Der Geschäftsführer der Deutschen Rentenversicherung Braunschweig-Hannover, Prof. Ralf Kreikebohm, hadert mit den Beschlüssen der Großen Koalition in Berlin. Zu viele Aufgaben, die eigentlich mit Steuergeld bezahlt werden müssen, würden auf die Beitragszahler abgewälzt. Wichtige Fragen der Zukunftssicherung der Rente bekämen zudem nicht die Aufmerksamkeit, die sie eigentlich verdienten. Prof. Kreikebohm äußert sich im Gespräch mit der Redaktion des Politikjournals Rundblick.

Prof. Ralf Kreikebohm beim Rundblick. Foto: Gartz

Rundblick: Herr Prof. Kreikebohm, ist die Rente in zehn oder 20 Jahren noch sicher?

Prof. Kreikebohm: Wenn Sie die demographische Entwicklung ansprechen, also die Veränderung im Altersaufbau der Gesellschaft, dann antworte ich: ja. Was wir bisher hier geschafft haben, ist eine gute Mischung, die sich sehen lassen kann. An den drei Stellschrauben haben wir gedreht. Erstens die Altersgrenze, also das Jahr, in dem die Menschen in den Ruhestand wechseln. Um die Ausgaben der Rentenkasse zu reduzieren, können die Älteren erst später aus dem Berufsleben ausscheiden. Zweitens die Beiträge – bei einer drohenden Unterfinanzierung müssen diese angehoben werden. Und drittens die Rentenanpassungsformel, die beschreibt, wie stark sich die Rente an der Bruttolohnentwicklung orientiert. Sie bewirkt eine reduzierte Erhöhung der Rente. Mit diesen möglichen Veränderungen sind wir gut für kommende Herausforderungen gerüstet, wenn wir nur die demographische Entwicklung dabei betrachten. Ein Jahr längere Arbeitszeit senkt den Beitragssatz um einen Prozentpunkt.

Rundblick: Sie haben davor gewarnt, dass die Jüngeren nicht zu stark belastet werden dürfen. Was heißt das konkret?

Prof. Kreikebohm: Die Älteren müssen aufpassen, dass die junge Generation nicht überfordert wird. Es geht um eine schwierige Verteilungsfrage. Natürlich können die Rentenbeiträge weiter steigen. Aber die nächsten Generationen haben daneben noch ganz andere Probleme zu bewältigen – den Klimawandel, die Energiewende, die Investitionen in die Infrastruktur, die nicht länger aufgeschoben werden dürfen. Heute ist schon absehbar, dass ab 2022 oder 2023 drei Versicherungszweige ihre Beiträge deutlich anheben müssen, die Kranken-, die Pflege- und die Rentenversicherung. Die junge Generation wird das stemmen müssen. Die Leistung der Älteren kann darin bestehen, länger zu arbeiten.

Rundblick: Nimmt die Politik auf diesen Grundsatz ausreichend Rücksicht? Oder anders ausgedrückt: Das Rentenpaket, das diesen Freitag im Bundesrat beschlossen wird, enthält doch einige Sonderleistungen – also weitere Lasten für die Beitragszahler…

Prof. Kreikebohm: Ich finde es ärgerlich, dass die Mütterrente größtenteils aus Beiträgen finanziert wird und nicht aus Steuermitteln.  Auch der andere Teil des 2014 beschlossenen Paketes, die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren zu gestatten, war keine besonders gute Idee. Das lenkte damit nicht nur von der Botschaft ab, dass wir länger arbeiten müssen – es trieb auch den Beitragssatz künstlich in die Höhe. Dazu kommen nun die weiteren Leistungen, die am Freitag im Bundesrat beschlossen werden, also die noch einmal verbesserte Mütterrente und die zusätzlichen Leistungen bei der Erwerbsminderungsrente. Wir haben mal hochgerechnet, dass das im Jahr bundesweit mehr als vier Milliarden Euro kostet, allein 3,8 Milliarden Euro für die Mütterrente. Manch ein Kultusminister wäre froh, wenn er solche Beträge zur Verfügung hätte. Wenn all diese Leistungen nicht aus der Rentenkasse, sondern aus Steuermitteln finanziert würden, könnte der Rentenbeitragssatz um einen Prozentpunkt niedriger sein.

