So mancher Sozialdemokrat aus Ostfriesland, der in diesen Tagen von Journalisten angerufen wird, wehrt schon ab: „Nein danke, ich gebe keinen Kommentar ab!“ Die Genossen würden derzeit mit Anfragen regelrecht „bombardiert“, sagt eine Kreistagsabgeordnete aus Aurich. Da könne man nur schweigsam reagieren. Ein anderer meint, in der Region gebe es momentan „nur noch ein einziges Thema“, und das bringe die Sozialdemokraten richtig in Wallung. Es geht um einen ihrer Parteifreunde, den 42-jährigen Landtagsabgeordneten Jochen Beekhuis aus der Gemeinde Großefehn im Kreis Aurich. Er vertritt seit Oktober 2017 den Wahlkreis „Wittmund-Inseln“ im Landtag – und nebenher ist er noch Fraktionschef der SPD im Kreistag von Aurich. Dort galt er einst als jung, dynamisch und zupackend. Viele sehen das heute nicht mehr so.

Morgen, in einer Sondersitzung der Kreistagsfraktion, droht Beekhuis die Abwahl. Das wäre dann der vorläufige Gipfelpunkt eines Machtkampfes, der sich seit sechs Wochen in der SPD Weser-Ems vollzieht. Die regionalen Medien sind voll davon, die Ostfriesen-Zeitung hat vieles aufgedeckt und ihre täglichen Berichte sind seitdem überall Gesprächsthema. Nur bis nach Hannover, in die Landeshauptstadt, dringt das Thema bisher nicht richtig vor. Das ist zunächst auch nicht verwunderlich, denn die Geschichte beginnt damit, dass Beekhuis, den in der Weser-Ems-SPD jetzt viele als Täter sehen, anfangs ein Opfer war, auch ein Opfer seiner eigenen Unvorsichtigkeit. Im Januar war bekannt geworden, dass ein 20-jähriger Schüler aus Hessen die Daten von mehr als 1000 Prominenten gehackt und veröffentlicht hatte. Darunter waren die Unterlagen von 139 Niedersachsen, davon 57 aktiven oder ehemaligen Landtagsabgeordneten – auch die von Beekhuis.

Zum Verhängnis wurde ihm, dass er seine Chats vorwiegend über Facebook abwickelte, das ließ sich leicht knacken. Am 7. März dann sickerte in Ostfriesland durch, mit wem Beekhuis kommuniziert hatte, welche Themen er behandelte und Begriffe er verwendete. Dabei kam heraus, dass er selbst gegen Parteifreunde Leserbriefe entworfen hatte, die dann andere unterschreiben sollten – damit ging er etwa gegen die Wittmunder SPD-Kreisvorsitzende Roswitha Mandel vor, die es zuvor gewagt hatte, ihn wegen seines Wohnsitzes zu kritisieren. Denn Beekhuis vertritt Wittmund in Hannover, treibt aber gleichzeitig Kommunalpolitik im Nachbarkreis Aurich. Das passt nicht zusammen. Dann wurde bekannt, dass Beekhuis sich offenbar abschätzig über Homosexuelle und Übergewichtige, aber auch frauenfeindlich geäußert haben soll. Ein Macho, noch dazu in einer Zeit, da die SPD vehement für ein Paritätsgesetz wirbt? Auch das passt nicht.

Zu diesem Zeitpunkt, bis Mitte März etwa, hätte Beekhuis vielleicht noch die Kurve kriegen können. Hätte er seine Äußerungen bedauert und als überzogen bezeichnet, sich auch entschuldigt, so wäre womöglich noch etwas zu retten gewesen. Aber das tat er nicht. Der Abgeordnete erklärte, die Chats nicht zu kennen. Es könne sich um Fälschungen handeln – und weil die Daten auf einem Diebstahl beruhten, äußere er sich auf Anraten seiner Anwälte nicht dazu. Die Spitze des SPD-Bezirks Weser-Ems kochte vor Wut, setzte eine Untersuchungskommission ein und forderte Beekhuis auf, für die Zeit der parteiinternen Überprüfung seine Ämter in Hannover und Ostfriesland ruhen zu lassen.

Doch Beekhuis ignoriert das seit nunmehr einem Monat, geht in Ausschuss- und Plenarsitzungen, als sei nichts geschehen. Er tritt in Hannover sogar besonders gut gelaunt und kontaktfreudig auf – ganz so, als wäre gar nichts geschehen. „Der ist mit allen Wassern gewaschen“, sagt ein Genosse über ihn. „Der lässt sich nie etwas vorschreiben“, meint ein anderer.

