In wenigen Tagen, am 1. November, wird Niedersachsen 70. Das Rentenalter ist lange erreicht. Was steht uns in 30 Jahren bevor, im Herbst 2046? Dann gehört das Land zu den Hundertjährigen. Der Rundblick wagt, in einer Fiktion, den Blick voraus. Hier der zweite Teil.

Vor 30 Jahren, als Niedersachsen 70 wurde, sah es düster aus für die Zukunft von Volkswagen. Der Abgasskandal zog das Image des Konzerns in die Tiefe, und manchmal schien es, als könnten die Asiaten den Wettlauf um die Nummer eins der weltweiten Autoproduktion gewinnen. Doch es kam anders, besser für VW, wie auch für Mercedes Benz: Die deutschen Hersteller lernten aus der Krise, setzten all ihre Energie in die Produktion von Elektroautos – und lagen dann um 2030 damit vorn. Da konnte die Konkurrenz aus Fernost nicht mithalten. Die Kombination von guter Qualitätsarbeit, starker gewerkschaftlicher Präsenz in den VW-Werken und geschicktem Agieren der niedersächsischen Landesregierung zahlte sich aus: Nach wie vor sind die niedersächsischen Werke das Standbein von VW, nach wie vor ist VW der Motor der industriellen Produktion im Land. Ein Drittel aller Industriebeschäftigten hat mit dem Fahrzeugbau zu tun. Die Bedeutung hatte, als Niedersachsen 70 war, immer mehr zugenommen. Zum Vergleich: Noch 1995 gab es landesweit 86 Betriebe, in denen Autos (und Teile davon) gebaut wurden, 110.000 Menschen waren dort tätig, der Umsatz betrug – umgerechnet – 27,8 Milliarden Euro jährlich. Zehn Jahre später waren es 120 Betriebe mit 120.000 Mitarbeitern um einem Umsatz von 60,8 Milliarden Euro. Das wurde in den folgenden sieben Jahren bis 2012 noch einmal gesteigert: Obwohl es nur noch 116.000 Mitarbeiter in dieser Branche gab, wuchs der Umsatz auf 77,1 Milliarden Euro.

VW bei Elektroautos vorne: Niedersachsen in 30 Jahren - Foto: Jakob Brüning

VW bei Elektroautos vorne: Niedersachsen in 30 Jahren – Foto: Jakob Brüning

Nun, 2046, ist die Lage verändert. Zwar ist VW weiterhin weltweit führend – aber der Trend hat sich verändert. Die Autos, die in Niedersachsen produziert werden, bestücken vor allem den regionalen Markt. Überhaupt legen die produzierten Güter nicht mehr so weite Wege zurück, denn die Transportkosten sind enorm gestiegen. Weite Transportwege, das heißt hoher Energieaufwand und schädliche Folgen für das Weltklima. Die Stärke und Kraft von VW beruht darauf, dass die Technologie ausgereift ist, die Bauteile einfach und gut kombinierbar sind. Doch diese Teile werden nicht von der einen zur anderen Ecke in der Welt transportiert, sie werden nah am Produktionsort der Autos hergestellt und verarbeitet – und weltweit gibt es jetzt immer mehr VW-Autowerke, die in vielen Ländern Kooperationen mit örtlichen Autoherstellern eingegangen sind, um nicht mehr als „fremde, böse Deutsche“ zu gelten. Die Zeiten haben sich eben geändert.

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War die Welt noch zu Beginn der 2000er Jahre auf Globalisierung eingestellt, so wurde das später zunehmend mit Skepsis begleitet. Ein Symbol mag die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten gewesen sein, sowie wenig später der Präsidentschaftswahlkampf in Paris, der von der Parole „Frankreich zuerst“ geprägt war. Internationale Freihandelsabkommen waren nun plötzlich nicht mehr gefragt, galten sie doch als Symbol dafür, dass die gewohnten heimischen Verhaltens- und Lebensweisen in Gefahr gerieten. Und die Digitalisierung machte es möglich, die besten Bauprogramme für die gewünschten Produkte zuhause einzusetzen – ohne lange Transportwege. Natürlich war internationaler Handel nach wie vor wichtig, allein schon wegen der Rohstoffe, die benötigt wurden. Aber die Bedeutung des Warenaustausches nahm ab, und Deutschlands Wohlstand schadete das sehr, galt Deutschland doch immer als die große Exportnation.

Etwa von 2030 an mussten die Menschen in Niedersachsen lernen, viel bescheidener zu sein. Mit dem Rückgang des Handels wurden die Verdienste geringer – es gab einen Schub für die regionale, mittelständische Produktion, bei der auch viele ältere Arbeitskräfte gebraucht wurden. Die Städte und Kreise begannen, den Personen-Nahverkehr neu aufzustellen mit selbstfahrenden E-Bussen, die eine gute Verkehrsanbindung gewährleisteten. Die Bedeutung des Autos als Verkehrsmittel nahm ab. Flugreisen wurden immer teurer und unerschwinglicher – der Trend nahm ab wegen der Unfallgefahren und der höheren Klimaschutz-Besteuerung. An mehreren Orten in Niedersachsen entstanden neue Freizeitparks unter riesigen Kuppeln. Die gläsernen Hüllen sollten ein warmes Mittelmeerklima garantieren. Das ist nötig, da das norddeutsche Wetter immer stärker von Extremen wie Stürmen, Trockenheit, Hitze und heftigen Regengüssen geprägt wird.

Ein großer neuer Freizeitpark ist jetzt in Wilhelmshaven geplant, auf der großen planierten Fläche des Jade-Weser-Portes. Als Hafen wird das Gelände nicht mehr benötigt. (kw)