Der Ort ist derselbe, eine Tagungshalle in Hannover-Wülfel. Der Teilnehmerkreis ist derselbe, es sind die Delegierten des SPD-Landtagsparteitags. Auch das Programm ist fast deckungsgleich, im Mittelpunkt steht eine große Rede des Landesvorsitzenden Stephan Weil, danach dann eine angehängte Aussprache. Nur das Wetter ist an diesem trüben November-Sonnabend nass und kalt. Vor knapp drei Monaten, als die Sozialdemokraten hier die heiße Phase des Landtagswahlkampfs eingeläutet hatten, war es noch warm und hell. Auch die Stimmung war im September anders – eine kämpferische Rede des Ministerpräsidenten fand Widerhall in einer fast euphorisierten Anhängerschaft. Diesmal ist der Wahlkampf vorüber, auch wenn der Beifall nach wie vor stark und kräftig wirkt.

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Fast automatisch erheben sich die Genossen nach Weils fast 45-minütiger Rede von den Plätzen und applaudieren. Aber richtiger Jubel wie am 1. September ist es nicht, es dominieren an diesem Tag Nüchternheit und Sachlichkeit. Und es wird jetzt, anders als damals, auch Widerspruch laut – von vielen Jungsozialisten. Sie sperren sich dagegen, das Okay der SPD zum SPD/CDU-Koalitionsvertrag zu geben.

Weil rüffelt die FDP

Immerhin zerplatzt ja auch der Traum vieler in der Partei, weiter an der Seite der Grünen zu regieren, vielleicht noch unter Hinzunahme der FDP. Stephan Weil, der in seiner Rede die Vorzüge der rot-schwarzen Vereinbarung erklären will, spricht es zu Beginn selbst gleich offen an. „Ich hätte gern Rot-Grün fortgesetzt“, meint Weil, aber die Verantwortung dafür liege bei der FDP. „Mit ist nicht klar, warum man eine Partei in die realistische Gefahr einer jahrelangen Bedeutungslosigkeit führt“, rüffelt Weil mit einem Seitenhieb auf den sich einer Ampel verweigernden FDP-Chef Stefan Birkner, den er nicht namentlich nennt.

Und eine rot-grüne Minderheitsregierung, die auch von manchen in der SPD bevorzugt worden wäre? „Ich habe das sehr genau geprüft. Es wäre ein sehr instabiles, mit hoher Wahrscheinlichkeit scheiterndes Vorhaben geworden“, meint Weil und fügt hinzu: „Ich bin kein Zocker.“ In seinem bisherigen Leben, sagt der SPD-Chef, habe er immer nur in rot-grünen Konstellationen gearbeitet, eigentlich habe er das nicht ändern wollen. Aber in dieser konkreten Situation sei ein Bündnis mit der CDU „für absehbare Zeit eine vertretbare Lösung“. Fast hätte er vorher „mit den Schwarzen…“ gesagt, korrigiert sich dann aber rasch in „…mit den Unionisten“ – und ein Raunen geht durch den Saal, die humorvolle Einlage kommt durchaus an. Ein bisschen willkommene Auflockerung wenigstens.

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Sodann versucht Weil noch, die Vorbehalte gegen die Große Koalition zu entkräften. Boris Pistorius habe CDU-Forderungen zur Flüchtlingspolitik „wegverhandelt“, die CDU-Vorschläge zur Inklusion seien nicht zum Zuge gekommen („aus der Atempause ist Luftholen geworden“), die Genossin Birgit Honé sei eine neue „Außenministerin“ Niedersachsens und dass Olaf Lies vom Wirtschafts- ins Umweltministerium wechsele, sei eine „Chance“. „Echte soziale Fortschrittspolitik ist ökologisch geprägt“, meint Weil – ein Versuch, eine Verhandlungsniederlage ins Positive zu verkehren. Je länger man über Lies‘ Wechsel ins Umweltressort nachdenke, desto mehr Gefallen gewinne man daran, fügt der Regierungschef hinzu.

