Was haben Volkswagen und Facebook gemeinsam? Beide Unternehmen haben mit der Dieselkrise auf der einen und dem Datenschutzskandal auf der anderen Seite schwere Imagekratzer hinnehmen müssen. Zugleich aber halten die Kunden beziehungsweise Nutzer unverändert an den Unternehmen fest. Volkswagen verdient sogar mehr als vor dem Dieselskandal. Und auch Facebook will die breite Mehrheit die Treue halten – zumindest vorerst. Die privaten Nutzer bleiben bei Facebook an Bord, weil sie es wollen. Die Profis bleiben, weil sie es müssen. „Wo sollen wir denn hin? Wir haben doch keine Alternative“, hört man von Landtagsabgeordneten und aus den Fraktionen.

Kurzer Rückblick: Ins Rollen gekommen war die Debatte um Facebook durch den Skandal rund um die Datenanalysefirma Cambridge Analytica. Sie soll Daten von 50 Millionen Facebook-Nutzern außerhalb der Kooperation mit Facebook illegal erworben haben und damit im Jahr 2016 den Wahlkampf von US-Präsident Donald Trump unterstützt haben. Sie bekam die Daten offenbar von einem Psychologie-Professor, der sie mit einer App eigentlich zu wissenschaftlichen Zwecken sammeln sollte. „Man habe die Wählerstimmung im Netz maßgeblich beeinflusst“, prahlte die Firma nach Trumps Sieg. Facebook, speziell der Gründer Mark Zuckerberg, zeigte sich nach dem Bekanntwerden des Skandals mit der Situation überfordert. Fünf lange Tage vergingen, der Aktienkurs brach dramatisch ein. Facebook büßte zeitweise 50 Milliarden Dollar Börsenwert ein. Erst das veranlasste Zuckerberg wohl, in so etwas ähnliches wie eine Offensive zu gehen und sich zu entschuldigen. Inzwischen hatten erste Werbekunden, zum Beispiel die Commerzbank, Medienberichten zufolge ihre Kampagnen bei Facebook bereits auf Eis gelegt.


Kleine Presseschau – Lesetipps zur Facebook-Debatte:

Martin Giesler: Kann man Mark Zuckerberg noch vertrauen? 

Handelsblatt: Wie Mark Zuckerberg Facebook in eine Krise stürzt

Sascha Lobo auf Spiegel Online: Der eigentliche Skandal liegt im System Facebook


Obwohl die breite mediale Berichterstattung Facebook schadet, so bleibt es angesichts weltweit mehr als 2,1 Milliarden Nutzern zunächst einmal bei einem Sturm im Wasserglas. Auch von den geschätzten drei Millionen Nutzern in Niedersachsen dürften die wenigsten dem sozialen Netzwerk in den vergangenen Tagen den Rücken gekehrt haben. Genau das führt auch dazu, dass sich die Landespolitik mit Konsequenzen aus dem Datenskandal schwertut. In allen Fraktionen nimmt man zwar die Datenschutz-Probleme zur Kenntnis, hofft allerdings auf eine bessere Regulierung seitens der europäischen Politik. Nur eine Handvoll Abgeordneter hat zumindest kurz darüber nachgedacht, den eigenen Facebook-Account zu löschen – ohne das allerdings in die Tat umzusetzen. Davon ist man weit entfernt.

Denn Facebook lässt sich für die politische Kommunikation nur mit dem Unwort des Jahres 2010 beschreiben: alternativlos. Zwar wird in manchen Fraktionen und bei einigen Abgeordneten damit begonnen, zumindest einen Teil der Kommunikation in Richtung Twitter oder Instagram (was allerdings auch zu Facebook gehört) zu verlagern. Auf Facebook kann und will man allerdings im politischen Raum nicht verzichten, weil das breite Publikum dort immer noch vertreten ist. Beispiel: Rund 16.000 Abonnenten hat die niedersächsische SPD, über 28.000 sind es bei der CDU. FDP-Chef Stefan Birkner hat auf Facebook rund dreieinhalbtausend Freunde, Ex-Umweltminister Stefan Wenzel von den Grünen mehr als 4000. Diese Zielgruppe will niemand so schnell aufgeben.

Bereits vor dem Datenskandal war die Politik gezwungen, den Umgang mit Facebook zu überdenken. Denn das Unternehmen hatte den Algorithmus geändert. Die Nutzer sollten mehr Beiträge von Freunden und Familie sehen anstatt von Unternehmen, Medien und politischen Gruppen. Das führte zu massiven Reichweitenverlusten – auch in der Politik. Dort wird jetzt gegengesteuert, teilweise mit mehr Geld, aber vor allem mit angepassten Inhalten. Denn Facebook belohnt mehr Interaktion mit mehr Reichweite. Das bedeutet: Je konfrontativer die Beiträge von Politiker, Parteien und Fraktionen sind, desto mehr Reaktionen und Kommentare gibt es. Das wiederum steigert die Reichweite. Die zahlreichen Bilder von Politikern vor Stellwänden, die man immer wieder auf Facebook gesehen hat, funktionieren nicht mehr. Jetzt wird die Kontroverse gesucht.

https://soundcloud.com/user-385595761/daumen-runter-landesregierung-denkt-uber-facebook-seite-nach

Auch wenn sich Kommunikationsprofis auf die neuen Erfordernisse einstellen können, weiß niemand so genau, wie die Entwicklung bei Facebook weitergehen wird. Das Unternehmen ist im Umbruch und könnte auch in einen langsamen Abwärtsstrudel geraten. Viele Facebook-Nutzer klagen, dass der geänderte Algorithmus auch dafür sorgt, dass sie viel mehr alte Meldungen zu sehen bekommen. Denn viele Freunde sind nach Jahren ein wenig Facebook-müde geworden und veröffentlichen wenige Texte und Bilder. Wenn aber mehr von denen zu sehen sein soll, die weniger veröffentlichen, führt das automatisch zu mehr Langeweile. Die Jungen sind ohnehin längst woanders unterwegs. So könnten zusätzlich zum fehlenden Nutzer-Nachwuchs die bestehenden Kunden mit der Zeit des sozialen Netzwerks überdrüssig werden, während gleichzeitig das Schmuddel-Image beim Datenschutz zusätzliche Vertrauenspunkte kostet. Keine ungefährliche Gemengelage für den Konzern.

Ich höre ja auch nicht mit dem Autofahren auf, weil es Unfälle gibt.

Social-Media-Redakteurin über Konsequenzen aus dem Facebook-Datenschutzskandal

Noch sprechen die fehlenden Alternativen für Facebook. Netzwerke wie Vero, 2015 gegründet vom Sohn des ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri, hatten inzwischen nicht nur mit eigenen Skandalen zu kämpfen, sondern spielen nach wie vor keine Rolle. Dasselbe Problem gibt es auf dem Markt für Messenger. Auch hier setzt die breite Masse auf das zum Facebook-Konzern gehörende WhatsApp. „Was soll ich mit dem Messengerdienst vom Schweizer Unternehmen Threema?“ fragt ein Pressesprecher. Der gelte zwar als sicher, aber kaum einer seiner Kontakte nutze ihn.

Und so bleibt erst einmal alles beim Alten. Der Datenschutzskandal bringt die social-media-Teams nicht aus der Ruhe. „Ich höre ja auch nicht mit dem Autofahren auf, weil es Unfälle gibt“, sagt eine Redakteurin. (MB.)