Rundblick: Nun gibt es Branchen, die sicher froh wären, wenn sie Arbeitnehmer früher nach Hause schicken können. Gibt es dafür Angebote?

Prof. Kreikebohm: Leider wird die Sozialpolitik zu stark auf die staatlichen Regeln begrenzt. Wir sollten uns öffnen für Regeln, die von den Tarifvertragspartnern ausgehandelt werden – zum Beispiel das, was in Niedersachsen für die Beschäftigten des metallverarbeitenden Handwerks vereinbart worden ist. Solche branchenbezogenen Lösungen sind sinnvoll, auch wenn sie natürlich in einer Welt nachlassender Tarifbindung schwieriger werden.

Rundblick: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat vorgeschlagen, dass die Kinderlosen höhere Rentenbeiträge zahlen sollen. Was halten Sie davon?

Prof. Kreikebohm: Hohe Sozialversicherungsbeiträge können zu Armut beitragen – deshalb müssen Alleinerziehende, die sich um Kinder kümmern, entlastet werden. Vermutlich würde ich nicht bei den Sozialversicherungsbeiträgen differenzieren, sondern bei den Steuerfreibeträgen, die man für Kinderreiche anheben und sie so entlasten könnte.

Rundblick: Ein anderes Problem bietet die Veränderung der Arbeitswelt. Wenn wir es künftig immer weniger mit klassischen Arbeitnehmern und mehr mit Mini-Selbstständigen zu tun haben, die sich von Projekt zu Projekt hangeln, dann kann darauf die Rentenversicherung ihr Umlage-Finanzierungsmodell schlecht aufbauen, oder?

Prof. Kreikebohm: Das stimmt. Projektmanager und Crowdworker entziehen sich dem herkömmlichen Modell, dass die Arbeitgeber Zeit- und Arbeitsnormen festlegen. Sie arbeiten wie Freiberufler oder kleine Selbstständige. Wie sieht nun die Lösung aus? In einem „bedingungslosen Grundeinkommen“ besteht diese jedenfalls nicht – denn das widerspricht der deutschen Philosophie, dass einem Arbeitslohn auch eine entsprechende Rentenleistung gegenüberstehen soll. Weil die Nachfrage nach gutgebildeten Arbeitnehmern hoch sein wird, dürfte das „bedingungslose Grundeinkommen“ die Spaltung in der Gesellschaft noch vergrößern. Ich bin dafür, dass wir Crowdworker, Projektmanager und andere kleine Selbstständige verstärkt in die Rentenversicherung einbeziehen. Die Plattformen, für die sie tätig sind, sollten nach dem Modell der Künstlersozialversicherung verpflichtet werden, eine Abgabe an die Rentenkasse zu entrichten. Da viele dieser Plattformen ihren Sitz nicht in Deutschland haben, liegt eine europäische Lösung dieses Problems nahe. Über diese Fragen müssen wir jetzt verstärkt nachdenken, denn viel Zeit haben wir nicht mehr – das müsste ein großes Thema für die derzeit tagende Rentenkommission sein.

Rundblick: Sie haben auch immer dafür geworben, die Basis derjenigen, die in die Rentenversicherung einzahlen, zu vergrößern. Was ist mit den Beamten?

Prof. Kreikebohm: Die Beamtenversorgung ist ganz anders aufgebaut als die Rentenversicherung. Aber wir brauchen künftig nicht mehr so viele Beamte. Die hoheitlichen Aufgaben beschränken sich doch auf Staatsanwälte, Richter, Polizisten und Soldaten – alle anderen Tätigkeiten können von Angestellten erledigt werden, die dann in die Rentenkasse einzahlen. Was ist etwa hoheitlich an einem Lehrer, der für die Schüler ein Zeugnis ausstellt? Wir in der Rentenversicherung haben immerhin schon begonnen, wir stellen nur noch Angestellte ein und keine Beamten mehr.