Noch deutlicher rührt später in der Aussprache der SPD-Bundestagsabgeordnete und Umweltpolitiker Matthias Miersch hier die Werbetrommel: „Jetzt erst kann Olaf Lies seine wahre Rolle als Wirtschaftsminister finden.“ Als der Name Lies an diesem Tag das erste Mal erwähnt wird, in Weils Rede, bricht kräftiger Beifall aus – der bisherige Wirtschaftsminister genießt in der SPD nach wie vor starken Rückhalt.

Jusos lehnen den Koalitionsvertrag ab

Doch wer an diesem Vormittag eine schnelle Einigung über den Koalitionsvertrag beim Parteitag erwartet hatte, wird doch enttäuscht. Nach dem Ende von Weils Vortrag drängeln sich viele Redner der Jungsozialisten am Mikrophon, sie lehnen die Große Koalition mit unterschiedlich krassen Worten ab. „Die Polarisierung zwischen uns und der CDU“, die sich auch in scharfen Angriffen Stephan Weils im Wahlkampf auf die Christdemokraten ausgedrückt hatte, werde nun „wieder eingeebnet“, klagt Jakob Blankenburg.

Amy Selbig fügt hinzu, es drohe nun „die massenhaften Abwanderung von Wählern an die Ränder“, also auch weg von der SPD. Philipp Le Butt, Juso aus Hannover, nennt die Große Koalition „nicht Stillstand, sondern Rückschritt“. Antonia Hillberg aus Hildesheim moniert, dass es viel mehr Männer als Frauen in den Ministerämtern gibt. Und die Göttingerin Silke Hansmann sagt es noch deutlicher: „Wir wollen die Hälfte aller Plätze für Frauen, auch in den Führungsetagen!“

Der erkennbare Aufstand der Jusos provoziert mehrere gestandene SPD-Politiker zum Widerspruch, damit zieht sich die Debatte in die Länge. Hannovers Regionspräsident Hauke Jagau sagt, Kritik sei ja berechtigt, aber man müsse doch immer auch die Alternative bedenken – und die liege doch nur in der Opposition. Die Bundestagsabgeordneten Miersch und Hubertus Heil loben das „große Verhandlungsgeschick“ der SPD-Seite in den Gesprächen mit der CDU. Der künftige Umweltminister Lies schlägt wenig später in die gleiche Kerbe: „Der Koalitionsvertrag hat überwiegend rote Ergebnisse.“ Innenminister Boris Pistorius meint: „Ich verspreche Euch: Ich werde meine Position nicht räumen gegenüber der CDU.“ Er werde darauf achten, dass etwa in der Flüchtlingspolitik „keine rote Linie überschritten wird“.

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Johanne Modder, Fraktionschefin im Landtag, räumt zwar ein, dass die Quotierung im Kabinett nicht geklappt hat. An die Jusos gewandt meint sie: „Ich bitte Euch aber, uns zu vertrauen, dass wir im Landtag das Richtige tun werden.“ Die praktische Arbeit, fügt sie hinzu, fange ja jetzt erst an. Ganz zu Beginn des Parteitags tritt schon Hannovers Oberbürgermeister Stefan Schostok in gleicher Weise werbend auf, durchaus über seine zur Neutralität verpflichtende OB-Rolle hinausgehend: „Alle Sozialdemokraten haben sich hinter Weil versammelt – Danke für solche Geschlossenheit!“

Der in diesen Worten ausgedrückte Wunsch wird später beherzigt: Die große Mehrheit der 200 Delegierten nimmt den Vertrag an, etwa 20 Neinstimmen und fünf Enthaltungen runden das Bild ab. Damit ist klar: Von SPD-Seite ist die Große Koalition abgesegnet. Heute abend folgt die CDU. (kw)