Nicht nur die parlamentarische Basis der neuen SPD/CDU-Regierung ist viel größer als die der alten rot-grünen Koalition, die bekanntlich bis kurz vor Schluss nur über eine einzige Stimme Mehrheit verfügte. Auch der Vertrag, den beide Parteien abgeschlossen und gestern am späten Abend druckfertig vollendet haben, sprengt bisherige Dimensionen. Er ist 138 Seiten lang – damit hat hinter der Einleitung jeder der 137 Landtagsabgeordneten eine Seite für sich allein, kann man scherzhaft einwenden.

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Zum Vergleich: Die alte Koalitionsvereinbarung von Sozialdemokraten und Grünen zählte nur 95 Seiten, der erste rot-grüne Vertrag aus dem Jahr 1990 hatte sogar nur 34 Seiten. Längere Texte sind differenzierter, ob sie aber auch in jedem Fall besser sind, wird sich in den nächsten Jahren erst zeigen. Hier ein paar wesentliche Inhalte:

Innere Sicherheit: Mehr Polizisten, neues Polizeigesetz

Es soll zunächst 1500 Polizisten zusätzlich geben. Außerdem wird eine „Bedarfsanalyse“ angekündigt, mit der geprüft werden soll, wie das Ziel von 3000 Kräften (das entspricht der CDU-Forderung) erreicht werden kann. Allerdings sind in diesen 3000 Stellen auch Verwaltungskräfte eingerechnet, die nicht als klassische Polizisten gelten. Die CDU-Position, für islamistische Gefährder eine Präventivhaft von bis zu 18 Monaten vorzusehen, wird abgeschwächt: Es sollen maximal zweieinhalb Monate sein. Ein neues Polizeigesetz, das Meldeauflagen und verbesserte Videoüberwachung vorsieht, soll rasch dem Landtag vorgelegt werden. Videoaufnahmen aus Gewahrsamszellen sollen auch gestattet werden.

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In dem Polizeigesetz soll der Begriff der „öffentlichen Ordnung“ weiterhin auftauchen. Aus der Beschwerdestelle im Innenministerium soll ein Qualitätsmanagement für die gesamte Landesverwaltung werden. Im Versammlungsgesetz soll die Vermummung wieder als Straftat (nicht mehr als Ordnungswidrigkeit) erwähnt werden. Der Koalitionsvertrag enthält ein Bekenntnis dazu, Asylbewerber mit falschen Identitätsangaben schon aus dem Erstaufnahmelager abschieben zu können. Das Landeskriminalamt soll „so schnell wie möglich“ an einem Standort konzentriert werden, die Speicherung der Daten von 14- bis 16-Jährigen beim Verfassungsschutz soll bei einem Gewaltbezug möglich sein.

Justiz: Stärkere Staatsschutz-Staatsanwaltschaften

Die bisherigen Gerichtsstandorte sollen alle erhalten bleiben, das Justizzentrum Osnabrück soll zügig fertiggestellt werden, neue Zentren sollen in Braunschweig und Oldenburg entstehen. Die Staatsschutz-Staatsanwaltschaften sollen „deutlich gestärkt werden“. Mögliche Verbindungen früherer Landtagsabgeordneter zur DDR-Staatssicherheit sollen untersucht werden.

Bildung: Erhalt von Förderschulen, mehr Geld für Schulleiter

In Klasse 3 soll es noch Leistungsbeschreibungen geben, in Klasse 4 dann Noten. Schullaufbahnempfehlungen soll es nach Abschluss der Grundschule nur geben, wenn die Eltern dies unbedingt wollen. Für die noch bestehenden Förderschulen Lernen, die die SPD abschaffen, die CDU übergangsweise erhalten wollte, gibt es eine längere Übergangsfrist. Die Kommunen können, wenn sie wollen, dort weitere vier Jahre lang Kinder einschulen. Bis 2021 sollen 1,5 Milliarden Euro fließen, damit alle Schulen Ganztagsschulen werden können.

Über all diese Papiere in diesem Ordner wurde beraten – die 138 Seiten des Koalitionsvertrages wirken da fast schmal – Foto: MB.

Eine neue Arbeitszeitverordnung für Lehrer soll kommen, dabei sollen Pädagogen über 55 besonders entlastet werden. Als ersten Schritt einer neuen Gehaltsstruktur sollen Schulleiter mindestens A13 bekommen. Die Landesschulbehörde soll „als Dienstleister neu organisiert werden“, die Anbindung ans Kultusministerium müsse verbessert werden. Schon von Mitte 2018 an soll es keine Elternbeiträge mehr in Kindergärten geben, mit den Kommunen soll über eine Kostenerstattung verhandelt werden. In der Wissenschaftspolitik soll ein „niedersächsisches Kompetenzzentrum für Digitalisierung“ geschaffen werden – in einer Kooperation des Offis-Instituts in Oldenburg und des Forschungsinstituts L3S in Hannover.

Wirtschaft und Umwelt: Neue Ladenöffnungs-Regeln, neues Mediengesetz

Das Ladenöffnungsgesetz soll novelliert, die Sonntagsöffnung der Geschäfte aber nicht ausgeweitet werden. Geprüft werden soll, ob ein Sonder-Staatssekretär die Digitalisierungsprojekte bündeln kann – und ob dieser bis Mitte 2018 einen Masterplan vorlegen kann. Außerdem will die Koalition untersuchen, ob das Verbandsklagerecht nicht unmittelbar beteiligter Verbände bei Straßenbauprojekten entfallen kann, damit die Planungen beschleunigt werden. Die N-Bank soll zu einer „echten Förderbank weiterentwickelt“ werden. Bei Zuwendungen sollen künftig erst ab 100.000 Euro, bei Aufträgen ab 15.000 Euro drei Angebote eingeholt werden müssen. Mit einer Novelle des Mediengesetzes sollen die Spielräume der Verlage erweitert werden können. Der Ausbau von Talsperren und Rückhaltebecken, vor allem im Harz, soll vorangetrieben werden. Wenn der Erhaltungszustand des Wolfes geprüft und als günstig festgestellt wurde, soll das Tier künftig wieder gejagt werden können.

Kommunen und Finanzen: Größere kommunale Fraktionen, keine neuen Schulden

Die Koalition will „leistungsfähige Verwaltungsstrukturen“ von Land und Kommunen schaffen. Die Mindestgröße von kommunalen Fraktionen soll auf drei Mitglieder (bisher zwei) heraufgesetzt werden – ein Schritt gegen die oft beklagte Vielfalt der Kleinstgruppierungen in den Räten und Kreistagen. Die Direktwahl der Großraumverbandsversammlung in Braunschweig, von Rot-Grün für das Jahr 2021 geschaffen, soll wieder zugunsten der indirekten Wahl der Vertreter abgeschafft werden. In sechs Modellkommunen soll erprobt werden, ob und wie staatliche Aufgaben (und bei kreisangehörigen Gemeinden Kreisaufgaben) kostenneutral erledigt werden können.

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Was die Gebietsreform angeht, soll eine „Potenzial- und Entwicklungsanalyse“ bis Mitte 2019 aufzeigen, welche Veränderungen es geben kann. In der Landesverwaltung soll eine Regierungskommission prüfen, inwieweit Prozesse radikal vereinfacht und modernisiert werden können. SPD und CDU versprechen außerdem, dass sie in den kommenden fünf Jahren „keine neuen Schulden machen“ wollen. Der Einstieg in die Tilgung der Altschulden werde angestrebt. (kw)