Von Isabel Christian

Seit die Balkanroute im vergangenen Jahr geschlossen und der Strom der Neuankömmlinge zum Rinnsal wurde, scheint die Normalität in die Ausländerverwaltung zurückgekehrt zu sein. Es kommen zwar noch immer täglich mehrere Hundert Menschen pro Tag nach Deutschland und etwa fünfzig von ihnen suchen in den niedersächsischen Landesaufnahmeeinrichtungen vorübergehend eine neue Bleibe. Verglichen mit 2015 ist das jedoch sehr wenig. „Wir haben insgesamt 4620 Plätze, davon sind momentan 3670 belegt“, sagt Jens Grote, Präsident der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen (LAB NI). Eine generelle Auslastungsquote von 70 Prozent scheint zu bestätigen, was sich in den Kommunen durch den Leerstand vieler Unterkünfte vermittelt den Eindruck: die Flüchtlingskrise ist überstanden. Doch ein genauerer Blick offenbart, dass nach der Krise nicht gleich vor der Krise ist. Und zu 70 Prozent belegte Betten schnell zum Problem werden können.

Über 12.000 Menschen finden Platz

Grotes Mitarbeiter erinnern sich noch an das Bild, das sich ihnen im Sommer 2015 nahezu jeden Morgen bot. Menschen, die sich Betten nach Schichtprinzip teilten, und Matratzenlager auf dem Boden, über die sie klettern mussten, um in ihre Büros zu kommen. „Es war unglaublich chaotisch, aber es ging nicht anders“, sagt Grote. Bis Frühjahr 2016 sei es eine große Herausforderung gewesen, den vielen Menschen eine Unterkunft zu bieten, sie zu versorgen und angemessen zu betreuen.  Damit sich so etwas nicht wiederholt, hat die LAB aufgestockt. 2830 Betten stehen bereit, um sie bei Bedarf zusätzlich in die Zimmer zu stellen. Darüber hinaus hat die LAB Gebäude zu Reserveunterkünften erklärt. Steigt die Zahl der ankommenden Flüchtlinge wieder stark an, finden so noch rund 12.800 weitere Menschen einen Platz. „Wir haben aus der Hochphase gelernt“, sagt Grote. Doch das heißt nicht, dass auch alle Betten belegt werden können. Denn schon jetzt ist eine 70-prozentige Auslastung im Normalbetrieb viel. „Wenn eine vierköpfige Familie in ein Sechs-Bett-Zimmer zieht, können wir ja nicht noch zwei allein reisende Männer dort einquartieren“ sagt Grote. Ab einer Auslastung von 80 Prozent müsse man deshalb Flüchtlinge in andere Einrichtungen umquartieren.

Grundlage der Software ist ein Hotelprogramm

Neben einem Konzept für mehr Unterbringungsmöglichkeiten hat sich noch einiges mehr in der LAB verändert. Seit Februar gibt es Stellen für Mitarbeiter, die standortübergreifend arbeiten. Sie sollen die Arbeitsabläufe zwischen den einzelnen Einrichtungen besser koordinieren. Zudem wird derzeit eine neue Software eigens für die LAB entwickelt. „Unser vorheriges System war für einen Flüchtlingsansturm gar nicht ausgelegt“, sagt Grote. „Viele Informationen, die plötzlich eine zentrale Rolle spielten, konnten nur händisch ausgewertet werden.“

Das liegt vor allem daran, dass der Ursprung der alten Software ein Hotelbelegungsprogramm war. Das jedoch verhindert komplexere und behördenweite Datenabfragen zu den Flüchtlingen und bietet auch keine Schnittstellen zu anderen Behörden oder Programmen. „Die jetzige Software ist einfach nicht in der Lage, unsere Kernaufgaben und Arbeitsabläufe korrekt abzubilden und zu erleichtern“, sagt Grote. Mit der neuen Software soll das alles anders werden. Sie wird genau auf die Ansprüche der LAB zugeschnitten. „Künftig werden beispielsweise erforderliche Daten noch schneller bereitgestellt“, sagt Grote. Zurzeit brüten IT-Experten über der Frage, wie die Benutzeroberfläche gestaltet werden kann, damit sie den Angestellten die Arbeit erleichtert. Doch obwohl das Land schon in die Ausrüstung der LAB NI investiert hat, sieht Grote noch Handlungsbedarf. So seien etwa viele Gebäude sanierungsbedürftig. „Hier muss die nächste Landesregierung noch Mittel bereitstellen, sonst sind wir bald am Ende unserer Möglichkeiten“, sagt Grote.

Bis zu sechs Monate in der Erstaufnahme

Anders als in der Hochzeit der Flüchtlingskrise werden derzeit keine Flüchtlinge aus sicheren Herkunftsländern mehr auf die Kommunen verteilt, die keine Aussicht auf ein Bleiberecht haben oder deren Asylantrag abgelehnt wurde. „Es war der Wunsch der Kommunen, diese Menschen bei uns zu belassen“, sagt Grote. Allerdings bringt das einige Probleme mit sich. Denn eigentlich sollen Flüchtlinge dort nur sechs bis acht Wochen bleiben. Doch die Abschiebungen ziehen sich durch den bürokratischen Aufwand und die Menge der abgelehnten Asylbewerber oft monatelang hin. Deshalb passiert es oft, dass Flüchtlinge bis zu sechs Monate in den Erstaufnahmeeinrichtungen leben. „Das macht viel mehr Betreuung nötig“, sagt Grote.

Der Grünen-Abgeordnete Belit Onay findet es deshalb falsch, die Flüchtlinge in den Einrichtungen zu halten. „In der Theorie klingt das sinnvoll, aber in der Realität kann das nicht reibungsfrei funktionieren.“ Das liege vor allem daran, dass unterschiedliche Personenkreise permanent unter einem Dach leben müssten. Unterschiedliche Ethnien und Altersgruppen mit unterschiedlichen Bedürfnissen. „Die LAB ist nicht geeignet dafür, all diesen individuellen Anforderungen gerecht zu werden, dafür ist sie auch nicht gemacht“, sagt Onay. Statt die LAB also finanziell und personell immer weiter aufzustocken, sollte vielmehr die Kooperation mit den Kommunen verbessert werden, um die Flüchtlinge während der langen Wartezeiten optimal zu betreuen.

Keine Zentren

Doch was soll mit denen geschehen, die von Anfang an keine Aussicht auf eine Zukunft in Deutschland haben? Grote zufolge kommt insgesamt etwa ein Drittel der Flüchtlinge aus den sogenannten sicheren Herkunftsstaaten, je nach Struktur der Erstaufnahmeeinrichtungen machen sie 25 bis 50 Prozent der Bewohner aus. Wären sie in eigenen Zentren bis zu ihrer Rückkehr besser aufgehoben? „Damit täten wir ihnen und unseren Mitarbeitern keinen Gefallen“, sagt Grote. Denn die Perspektivlosigkeit würde nicht zu mehr freiwilligen Ausreisen animieren, aber Bewohner und Betreuer dauerhaft deprimieren.