Putin wollte mit ihm schwimmen, Schröder nach dem Ukrainekrieg mit ihm reden und Kohls Witwe mit ihm beten. Er war offenbar überall dabei, mischte mit, bot sich an als Seelsorger und Berater oder auch als Hassobjekt. Die Rede ist von Kai Diekmann, von 2001 bis 2017 Chefredakteur der Bild-Zeitung. Jetzt ist seine Autobiografie erschienen unter dem nicht frei von Hybris stehenden Titel „Kai Diekmann: Ich war Bild – ein Leben zwischen Schlagzeilen, Staatsaffären und Skandalen“ (DVA, 34 Euro).

Ein in mehrfacher Hinsicht überraschendes Buch, denn der ehemalige Chef des umstrittenen Blattes stellt sich selbst als eine Art verkappter Versöhner dar, der selbst mit dem Bild-Erzfeind und Aufklärer Günter Wallraff einen Separat-Frieden schloss. Auch wenn man etliche Zweifel an der höchst subjektiven Darstellung von Diekmann haben kann – eines kann man Diekmanns Buch nicht absprechen: Es ist gut konzipiert – und selten langweilig.

Quelle: DVA

Mit „Ziemlich beste Feinde“ ist das erste Kapitel des Buches überschrieben, das auch nach Niedersachsen führt. Diekmann zeichnet die Affäre Wulff noch einmal nach, das Drama eines angegriffenen und zuletzt völlig überforderten Bundespräsidenten, der zum Hörer greift und seinen ganzen Ärger über gegen ihn recherchierende Journalisten rauslässt. Wulff spricht in der Mailbox-Nachricht an Diekmann, die ihm zum Verhängnis werden wird, von „Krieg führen“ – und droht mit dem Staatsanwalt. Die mit drohendem Ton unterlegte Bitte um Aufschub einer Presseveröffentlichung wird als Angriff auf die Pressefreiheit gewertet.

Wulff hat sich um Kopf und Kragen geredet (und den niedersächsischen Landtag mit einer Falschaussage düpiert). Er muss gehen. Dabei hatte die „Bild“ geradezu liebevoll über das Scheitern seiner ersten Ehe und den Neubeginn mit Bettina berichtet, um konservative Wähler nicht zu verprellen. Diekmann dazu: „Sugar Coating nennt man das in der Pharmazie. Wenn die bittere Pille einen Zuckerüberguss bekommt, damit sie besser rutscht.“



Aufs Süßholzraspeln und die Vergabe von sauren wie auch süßen Drops versteht sich der mächtige Chefredakteur. Nicht nur, wenn er sich Helmut Kohl als Trauzeugen wünscht und bei Kohls zweiter Heirat selbst dessen Trauzeuge wird. Diekmann hält nach dem Tod des Altkanzlers in Oggersheim sogar die Totenwache. Und hält der noch jungen Witwe die angeblich lediglich geldgierigen Kohl-Söhne vom Leib, die mittlerweile juristisch gegen das Diekmann-Buch vorgehen wollen. So organisiert der Blattmacher selbstlos die Trauerfeier für sein verstorbenes Idol. Das hat natürlich mit Journalismus wenig zu tun, dafür feiert sich der Autor und Kohl-Freund als großer Humanist. Keinem anderen Staatsmann sei so viel Unrecht widerfahren wie dem Kanzler der Einheit, schreibt Diekmann – und meint vermutlich die Behandlung der Spendenaffäre.

Bereits als Bielefelder Gymnasiast hat Diekmann sein erstes (Schülerzeitungs)-Interview mit dem großen Pfälzer gemacht. Spät hat der Kohl-Verehrer sein Herz auch für Kohls Nachfolger entdeckt. Für Gerhard Schröder. Minutiös (und durchaus spannend) schildert er die Scharmützel, die er sich zu rot-grünen Zeiten mit Schröder und dessen damaliger Gattin Doris Köpf, einer ehemaligen „Bild“-Kollegin, geleistet hat. Doch die gemeinsame Liebe zur Kunst und Lebenskünstlern wirkte offenbar so friedensstiftend, dass Diekmann später einer der Hochzeitsgäste bei Schröders fünfter Hochzeit wird. Nach Beginn des Ukrainekrieges hat er ihn gleich mehrmals getroffen – und outet sich nun als heimlicher Schröder-Versteher.

Kai Diekmann (Jahrgang 1964) stieg während seiner Bundeswehr-Zeit in den Journalismus ein. Von 1998 bis 2000 leitete er als Chefredakteur die „Welt am Sonntag“, von Januar 2001 bis Januar 2017 stand er an der Spitze von „Bild“. Heute betreibt er eine Social-Media-Agentur und lebt mit seiner Familie in der Nähe von Potsdam. | Foto: privat/Friedrich Bungert

So leidet er mit dem Alt-Kanzler, dem wegen der Putin-Nähe sogar Frisöre die Dienste aufkündigen. Auch wenn er Putin und den Ukraine-Überfall betreffend natürlich anderer Meinung ist als der bald 80-jährige frühere Regierungschef. Diekmann zitiert den verfemten Schröder so: „Meine Möglichkeit, überhaupt noch einmal hilfreich zu sein, hat mit Vertrauen zu tun.“ Hätte er sich von Putin distanziert, hätte er keinen Zugang mehr zu ihm, argumentiert Schröder. Diekmann lässt das so stehen und spricht von einem tragischen „Untergang“ des Alt-Kanzlers, der in der Bundesrepublik zum Paria geworden sei.

Auch über Gespräche mit Trump, Erdogan, Putin und anderen Despoten erfährt man Einiges jenseits des Protokolls. Auch über Diekmanns gar nicht heimliche Liebe zur linken „taz“ und ihren Macherinnen. Über die aktuellen Springer-Skandale und seinen inzwischen wieder geschassten Nachfolger hingegen nichts. Warum auch? Es geht ihm im Wesentlichen um tolle Geschichten, tolle Typen, um Macht und um Menschen voller Spannungen. Tolle Typen wie ihn. Um sein sehr subjektives Verständnis von Wahrheit und Journalismus, der überhaupt nichts von einer um objektive Distanz bemühte Haltung wissen will. Was können Distanz und Zurückhaltung auch sein für einen, der lieber mit den Wölfen tanzt?

Von Michael B. Berger


Unser Autor Michael B. Berger war bis Mitte 2022 Leiter der landespolitischen Redaktion der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung und ist ein langjähriger Kenner der politischen Szene in Niedersachsen.