Wie ist es um Demenzerkrankte bestellt, wenn sie einmal ins Krankenhaus müssen? Ungewohnte Umgebung und fremde Menschen verstärken nicht selten die Orientierungslosigkeit der Erkrankten und führen dazu, dass die weglaufen wollen. Die Krankenhäuser in Niedersachsen seien darauf nicht ausreichend vorbereitet, meint die SPD-Landtagsfraktion und hat sich deshalb in einer fraktionsinternen Anhörung von Experten beraten lassen. 75.000 Patienten, bei denen Demenz als Haupt- oder Nebendiagnose festgestellt wurde, zählte die Krankenhausgesellschaft Niedersachsen im Jahr 2016. Das entspricht 4,3 Prozent aller stationär Behandelten. Allgemein wird von einer demografisch bedingten Zunahme der Fälle ausgegangen.

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Die besondere Herausforderung sieht Marten Bielefeld von der Krankenhausgesellschaft bei den mehr als 73.000 Patienten, bei denen die Demenz nur in der Nebendiagnose festgestellt wurde, diese also nicht den wesentlichen Grund für den Krankenhausaufenthalt darstellt. Zahlen zu dieser Gruppe lieferte Dorothea Jahns vom Verband der Ersatzkassen. Nach ihren Erhebungen lassen sich 60 Prozent der Demenzdiagnosen im Bereich der Inneren Medizin finden, 15 Prozent in der Chirurgie, acht Prozent in der Neurologie und nur etwa fünf Prozent in der Psychiatrie. Dabei werde gerade in psychiatrischen und geriatrischen Fachabteilungen besonders auf die Anforderungen bei Demenzerkrankungen geachtet: zum Beispiel durch bauliche Maßnahmen oder Prozessanpassungen.

Wir brauchen dringend die gemeinsame Grundausbildung. Und wenn im Kurrikulum das Thema Demenz bislang gar nicht vorkommt, dann ist das ein Webfehler.

Doch werden überhaupt alle Demenzerkrankungen im Krankenhaus diagnostiziert? „In Notaufnahmen wird eine Demenz eher nicht festgestellt. Dafür gibt es dort keine Kapazitäten“, sagt Konstantin Lekkos, Chefarzt für Altersmedizin am Helios-Klinikum Hildesheim. Manuel Ahting, Geschäftsführer der Pflegekammer Niedersachsen, sieht darin das Hauptproblem: „Akutkrankenhäuser unterliegen wirtschaftlichen Zwängen, aus denen klar strukturierte Prozesse folgen, die sich allein an der diagnostizierten Krankheit orientieren. Insbesondere Menschen mit Demenz habe ihre Schwierigkeiten, sich da einzufügen. Solange diese Prozesskultur in den Krankenhäusern omnipräsent bleibt, haben es die Projekte und Initiativen zum Wohl der Demenzerkrankten immer schwer.“

Ahting möchte diesen Mechanismus, der zu immer kürzeren Verweildauern führt, durchbrechen. Lekkos hingegen plädiert gerade bei Demenzpatienten für das Gegenteil und verweist auf die Fast-Track-Medizin aus Skandinavien: „Es ist geboten, den Demenzpatienten bei gleicher Qualität so kurz wie möglich im Krankenhaus zu behalten und dabei so gut es geht zu beschäftigen, damit keine Stresssituation entsteht. Wenn die Übergabe mit der ambulanten Betreuung funktioniert, ist das der bessere Weg.“

Weiterbildungsmaßnahmen sind vielen Kliniken zu teuer

Einig sind sich die Experten darin, dass es in den Krankenhäusern an Sensibilität für die Demenz-Problematik mangelt. „Wir müssen disziplinübergreifend ein Bewusstsein schaffen“, sagt Merten Bielefeld. Mancherorts wird dies über Demenzbeauftragte erreicht, doch im vergangenen Jahr kam in Niedersachsen kein Kurs für diese Weiterbildungsmaßnahme zustande. „Der Selbstkostenbeitrag in Höhe von 1600 Euro ist vielen Kliniken zu hoch, weil sie den Mehrwert noch nicht erkennen“, sagt Chefarzt Lekkos. Auch Bielefeld mahnt: „Wir zählen mittlerweile 26 Beauftragte in den Krankenhäusern aber es gibt nur eine begrenzte Summe Geld, um diese Leistungen auch zu bringen.“ Dorothea Jahns vom Verband der Ersatzkassen möchte nun aber keine Forderungen nach mehr Gegenfinanzierung; die entsprechende Ausrichtung müsse mit dem Vorhandenen erreicht werden. Ein Anreizsystem über ein Zertifikat für demenzsensible Krankenhäuser könnte sich Lekkos vorstellen.


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Der SPD-Gesundheitsexperte Uwe Schwarz hält hingegen weniger von einem Demenzlabel für niedersächsische Kliniken: „Was wir brauchen, ist der Sachverstand in den Krankenhäusern.“ Der Sozialdemokrat kann sich ein Care-Team vorstellen, das durch die Krankenhäuser zieht und über das Problem aufklärt. Außerdem sieht er sich nach der Expertenanhörung darin bestärkt, dass die für 2020 beschlossene Zusammenlegung der Ausbildung für Kranken- und Altenpfleger eine sinnvolle Entscheidung war. „Wir brauchen dringend die gemeinsame Grundausbildung. Und wenn im Kurrikulum das Thema Demenz bislang gar nicht vorkommt, dann ist das ein Webfehler.“ Diesen gelte es jetzt gemeinsam mit der Pflegekammer und den Kostenträgern zu korrigieren.