Schon beginnen die Distanzierungen

Dabei geht es gar nicht so sehr um die abschätzigen Äußerungen des Abgeordneten, auch nicht um die fragwürdigen Leserbriefe. Beekhuis‘ Hauptproblem ist, dass mit der Offenlegung seiner über sieben Jahre gepflegten Kommunikation sein politisches Profil erkennbar wird. Die gehackten und verbreiteten Daten, in die das Politikjournal Rundblick Einblick nehmen konnte, haben zunächst einen gewaltigen Umfang. Es sind mehrere hundert Kontaktpersonen, die Chats umfassen teilweise Massen an Dialogen. Wer alles sichten und analysieren wollte, bräuchte dafür vermutlich Monate. Dennoch sind einige Bereiche schon durchgesickert, vor allem dort, wo sich der SPD-Politiker mit Vertrauten ausgetauscht oder Strategien besprochen hat. Das betrifft eine Kollegin im Kreistag, eine Mitarbeiterin im Wahlkampf und zwei enge Vertraute. Tatsächlich sind in den Unterhaltungen auch frauenfeindliche Hinweise zu finden, aber längst nicht so häufig wie man nach der bisherigen Berichterstattung hätte vermuten können.

Dafür wird in den Dialogen ein Politikbild vermittelt, das dem der US-Erfolgsserie „House of Cards“ gleicht: Es geht fast nur darum, wie man gegen Gegner (in der eigenen Partei) vorgeht, wie man sich selbst öffentlich präsentiert, wie man die Lokalpresse zur Berichterstattung bewegt, wie gut man selbst dasteht, welche Schwächen die anderen haben und wie man sie in die Defensive drängen kann. Die Mitarbeiterin rät Beekhuis „Versuche, Deine Abneigung unter Kontrolle zu bekommen“. An anderer Stelle wird empfohlen, eine Parteifreundin „eine Woche lang unter Beschuss zu nehmen“. Der Dialogpartner antwortet: „Das kriegen wir hin“. Woanders heißt es „Die werde ich alle abschlachten“, dann wird hinzugefügt „politisch“. Zum Umgang mit einen Parteifreund wird geraten, man müsse ihn „stärker beachten“, um seinen Widerstand zu brechen, und über einen anderen wird gesagt: „Den kann man gut manipulieren, wenn man ihm das Gefühl gibt, der Größte zu sein.“

Beekhuis erscheint in mehreren Passagen wie jemand, der rücksichtslos seine Ziele durchsetzt und in seinen Urteilen über Parteifreunde unnachsichtig ist. Er habe ein „ausgeprägtes Freund-Feind-Schema“, sagt ein Genosse über ihn. Erstaunlich ist zudem, wie wenig sich die Beteiligten in den Chats über politische Inhalte, Positionierungen oder Sachfragen austauschen. Die Politik scheint hier vielmehr allein auf Beziehungen und Machtkämpfe reduziert zu werden. Ob Beekhuis hier eine große Ausnahme darstellt, weiß niemand – er hat nur das Pech, dass seine intimen Dialoge allesamt mehr oder weniger öffentlich zugänglich sind und in Ostfriesland kursieren. Ganz viele Menschen halten die Chats für echt und nicht für gefälscht – das macht es für den Abgeordneten nicht leichter. Das Bild, das er damit unfreiwillig abgibt, möchte niemand von der Politik gezeigt bekommen.

Schon beginnen die Distanzierungen. Eine Vertraute hat sich inzwischen öffentlich entschuldigt und ist aus der SPD ausgetreten. Sie fehlt ihm damit auch in der SPD-Kreistagsfraktion als Verbündete. Wird Beekhuis morgen abgewählt, dann würde seine letzte Bastion fallen. Immer mehr SPD-Gliederungen, vorgestern die Jusos Weser-Ems, gehen zu ihm auf Distanz. Das Landtagsmandat kann ihm am Ende keiner nehmen – aber die Landtagsfraktion könnte dafür sorgen, dass es sehr einsam um ihn wird. Im März dachten einige noch, es müsse doch möglich sein, Beekhuis eine Brücke zum Abschied aus der Politik und zum beruflichen Neubeginn zu ebnen. Heute sind diese Stimmen verstummt, alle rechnen mit seiner unbedingten Hartnäckigkeit. Bis zum Schluss. (kw)