Autogrammjäger und Rundblick-Autor Tomas Lada erinnert sich an seine Begegnung mit Wladimir Putin in Hannover 2013. | Foto: Struck

Unser Autor Tomas Lada war in seiner Jugend ein leidenschaftlicher Autogrammsammler. Als Wladimir Putin im April 2013 die niedersächsische Landeshauptstadt besuchte, witterte er seine Chance – er wollte eine Unterschrift vom russischen Präsidenten ergattern. Das klappte. Seine Erinnerungen daran, wie Putin damals empfangen wurde und aufgetreten ist, hat er niedergeschrieben. Sein Bericht zeichnet das Bild des späteren Kriegstreibers, eines Mannes mit Vorlieben für große Auftritte.

Hannover glich am 7. April 2013 einer Festung aus Sicherheitskräften. Mehrere Polizeihubschrauber kreisten über dem Stadtzentrum, Straßen waren gesperrt – so etwas hatte ich in meiner Heimatstadt bis dahin noch nicht erlebt. Neugierig und aufgeregt saugte ich diese Eindrücke auf. Jetzt, angesichts des blutigen Angriffskrieges von Putin, muss ich oft an diese Szenen vor knapp neun Jahren zurückdenken.

Hoher Besuch hatte sich an diesem sonnigen Frühlingstag in Hannover angekündigt: Wladimir Putin sollte gemeinsam mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Hannover-Messe im Congress-Centrum eröffnen. Meine Vorbereitungen begannen bereits ein knappes Jahr vorher, als Russland als Partnerland der Hannover-Messe 2013 präsentiert worden war und erste Spekulationen über den Besuch des russischen Präsidenten in der Leinestadt aufkamen. Der Grund hierfür ist ein eher außergewöhnliches Hobby, ich würde sogar behaupten: eine Leidenschaft. Seit meiner frühen Kindheit sammle ich Autogramme. Das Ziel war, mir selbst zu beweisen, dass die größten Namen aus Politik und Showbusiness in meiner Heimatstadt vor mir, meinem Edding und meiner Kamera nicht sicher sind. Aber Wladimir Putin? Ein sehr großer Name für mein damals vielleicht etwas naives 18-jähriges Ich.

Wer ist der Mensch hinter dem Präsidentenamt?

Ich begann zu recherchieren. Jede Dokumentation über den russischen Präsidenten sah ich mir an, um Putin als Menschen verstehen zu können und mir dadurch einen Vorteil zu erarbeiten beim Versuch, mich ihm zu nähern. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir die Dokumentation „Ich, Putin – Ein Porträt“ von Hubert Seipel. Der Dokumentarfilmer begleitete Putin über mehrere Wochen und versuchte, den Menschen hinter dem Amtsträger zu portraitieren. Während einer Fahrt in Putins gepanzerter Limousine durch Moskau fragte der Journalist den Präsidenten, woher die negative Haltung des Westens ihm gegenüber wohl käme. Seine Antwort – in beeindruckend gutem, jedoch nicht perfektem Deutsch – klingt heute wie ein grausamer Ausblick auf die Geschehnisse der vergangenen Wochen: „Vor der Angst“. „Angst? Vor Ihnen?“, wollte Seipel wissen. „Vor Russland, unserem Maßstab, unseren Atomwaffen, unseren Möglichkeiten in verschiedenen anderen Gebieten. Aber das ist altes Denken“, ergänzte Putin.

Aufmerksamkeit ist die Währung für sein Ego

Dass dies gerade für ihn kein altes Denken ist, zeigt sich heute vermutlich eindrücklicher denn je. Interessanter waren damals für mich andere Bilder des Präsidenten, der sich stets im Mittelpunkt des Geschehens zu inszenieren wusste, als Politiker, als Mensch, als Sportler – und selbst bei einem Eishockeyspiel gegen seine Bodyguards vermittelte er ein Bild von Größe – kein Rampenlicht, keine Bühne, keine Eisfläche schien ihm zu groß. Putin, der Rockstar in Anzug und Krawatte. Dies war für mich eine entscheidende Erkenntnis: Der Präsident will verehrt werden, Aufmerksamkeit ist die Währung für sein Ego. Eitelkeit ohne Ende. Kleiner Mann ganz groß.  

Alle Gazetten der Stadt schmückten sich bereits Tage vor dem hohen Besuch mit Informationen zu seinem Aufenthalt, Gerüchten und Geschichten rund um die „Putin-Mania“ in Hannover. Seine gepanzerte Limousine wurde bereits lange vor seiner eigentlichen Ankunft am mit Russland-Fahnen beflaggten Maritim-Hotel in Hannovers Zentrum gesichtet. Hier sollte der Präsident also seine Nacht in Hannover verbringen, hier witterte ich meine einzige Chance, dem Präsidenten Russlands näher zu kommen. Zufälligerweise fiel der Tag der Eröffnungszeremonie auch auf den 69. Geburtstag von Gerhard Schröder. Weil die beiden eine merkwürdige Männerfreundschaft verbindet, lag auf der Hand, dass es am Rande der Hannover-Messe auch zwischen den beiden zu einem Treffen kommen würde. Es sprudelte nur vor Spekulationen über Ort, Zeit und Umfang. Ich fragte mich schon damals, welcher Teil seines Besuchs in Hannover wohl der wichtigere für Putin werden würde: Händeschütteln mit der unbequemen Bundeskanzlerin Angela Merkel oder das private „Tête-à-Tête“ mit seinem Kumpel Gerhard Schröder?

