Von Niklas Kleinwächter

Es ist ein Schreckensszenario, das bislang zum Glück noch ausgeblieben ist. Aber die Justiz treibt die Sorge vor dieser Bedrohung durchaus um: Eine Verwaltung oder gar ein Krankenhaus wird von einem Computervirus erfasst, der sämtliche Systeme lahmlegt. Alle Zugänge werden verschlüsselt, nichts geht mehr. Ein anonymer Erpresser tritt auf und fordert in kurzer Zeit die Übergabe horrender Summen, damit er die Systeme wieder freigibt – allerdings nicht in kleinen unmarkierten Scheinen, wie man das aus Krimis kennt. Sondern in Form von Bitcoins.

„Cyberangriffe auf Krankenhäuser und Verwaltungen sind eine reale Bedrohung für uns alle“, sagt Niedersachsens Justizministerin Barbara Havliza (CDU). „Auch bei dieser Form von Kriminalität geht es am Ende fast immer um Geld.“ Der von der Polizei auf einer Parkbank abgestellte Geldkoffer, den sich der Erpresser dann abholt, spiele dabei aber keine große Rolle mehr. Denn Lösegeldforderungen oder auch Geldwäsche würden heute häufiger in der virtuellen Währung Bitcoin abgewickelt, erklärt Havliza. Darauf müsse die Staatsanwaltschaft reagieren und sich ganz neu aufstellen.

Foto: ThaiMyNguyen

Sogenannte Kryptowährungen werden für Kriminelle immer interessanter, um ihren illegalen Geschäften im verborgenen Darknet nachzugehen. Auch für die Ermittler rückt der Umgang mit dem virtuellen Geld deshalb verstärkt in den Fokus. Allein in diesem Jahr haben die Staatsanwaltschaften in Niedersachsen schon Bitcoin mit einem Gegenwert von etwa 650.000 Euro beschlagnahmt, erklärt das Justizministerium. Zum Vergleich: In der Zeit von 2010 bis 2018 waren es insgesamt nur knapp 410.000 Euro. Der Trend ist also deutlich erkennbar.

Cyberangriffe auf Krankenhäuser und Verwaltungen sind eine reale Bedrohung für uns alle.

Doch was ist überhaupt eine virtuelle Währung? Vor zehn Jahren tauchten virtuelle oder auch Kryptowährungen erstmals im Internet auf, mittlerweile gibt es über einhundert verschiedene davon. Bitcoin ist dabei die häufigste Währung, gefolgt von Ether und Ripple. Die virtuellen Währungen sind vollkommen legal und erlauben einen bargeldlosen Zahlungsverkehr im Internet. So lässt sich zum Beispiel eine Bestellung bei dem Restaurant-Lieferdienst Lieferando auch in Bitcoin bezahlen.

Wie bei anderen Währungen auch, ist die Grundlage für den Wert einer virtuellen Währung das Vertrauen der Nutzer in diesen Wert. Der Wechselkurs hängt dabei von Angebot und Nachfrage ab und schwankt daher stark. Zurzeit ist ein Bitcoin etwa 7550 Euro wert. Anders als bei normalen Währungen stehen aber weder Staaten noch Banken hinter diesem System, sondern Computerprogramme. „Bitcoin sind nicht kopierbar und nicht einfach weitergebbar“, erklärt Oberstaatsanwalt Frank Lange, Leiter der Zentralstelle Informations- und Kommunikationstechnik bei der Staatsanwaltschaft Verden.

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Die Anzahl der Bitcoin ist begrenzt und jeder Bitcoin kann nur einmal ausgegeben werden. Sichergestellt wird das durch eine dezentrale Datenbank, die sogenannte Block-Chain. Dort werden alle Transaktionen verzeichnet und eine Verschlüsselungstechnik sorgt dafür, dass immer nur der Eigentümer eines Bitcoins damit arbeiten kann. „Auf jedem Bitcoin werden die Besitzer in Form eines Codes eingraviert“, erklärt Lange. Theoretisch lassen sich also sämtliche Transaktionen auf einem Bitcoin nachlesen. „Wer genau dahintersteckt, bleibt aber unklar.“ Denn die einzelnen Datensätze in der Block-Chain werden kryptografisch miteinander verkettet.

Hacker-Angriffe auf Große Unternehmen und Stadtverwaltungen

Die Materie ist komplex und nur wenige verstehen wirklich, was sich dahinter verbirgt. Das stellt auch die Staatsanwaltschaften vor Herausforderungen. Es kam schon vor, dass ein Informatiker als Sachverständiger einen kompletten Strafprozess begleiten musste, um die technischen Vorgänge für die Richter zu übersetzen. Zudem sei noch ein Entwicklungsschub zu erwarten, erklärt Oberstaatsanwalt Lange. So habe zum Beispiel Facebook angekündigt, demnächst eine eigene virtuelle Währung namens Libra einzuführen. Schweden und die Ukraine prüften zurzeit ebenfalls, eigene Kryptowährungen anzubieten.

Erpressungen und Geldwäsche seien die häufigsten Straftatbestände, bei denen Bitcoins eingesetzt werden, sagt Lange. Bekannt geworden sind zuletzt etwa Fälle von erpresserischen E-Mails, bei denen angeblich die Computer der Empfänger gehackt und explizites Material entwendet wurde. Aber auch große Unternehmen wie der Heise-Verlag oder die Stadtverwaltung von Neustadt am Rübenberge wurden kürzlich Opfer von Hackerangriffen in Verbindung mit versuchter Erpressung. In allen Fällen wurde Lösegeld in Form von Bitcoin verlangt. Oberstaatsanwalt Lange geht aber von einer erheblich hohen Dunkelziffer solcher Fälle in der Privatwirtschaft aus, weil betroffene Unternehmen in der Regel nicht damit zur Polizei oder an die Öffentlichkeit gingen.

In Niedersachsen wurden als Reaktion auf die zunehmenden kriminellen Geschäfte mit diesem virtuellen Geld bereits im März 2018 drei Zentralenstellen zur Bekämpfung der Internetkriminalität eingerichtet: neben Langes Einheit in Verden auch noch je eine bei den Staatsanwaltschaften in Göttingen und Osnabrück. Seitdem habe es in Niedersachsen sieben Verfahren gegeben, bei denen virtuelle Währungen beschlagnahmt wurden, berichtet das Justizministerium.

Der größte Fund in einem einzigen Datensatz umfasste in Niedersachsen etwa 165 Bitcoin. Anschließend müssen die Bitcoins dann schnell verwertet, also an der Bitcoin-Börse verkauft werden, damit nicht das Land mit beschlagnahmtem Geld spekuliert.

Am Landgericht Hannover startet bald ein großer Cybercrime-Prozess

Nachdem sich zunächst die drei Staatsanwaltschaften auf das neue Phänomen spezialisiert haben, müssten nun die Gerichte folgen, sagt Oberstaatsanwalt Lange. Auch Justizministerin Havliza erwartet, dass sich in Zukunft einzelne Spruchkammern bei Gericht auf Internetkriminalität spezialisieren müssen. „Wenn sich das weiterentwickelt, wie es sich abzeichnet, kommen wir da gar nicht drum herum.“

Havliza erwartet, dass es sich natürlich in diese Richtung entwickeln werde. Am Landgericht Hannover beginne bald ein besonders großer Prozess zu diesem Themenbereich. Dort müssten sich die drei Richter des Spruchkörpers dann gründlich einarbeiten. So werden sie zu den ersten Experten für Cybercrime und Bitcoins an Niedersachsens Gerichten.