah sie sich gezwungen, das Amt der Landesvorsitzenden niederzulegen. Erst im darauf folgenden Juli, also fast ein Jahr nach ihrem Kollaps, kehrte sie ins Parlament zurück.


Lesen Sie auch: 

Pro & Contra zur Vorstandswahl bei den Grünen


Dieses Schicksal hat sie geprägt, hat ihr Respekt und Anerkennung eingetragen. Es steht für Gradlinigkeit und ausgeprägten politischen Willen. Weder in der vergangenen noch in dieser Legislaturperiode war Hamburg Mitglied des Fraktionsvorstands, dennoch wurde ihr Name im landespolitischen Umfeld stets als einer der ersten genannt, seit es vor einigen Wochen um eine mögliche Nachfolge der Fraktionsvorsitzenden Anja Piel ging. Piel soll Anfang März im Bundesausschuss des Deutschen Gewerkschaftsbundes in den Bundesvorstand gewählt werden.

Am Montag nun verkündeten die Grünen, dass Hamburg am 17. März für den Fraktionsvorsitz kandidieren wird. Ansonsten wird sich im Vorstand der Grünen-Fraktion voraussichtlich nichts ändern. Der langjährige Parlamentarische Geschäftsführer Helge Limburg wird erneut für das Amt kandidieren, Miriam Staudte und Christian Meyer wollen in gut drei Wochen als stellvertretende Vorsitzende bestätigt werden. Von einem „tollen Angebot“ sprach Anja Piel am Montag angesichts des Personaltableaus für den Vorstand.

Man könnte sie mit Belit Onay vergleichen

Wie genau es zu dieser Konstellation kam, ob zum Beispiel auch andere Bewerber intern ihren Hut in den Ring geworfen hatten, darüber wollten die aktuelle Fraktionsspitze lieber nichts verlauten lassen. Es ist aber nicht unwahrscheinlich, dass Julia Hamburg die einzige Bewerberin der Fraktion für den Vorsitz war. Christian Meyer? Keine Mehrheit. Helge Limburg? Kein Interesse. Imke Byl? Zu wenig Erfahrung. Blieb am Ende Julia Hamburg. Vielleicht tut man ihr damit aber auch unrecht.

Viele erinnern sich noch sehr positiv an ihre Zeit als Landesvorsitzende.

Denn sie gilt in den Reihen der Grünen bei vielen als großes, vielleicht in der Fraktion als das größte politische Talent – gut organisiert, fähig zu durchdachten Konzepten und auch zum plötzlichen Angriff. Viele erinnern sich noch sehr positiv an ihre Zeit als Landesvorsitzende. Dabei fallen Begriffe wie clever oder verbindlich, und man hält sie für eine sehr gute politische Strategin.

Man könnte sie ein wenig mit Belit Onay vergleichen, den sie im OB-Wahlkampf in Hannover massiv mit Rat und Tat unterstützt hat, und zu dessen Erfolg sie auch beigetragen hat. Auch Hamburg setzt wie Onay auf eine Politik der ausgestreckten Hand, kann lange mit Vertretern unterschiedlicher Meinungen diskutieren, harte Positionen vortragen und doch am Ende für Kompromisse offen sein.

Hamburg beherrscht die linke Klaviatur

Auf der anderen Seite allerdings fragt man sich hinter vorgehaltener Hand, ob das alles bereits ausreicht, um den Fraktionsvorsitz zu übernehmen. In der Bildungspolitik, ihrem Fachbereich, konnte Hamburg in dieser Legislaturperiode bisher keine größeren Punkte setzen, wobei sich die Opposition in der Auseinandersetzung mit einem geschmeidigen Kultusminister, der jederzeit in der Lage ist, Probleme sanft weg zu moderieren, generell schwer tut. Die Abteilung Attacke funktioniert hier weder bei den Grünen noch bei der FDP besonders gut.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Die Abteilung Attacke bricht bei Hamburg hervor, wenn es um klare linke Politik geht. Nachdem sich der FDP-Politiker Thomas Kemmerich mit AfD-Stimmen zum Ministerpräsidenten von Thüringen wählen ließ, forderte die 33-Jährige wie auch andere Politiker der niedersächsischen Grünen umgehend, auch CDU und FDP in Niedersachsen müssten sich klar positionieren und verhalten – eine Attacke, die bei der CDU und FDP auf Befremden stieß, schließlich wollte man sich mit den Thüringer Parteivertretern nicht in einen Topf werfen lassen.

Hamburg beherrscht die linke Klaviatur in der Politik. Und während die Bundesspitze der Grünen immer stärker in die Mitte strebt, um am Ende bei einer Wahl und nicht nur in Umfragen ein Ergebnis von 20 Prozent plus x einzufahren, bekommt die Fraktion der niedersächsischen Grünen nun voraussichtlich eine Vorsitzende mit einem deutlichen linken Habitus.

Politische Heimat in Hannover-Linden

Während Anja Piel zwar politisch auch links einzuordnen ist, konnte sie dies mit ihrem ausgleichenden Stil immer ein wenig überdecken. Julia Hamburg dagegen sieht man an, dass ihre politische Heimat im alternativen Stadtteil Linden in Hannover liegt. In Bezug auf eine Spitzenkandidatur werden sich die Grünen allerdings die Frage stellen müssen: Wieviel Hannover-Linden gibt es in Niedersachsen?

Politische Wegbegleiter trauen ihr allerdings die Rolle der Fraktionsvorsitzenden und Führungsfigur der Grünen eindeutig zu. Man dürfe sie nicht unterschätzen, sie könne sowohl das Piel’sche Image der „Mutter der Kompanie“ als auch die politische Attacke miteinander verbinden.

„Wir leben in bewegenden Zeit – und insbesondere grüne Politik ist sehr gefragt, Antworten zu geben“, schrieb Hamburg gestern vage auf Facebook. Inwieweit sie in der Lage sein wird, mit diesen Antworten nicht nur das linksalternative Linden-Milieu, sondern auch die Mitte der Gesellschaft zu erreichen, wird sie wohl ab Mitte März unter Beweis stellen müssen. Ihre Wahl zur Vorsitzenden gilt als sicher. Ob das eine Vorentscheidung für die Spitzenkandidatur zur Landtagswahl 2022 sein wird? Davon redet bei den Grünen derzeit niemand. Es wäre wohl auch zu früh. (MB.)