Groß, größer, Putin – ein Riesenspektakel am Flughafen

Am 7. April 2013 war es so weit: Putin kam nach Hannover. Mit einer guten Stunde Verspätung (übrigens nicht außergewöhnlich, dass Putin andere Regierungschefs warten lässt) landete er auf dem Flughafen Hannover-Langenhagen. Über den komplett abgesperrten Schnellweg fuhr seine Kolonne bestehend aus mehr als 30 Fahrzeugen in Richtung Eröffnungsfeier ins HCC. Ich schaute mir das Spektakel beeindruckt an einer Zufahrtstraße an. Hunderte Polizisten standen Spalier, Scharfschützen auf den Dächern sorgten für ein zusätzliches Gefühl des Respekts. „Groß, größer, Putin“ muss ich damals nach diesem Hollywood-gleichen Auftritt gedacht haben. Hier sah ich zumindest die Limousine des russischen Präsidenten langsam an mir vorbeirauschen, der Blick ins Innere des langen Mercedes-Benz blieb wegen zugezogener Vorhänge jedoch verwehrt. Während der Eröffnungszeremonie fuhr ich in das Maritim-Hotel, wo ich mir zwar geringe – aber immerhin die besten – Chancen für ein persönliches Treffen ausmalte.  

Beim offiziellen Empfang führt an den Sicherheitskräften kein Weg vorbei zu Wladimir Putin. | Foto: Lada

Mit dem Auto meiner Eltern gelangte ich in die Tiefgarage des Maritim-Hotels (somit war ich quasi Hotelgast und hatte eine Berechtigung, mich im Hotel aufzuhalten). Dort angekommen, versuchte ich mich an der für mich damals komplett neuen und überfordernden Kunst des Krawatte-Bindens und ging selbstbewussten Schrittes in die Lobby des Hotels. Dort setzte ich mich an die Bar und bestellte eine Cola. Ganz normal, unauffällig. Meine große Tasche mit diversen Eddings, einer klobigen Kamera und einigen Fotos von Wladimir Putin erregte zum Glück keine Aufmerksamkeit innerhalb des Hotels, in dem an diesem Tag sehr viele große, russische Männer mit schwarzen Anzügen und Knöpfen im Ohr herumstanden. Jetzt war Geduld gefragt.

In der Hotelbar wartete ich auf Putins großen Auftritt 

Die Eröffnungszeremonie verfolgte ich über Twitter. Als Putin verabschiedet wurde, stieg die Nervosität, eine zweite Cola wurde notwendig. In wenigen Minuten musste der amtierende russische Präsident irgendwie an mir vorbei. Würde ich ihn überhaupt zu Gesicht bekommen? Steigt er – fast normal – am Haupteingang des Hotels aus und geht den langen Flur in Richtung Aufzug an mir vorbei? Oder wählt er den sicheren Weg durch die Tiefgarage, um von dort direkt zur Präsidentensuite hochzufahren? Dann war es so weit: Das Blaulicht der Polizeieskorte erleuchtete den Haupteingang des Maritim Hotels, aus der Hotelbar konnte ich beobachten, dass die Kolonne von Putin vor dem Haupteingang hielt – natürlich, der ganz große Auftritt. Es wurde hektisch in der Lobby. Ich stand auf und stellte mich selbstbewusst und nervös zugleich zwischen den Hoteleingang und den einzigen Zugang zu den Aufzügen in Richtung Präsidentensuite.

Wladimir Putin, der russische Präsident, kam durch den Haupteingang des Hotels, schritt selbstbewusst mit großen, kräftigen Schritten und staatsmännisch voran, hinter ihm etwa 30 Personenschützer, im Schnitt alle knapp einen Kopf größer als ihr zu schützender Auftraggeber selbst. Was dann passierte, lässt mich heute noch Gänsehaut bekommen. Als Wladimir Putin nur noch etwa fünf Meter von mir entfernt war, zückte ich meinen Edding und wedelte ihm damit zu. In der Szene der Autogrammsammler ist das sowas wie das international anerkannte Zeichen von „ich hätte gerne eine Unterschrift“ und funktioniert in der Regel ganz ohne verbale Kommunikation.

Der russische Präsident erfüllt Autogrammwünsche.

