Schon vor mehr als drei Jahren, als die SPD nach dem Rückzug von Andrea Nahles einen neuen Vorsitzenden suchte, war in Niedersachsen klar: Für Boris Pistorius, den seit 2013 amtierenden Landes-Innenminister, ist die Landespolitik zu eng geworden. Er strebte damals schon nach Höherem. Das mit dem SPD-Vorsitz wurde für ihn, der damals an der Seite der Sächsin Petra Köpping stand, am Ende nichts. Sie landeten abgeschlagen im Mittelfeld. Dann kam die Bundestagswahl, die Regierungsbildung – und oft hatte man bei Pistorius den Eindruck, er schiele nach Berlin.

Doch Chancen ergaben sich nicht. Erst jetzt, nach dem Rückzug von Christina Lambrecht, wird der 62-jährige Jurist in die Verantwortung genommen. Für ihn spricht, dass er in der SPD nicht so einfach als „Rechter“ oder „Linker“ gelten kann. Als Innenpolitiker steht er eher den Konservativen nah. Doch in der schroffen Art, in der er etwa mit der AfD umgeht, gewinnt er schnell die Sympathien der Linken in der SPD.

Boris Pistorius | Foto: Link

Was spricht für Pistorius, der wie Olaf Scholz aus Osnabrück kommt? Beide sind etwa gleich alt, hatten aber nie einen besonders engen Kontakt. Pistorius hat nach dem Abitur Groß- und Außenhandelskaufmann gelernt, leistete 1980 und 1981 Wehrdienst, studierte dann Jura in Osnabrück und Münster – und lernte, was ihn heute besonders auszeichnet, mehrere Sprachen, darunter Englisch, Französisch und auch Russisch. In den diplomatischen Dienst, sagte er später einmal, wäre er gern gewechselt.


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Vor mehr als 30 Jahren trat er in die niedersächsische Landesverwaltung ein, wurde Büroleiter des damaligen Innenministers Gerhard Glogowski, seines Mentors, ging später dann zur Bezirksregierung nach Osnabrück und wurde 2006 zum Oberbürgermeister von Osnabrück gewählt. Das blieb er bis 2013, als Stephan Weil ihn nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten als Innenminister benannte. Über all die Jahre galt das Innenministerium in Hannover als gut geführt, es drangen kaum Konflikte nach außen, offene Personalfragen wurden schnell gelöst – und Skandale oder Affären blieben stets so, dass das Innenministerium sie beherrschte.

So war es beispielsweise, als beim Verfassungsschutz Akten verschwunden waren oder interne Daten über V-Leute in die Hände von Rechtsanwälten gelangten. Der Übergriff einer salafistischen Jugendlichen auf einen Polizisten in Hannover, der erste islamistische Anschlag, führte zu einem Untersuchungsausschuss im Landtag. Doch trotz erheblicher Kritik an der Polizeistrategie hielt sich Pistorius im Amt. Über all die Jahre geriet er nie ernsthaft in Bedrängnis.



Der bisherige niedersächsische Innenminister ist jemand, der in Diskussionen sehr deutlich Position bezieht und zuspitzen kann. Kritiker sagen, dabei wirke er zuweilen etwas arrogant. Im Umgang mit der AfD beispielsweise scheute er sich nicht vor fragwürdigen Vergleichen und Angriffen. Dort, wo manche Politiker sehr differenziert und abwägend urteilen würden, wagt Pistorius oft den Angriff und die Vereinfachung. Das bringt ihm den Vorwurf ein, er sei ein „Schwarz-Weiß-Maler“ und tue seinen Gegnern Unrecht.