Der Plan ist sehr weitgehend, und in Nachbarbundesländern, etwa NRW, sind entsprechende Überlegungen schon frühzeitig am entschlossenen Widerstand der Betroffenen gescheitert. Trotzdem hatte die SPD/CDU-Koalition in ihren Entwurf für ein „Corona-Gesetz“ einen Passus geschrieben, der im Ernstfall die Berufsfreiheit einschränken würde. Das Land soll demnach bei einer „epidemischen Lage“ die Kassenärztliche Vereinigung (KVN), die Ärzte und die Pfleger zwingen können, sich an Schritten zur Bekämpfung der Notsituation zu beteiligen. Doch die Idee ist nun seit gestern vom Tisch – die Sozialexperten beider Regierungsfraktionen erklärten, von dem Vorhaben „Abstand nehmen zu wollen“.

Das kommt nach dem starken Einsatz, den viele Kräfte in der Corona-Krise gezeigt haben, einem Tritt in den Allerwertesten nahe

Vorangegangen war scharfer Protest, der sich gestern noch einmal bei der Expertenanhörung im Sozial- und Innenausschuss Luft verschaffte – vor allem bei Ärztekammer, Pflegekammer, Beamtenbund und KVN, um die wichtigsten zu nennen. „Das kommt nach dem starken Einsatz, den viele Kräfte in der Corona-Krise gezeigt haben, einem Tritt in den Allerwertesten nahe“, sagte Mark Barjenbruch, Vorstandsvorsitzender der KVN. „Vor dem massiven Eingriff in die Freiheitsrechte kann ich nur warnen“, betonte Martina Wenker, Präsidentin der Ärztekammer. Allerdings wurden auch zustimmende Äußerungen zum ursprünglichen Entwurf laut, vor allem von den Kommunen und auch von den Krankenkassen. Die Chance zur Dienstverpflichtung für den Fall, dass der Landtag eine „epidemische Lage von landesweiter Tragweite“ feststellt, war nur ein Teil eines umfassenden Gesetzespaketes.

Kommunalverbände lehnen digitale Ratssitzungen ab

Die meisten anderen Punkte sind im Detail zwar nicht unumstritten, behandeln aber oft keine grundsätzlichen Fragen. Es geht um die Kommunalverfassung und die Frage, ob Rechte des Rates vorübergehend auf den Bürgermeister übergehen sollen – oder ob es nicht sinnvoller wäre, Gremien verstärkt über Video-Zuschaltungen stattfinden zu lassen. Landkreistag und Gemeindebund lehnen die Video-Form für die Rats- und Kreistagssitzungen ab, sie wollen das nur auf die Fachausschüsse beschränken – denn Räte und Kreistage könnten in digitalem Modus schlecht öffentlich tagen, was aber notwendig wäre. Andere geplante Reformen betreffen etwa die Verschiebung von anstehenden Wahlen, etwa für Bürgermeister, die Entschädigung für Rettungskräfte und Feuerwehrleute in Katastrophenfällen und die Möglichkeit, kommunale Schulden besonders zu verbuchen und damit anzuhäufen. Auch die Planung von Behelfskliniken und die Finanzierung von Krankenhäusern sollen mit der Novelle vereinfacht werden.

Die Kommunen sagen ja, die Berufsverbände nein

In der Anhörung wurde rasch deutlich, dass die Dienstpflicht für medizinisches Personal die meisten Emotionen auslöst. Die Kommunalverbände hatten im Vorfeld auf „offenbar erhebliche, unnötige Probleme in der Kommunikation zwischen Gesundheitsbehörden und der niedergelassenen Ärzteschaft“ hingewiesen. So habe in Südniedersachsen ein Gesundheitsamt die Ärzte der Region anschreiben wollen, sei aber auf bürokratische Hemmnisse bei der KVN gestoßen. „Eine schnelle Reaktion in Krisenzeiten ist nötig, sie war nicht immer gewährleistet“, berichtete Hubert Meyer, Hauptgeschäftsführer des Landkreistages. Der Datenschutz dürfe hier „keine Bremse sein“. Andere wurden noch deutlicher als Meyer. Der AfD-Abgeordnete Stephan Bothe berichtete von Bürgern, die sich hätten testen lassen wollen, aber „von Arzt und Arzt gerannt“ seien und zunächst niemand gefunden hätten, der dazu bereit gewesen wäre.