Putin genoss den Aufritt als Rockstar sichtlich

Er nickte gönnerhaft und wich von seiner Route ab, kam direkt auf mich zu, nahm einen Stift und unterschrieb für die anwesenden Interessenten mehrere Gegenstände. Erst unterschrieb er für mich ein Foto, welches ihn gemeinsam mit Gerhard Schröder zeigte. Dann ein weiteres Portrait von ihm selbst. Ich hatte zwei Unterschriften des russischen Präsidenten und wurde frech: beim dritten Foto fragte ich nach einer Widmung, Putin quittierte mit einem „natürlich“ – betont auf dem gerollten „r“. „Für Tomas“ sollte er auf das Foto schreiben. Putin genoss den Auftritt sichtlich, nahm sich einige Zeit für diese aus meiner Perspektive absurde Situation zwischen Hotel-Bar und wartendem Aufzug inmitten des Maritim-Hotels. Er ist eben ein Rockstar. Schwungvoll und groß ist seine Unterschrift, wirkt selbstbewusst. 

Als einer der Bodyguards die Situation mit einem fordernden „finish“ unterbrechen wollte, sammelte ich allen Mut zusammen und fragte den russischen Präsidenten, ob wir als Erinnerung ein gemeinsames Foto machen könnten. Er hielt noch einen Stift in seiner rechten Hand, blickte kurz auf, schaute mir in die Augen und nickte. Der kurze Blickkontakt wirkte freundlich, aber auch intensiv und respekteinflößend. Seine grünlich-grauen Augen haben etwas faszinierendes. Aber auf eine unangenehme Art faszinierend. Ich drückte meine Kamera irgendwem in die Hand, stellte mich neben Wladimir Putin und spürte zwei kräftige Hände eines Bodyguards an meiner Hüfte, die dafür sorgten, dass ich ihm nicht zu nah kommen konnte. Meine Kamera blitzte, ich wich beiseite. Wladimir Putin bedankte sich auf Deutsch, schüttelte noch einige Hände und wünschte einen schönen Abend. Und dann war er weg.

Kühler Blick, warme Geste: Wladimir Putin posiert geduldig mit Tomas Lada für ein Foto. Das war 2013 in Hannover.

Etwa zwei Minuten muss diese Situation gedauert haben, sie fühlte sich jedoch länger an. Ich traf bereits einige Weltstars, darunter Bruce Springsteen, Denzel Washington, Nicolas Cage, Arnold Schwarzenegger, Robbie Williams. Doch dieses Erlebnis stellt bis heute alles in den Schatten – mittlerweile einen sehr traurigen und verständnislosen Schatten. Auch unter den Politikern, die ich traf, war das Erlebnis mit Wladimir Putin einzigartig. Angela Merkel konnte sehr bestimmt sein, mitunter sogar etwas patzig. David Cameron war unfreundlich, Donald Tusk schüchtern, Mark Rutte sehr sympathisch. Politiker zu treffen, macht mir besonders viel Freude. Ihre Sicherheitsblase zu durchstoßen ist jedes Mal aufregend. Und ihre Ausstrahlung live zu erleben. In Sachen Ausstrahlung ist Putin vermutlich einzigartig.  

Gerhard Schröder ließ mich abblitzen

Die Tinte auf den unterschriebenen Fotos war vermutlich gerade erst getrocknet, da tauchte in der Lobby ein weiteres bekanntes Gesicht auf: Gerhard Schröder, an seinem 69. Geburtstag. Etwas weniger staatsmännisch als Putin, deutlich weniger Personenschützer. Natürlich wollte er mit seinem Freund Wladimir Putin an seinem Ehrentag anstoßen. Die Gelegenheit wollte ich mir nicht entgehen lassen und fragte ihn – nach einem freundlichen Glückwunsch zum Geburtstag – nach einem gemeinsamen Foto. In Sachen Ego schätze ich Gerhard Schröder wie Putin ein. Selbstbewusst, dickköpfig, schwierig im Umgang. Der Altkanzler war jedenfalls nicht in der Stimmung für gemeinsame Fotos und ließ mich mit einem sonoren „Neee“ mehr oder weniger im Regen stehen. Zwischen Putin und Schröder war nunmal kein Platz für mich, den Autogrammsammler. Schröders Verhältnis zu Putin ist zweifelsohne besonders. Den Abend seines Geburtstags verbrachte der Altkanzler im Hotel mit seinem Freund Wladimir Putin.

Ich zahlte brav die Getränke an der Hotel-Bar sowie die 18 Euro für das Garagen-Parkticket und bewunderte auf dem Weg zu dem Auto meiner Eltern noch die Staatskarosse Putins in der Tiefgarage des heute mittlerweile leerstehenden Maritim-Hotels. Der gepanzerte Mercedes und die vier Sätze Ersatzräder sowie ein halbes Dutzend Benzinkanister wurden übrigens rund um die Uhr von einem russischen Mann mit Bärenfellmütze bewacht – Tiefgaragen sind kalt und ungemütlich. Heute betrachte ich diese Begegnung sehr ambivalent. Putin ist ein Egozentriker, ein Provokateur. Er sehnt sich nach Macht und Anerkennung, es geht ihm ausschließlich um persönliche Eitelkeiten und seine Wahrnehmung. Er möchte Autogramme schreiben wie ein verehrter Rockstar. Wenn ich das gemeinsame Foto mit ihm betrachte, macht es mich heute – neun Jahre später – traurig und wütend zugleich. Es zeigt einen Mann, der ernstgenommen werden möchte und der alten Sowjetunion hinterhertrauert, für die er als KBG-Agent gedient hat.