Von Klaus Wallbaum und Martin Brüning

Die ersten Plakate stehen schon, zu den ersten Frühschoppen und Podiumsdiskussionen wurde bereits eingeladen: Niedersachsen stellt sich allmählich wieder auf den Wahlkampf ein, am 11. September werden die Räte der Städte, die Kreistage und Ortsräte neu bestimmt. Für die rot-grüne Landesregierung von Ministerpräsident Stephan Weil wird es der erste landesweite Stimmungstest – und das rund anderthalb Jahre vor der nächsten Landtagswahl. Die Parteistrategen stellen sich darauf ein, dass mögliche Verschiebungen in den Ergebnissen für die landespolitische Stimmungslage große Auswirkungen haben werden.

Die ersten Plakate stehen: Kommunalwahlkampf in Hannover

Die ersten Plakate stehen: Kommunalwahlkampf in Hannover

Die Wahl vor fünf Jahren führte in vielen Kreistagen und Räten der Städte zu rot-grünen Mehrheiten. Außerdem waren die Piraten damals als relativ neue Partei vielerorts erfolgreich. Der Trend zu Rot-Grün, der nach der Kommunalwahl im Herbst 2011 sichtbar wurde, ist von den Vertretern von SPD und Grünen seinerzeit als Vorbote für die Landtagswahl interpretiert worden. In der Tat folgte dann bei der Landtagswahl im Januar 2013 ein Wechsel von Schwarz-Gelb zu Rot-Grün. Ob damals tatsächlich die Kommunen ein Vorreiter für das Land waren, ist fraglich. Auf jeden Fall ist seinerzeit wie heute die Versuchung groß, aus der Kommunalwahl etwas für die nahende Landtagswahl ableiten zu wollen.

Aber wie verschieben sich die politischen Gewichte? Verlässliche landesweite Umfragen gibt es aktuell nicht, aber aus bundesweiten Trends kann man Erwartungen ableiten. Zunächst ein Blick zurück. 2011 hatte die CDU 4,3 Prozent verloren und die SPD 1,7 Prozent eingebüßt, die CDU war aber mit 37 Prozent (im landesweiten Ergebnis) führend, die SPD mit 34,9 Prozent auf Platz zwei. Große Gewinner waren damals die Grünen, die landesweit auf 14,3 Prozent kamen. 2011 war immerhin das Jahr, in dem sich in Japan die Atomkatastrophe ereignete – mit der Folge, dass die Grünen für ihr Generalthema Atomausstieg besonders viel Aufmerksamkeit erfuhren. Die FDP, die sich 2011 in einer bundesweiten Krise befand, war geschwächt bei 3,4 Prozent. Die Linke landete bei 2,4 Prozent – und die Sonstigen bei 8,0 Prozent, darunter viele lokale Wählervereinigungen und die Piratenpartei. Vermutet werden kann, dass die Piratenpartei bei dieser Kommunalwahl ihre lokalen Erfolge nicht wird wiederholen können, sie findet in der öffentlichen politischen Diskussion kaum noch statt.

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Auf der rechten Seite des politischen Spektrums bekommt die CDU allerdings Konkurrenz von der AfD, die rechtspopulistische Partei tritt in allen Kreistagen mit eigenen Listen an. In den bundesweiten Umfragen müssen beide großen Parteien, Union und SPD, derzeit Einbußen einstecken. Deshalb liegt es aus heutiger Sicht nahe, dass die Kommunalwahl durchaus mit einer Enttäuschung für CDU und SPD enden könnte. Sollte sich die AfD auf kommunaler Ebene etablieren können, stünde auch die bisherige rot-grüne Mehrheit in den Kreistagen auf der Kippe. Womöglich werden die Mehrheitsbildungen in den Kreistagen und Räten der Städte schwieriger, vielleicht sind vielerorts künftig Bündnisse zwischen mehreren Gruppierungen erforderlich, um für wichtige Beschlüsse – etwa Haushaltspläne – eine Mehrheit zu finden.

Ein solches Kommunalwahlergebnis wäre ein Signal: Die politische Lage ist instabiler geworden, die Mehrheitsbildung schwieriger – womöglich auch nach der nicht mehr allzufernen Landtagswahl. In den Parteien kann das zu unterschiedlichen Konsequenzen führen.

Die SPD erfreut sich derzeit an der funktionierenden rot-grünen Koalition. Der Ministerpräsident ist beliebt, die Minister arbeiten recht harmonisch zusammen, größere Pannen oder gar Krisen gibt es nicht. Die Kommunalwahl könnte zum ersten Mal diese heile Welt erschüttern, wenn die Erwartung einer Chance auf die Fortsetzung von Rot-Grün schwindet. Die SPD könnte sich verstärkt um die FDP bemühen, um nach der Landtagswahl ein rot-grün-gelbes Bündnis anzupeilen. Oder sie könnte stärker an die CDU heranrücken zur Vorbereitung einer Großen Koalition.