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KVN-Chef Barjenbruch betonte, er kenne „keinen Fall, in dem es keine Behandlung gegeben hätte“. Seine Organisation habe höchstens dann Daten nicht an die Behörden weitergeleitet, wenn diese bei ihr nicht vorrätig gewesen wären – „nicht aber aus Datenschutzgründen“. Er räumte jedoch ein, dass die Ärzte anfangs nicht genügend Schutzmasken und -kleidung gehabt hätten, deshalb habe es bei vielen Medizinern „Ängste“ gegeben. Martina Wenker, Präsidentin der Ärztekammer, bat um Verständnis für die Befürchtungen der Mediziner, da nur 0,1 Prozent der Bevölkerung, aber zwölf Prozent des medizinischen Personals nach Analysen des Robert-Koch-Instituts infiziert seien. „Da kann ich die Sorgen mancher Betroffener verstehen“, sagte sie. Gleichwohl habe es eine überwältigende Bereitschaft von Ärzten gegeben, freiwillig zu helfen.

Eine Dienstpflicht wäre ein Affront gegen die Berufsethik, während Freiwilligkeit der Ausdruck von Wertschätzung ist.

Wie die Ärztekammer lehnt auch die Pflegekammer die Zwangsverpflichtung rundweg ab. Vorstandsmitglied Elisabeth Gleiss sagte: „Eine Dienstpflicht wäre ein Affront gegen die Berufsethik, während Freiwilligkeit der Ausdruck von Wertschätzung ist.“ Birgit Eckhardt, Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege, hob hervor: „Der Zwang wäre kontraproduktiv, wir sollten die Hilfsbereitschaft der Pflegberufe nicht aufs Spiel setzen.“ Alexander Zimbehl vom Beamtenbund fügte hinzu: „In dieser Situation würde mit einem solchen Schritt ein völlig falsches Signal ausgesandt werden.“

Dagegen gab es relativierende Einschätzungen von Vertretern der Kassen. Eckart Galas von der AOK meinte, viele Ärzte seien zu Beginn der Pandemie „zurückhaltend“ gewesen, hier würde man den Schritt einer Dienstverpflichtung „durchaus begrüßen“. Jörg Niemann vom Verband der Ersatzkassen bat darum, die Ausgangslage zu beleuchten: „Wir hatten in dieser Corona-Krise viel Glück, weil wir früh informiert waren und unser Gesundheitssystem nicht überlastet war. Das Gesetz soll aber geschaffen werden für den Fall, dass die Bedingungen nicht so gut sind und wir auf die Schnelle genügend Ärzte und Pfleger an bestimmten Orten brauchen. Dann würde eine Freiwilligkeit nicht mehr ausreichen.“ So habe tatsächlich Anfang April die Sorge bestanden, mit Beginn der Osterferien würden viele Arztpraxen schließen und die Mitarbeiter in die Ferien schicken. „Damals meinte die KVN, dass in solchen Fällen bisher keine Handhabe bestünde, die Ärzte zu verpflichten, von diesen Urlaubsplänen Abstand zu nehmen.“

Die Mahnung von Niemann verfehlte in der Anhörung indes ihre Wirkung, denn schon wenige Stunden nach Ende der Sitzung verbreiteten Volker Meyer (CDU) und Uwe Schwarz (SPD) eine Pressemitteilung, in der sie die Rücknahme der Zwangsverpflichtungs-Pläne verkündeten. Niemand habe Interesse daran, den in der Krise hart arbeitenden Beschäftigten im Gesundheitswesen „zu unterstellen, man müsse sie dazu zwingen“, erklärten sie. Die bayerische Lösung sei denkbar, nämlich eine Verpflichtung der Kammern, den Behörden Auskünfte über ihre aktiven und pensionierten Mitglieder zu geben. Ärztekammer-Präsidentin Wenker hatte in der Anhörung auf Nachfragen betont, sie sei jederzeit in der Lage, die 43.000 Ärzte hierzulande anzuschreiben und sie um freiwillige Mithilfe zu bitten. Die Resonanz werde groß sein, sagte sie voraus. (kw)