Die CDU wäre nach einem Erfolg der AfD bei der Kommunalwahl alarmiert. Zum einen würde das sehr wahrscheinlich zu Lasten ihrer eigenen Stärke gehen, da die AfD konservatives Wählerpotential abschöpft. Zum anderen würde eine gestärkte AfD den einen oder anderen in der CDU vor die quälende Frage stellen, ob es eine Zusammenarbeit zwischen beiden Parteien in den Kommunen geben darf oder nicht. Es wird wohl die vordringliche Aufgabe des neuen Spitzenkandidaten der CDU für die Landtagswahl sein, der bald nach der Kommunalwahl gekürt werden soll, hier eine Richtung vorzugeben. Wahrscheinlich ist, dass die CDU eine Kooperation mit der AfD auf kommunaler Ebene strikt ausschließt. Wenn das so käme, andererseits aber rot-grüne Bündnisse in den Kommunen keine Mehrheit mehr hätten, könnte eine verstärkte Kooperation von CDU und SPD in vielen Kreistagen und Räten der Städte die Folge sein. Anhänger einer Großen Koalition im Landtag könnten eine solche Entwicklung als Vorboten für die Landtagswahl in anderthalb Jahren interpretieren.

Die Grünen meiden ähnlich wie die Sozialdemokraten strategische Debatten um eine Neuausrichtung, weil sie sich lieber im Licht der harmonischen Regierungskoalition sonnen. Aber wenn Rot-Grün allein keine Aussicht auf eine Mehrheit mehr hat, gäbe es für die Grünen zwei Wege – oder sogar drei. Man könnte sich der CDU annähern, falls es für Schwarz-Grün noch reichen könnte. Die Befürworter dieser Linie im niedersächsischen Landesverband der Grünen sind entweder kaum vorhanden oder aber leise. Früher galt der heutige Umweltminister Stefan Wenzel als einer der wenigen prominenten Befürworter von Schwarz-Grün, mittlerweile hält er sich öffentlich in Strategiedebatten zurück. Ein rot-grün-gelbes Bündnis hätte für die Grünen die unangenehme Begleiterscheinung, mit der ungeliebten FDP paktieren zu müssen. Außerdem wäre das Gewicht der Grünen in einem Drei-Parteien-Bündnis wesentlich geringer als in einer Zweier-Koalition. Falls die Linke noch einen Aufschwung erleben sollten, käme auch noch ein rot-rot-grünes Bündnis in Betracht, eine Variante, die auch von einigen führenden Grünen Niedersachsens befürwortet wird.

Die FDP hätte nach einem Kommunalwahlergebnis, das die  großen Parteien schwächt, auch eine strategische Debatte am Hals: Soll man sich, wenn es im Lande weder für Schwarz-Gelb noch für Rot-Gelb reichen könnte, als dritter Partner an Rot-Grün annähern und mitregieren – oder lieber in der Opposition bleiben? Wäre vielleicht auch ein Bündnis mit Union und Grünen vorstellbar? Bisher wird die FDP wahrgenommen als eine Partei, die immer noch eng an der Seite der CDU steht. Doch ein überraschendes Kommunalwahlergebnis könnte diesen Ablösungsprozess beschleunigen – bei der FDP wie bei der CDU.

Die Linke und die AfD würden, sollten sie bei den Kommunalwahlen überraschend gut abschneiden, Morgenluft für die Landtagswahl schnuppern: Plötzlich wären sie Kräfte, mit denen die anderen Landtagsparteien rechnen müssen – als mögliche Koalitionäre oder als oppositionelle Kräfte, als Bündnispartner oder als erbitterte Gegner.

Der Reiz von Kommunalwahlen wird oft größer, wenn parallel in einigen Städten oder Kreisen noch Direktwahlen der Verwaltungschefs stattfinden – Landräte oder Oberbürgermeister. Doch am 11. September bleibt die Zahl dieser Direktwahlen bescheiden: Sechs Landräte werden gewählt in Göttingen, Helmstedt, Peine, Hildesheim, Leer und Wittmund, außerdem ein Oberbürgermeister, nämlich in Celle. In mehreren kleineren Städten und Samtgemeinden gibt es ebenfalls Wahlen der Verwaltungschefs. Eine große landesweite Wirkung ist mit diesen Direktwahlen weniger verbunden.