Hans-Joachim Lenke, Vorstandssprecher der Diakonie in Niedersachsen, erklärt die Armutsbekämpfung zum vordringlichen Anliegen seiner Organisation im Jahr der Landtagswahl. „Die Armutsfrage ist eine zentrale Herausforderung in den kommenden Jahren. Die Politik muss gegen das Auseinanderdriften der Gesellschaft Maßnahmen entwickeln“, sagte Lenke gestern in Hannover bei der Vorstellung der diakonischen Positionen zur Landtagswahl 2022.

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Dass die Armut innerhalb des Forderungspapiers ganz oben steht, sei in der ersten Version noch nicht so gewesen, erklärte der Diakonie-Chef. Doch durch die derzeitigen Preissteigerungen erfahre ein Problem, das zuvor bereits als verdecktes Thema der Gesellschaft vorhanden gewesen sei, neuen Auftrieb. „Die Sorge vor der Nebenkostenabrechnung treibt viele Leute um“, sagte Lenke, der das landesweite Netz der diakonischen Einrichtungen als „Seismographen“ für gesellschaftliche Problemlagen bezeichnete.

Im vergangenen Jahr lag die Armutsquote bei 17 Prozent, bei Minderjährigen mit 23 Prozent sogar noch höher. Für Lenke geht es bei der Armutsbekämpfung auch um die „Resilienz der Demokratie“, also die Widerstandsfähigkeit gegen gesellschaftliche Zersetzungsprozesse, wie man sie beispielsweise in den Vereinigten Staaten beobachten könne. Eine hohe Armutsquote treibe die Gesellschaft auseinander und sorge somit für sozialen Unfrieden, so die Sorge des Diakonie-Chefs.

Förderung nicht nach dem Gießkannenprinzip

Ein wichtiges Instrument, um diese Widerstandsfähigkeit zu steigern, ist für Lenke der Ausbau von Familienzentren. Die Diakonie fordert daher, künftig mehr Kindertagesstätten zu solchen Einrichtungen weiterzuentwickeln. Die Idee dahinter ist es, über die Kinderbetreuung auch Kontakt zu den Eltern herstellen zu können, und diese in Problemlagen gezielt zu unterstützen. Lenke setzt dabei auf eine punktgenaue Förderung und spricht sich entschieden gegen das „Gießkannenprinzip“ bei der Förderung von Einrichtungen aus.


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Im Bereich der Schulen und Kindergärten fordert die Diakonie daher auch einen sogenannten „Sozialindex“, anhand dessen sich objektiv ein Förderbedarf ermitteln lassen soll. Wie genau der Sozialindex ausgestaltet werden soll, lässt Lenke zunächst offen und sieht an dieser Stelle die Politik gefragt. Denkbar ist für ihn aber, dass die Quote der Empfänger von Arbeitslosengeld II ebenso Einfluss auf den Index haben soll wie etwa der Integrationsaufwand aufgrund von Multinationalität. Der Wert des Sozialindex soll dann etwa die Förderung von Schulsozialarbeit bestimmen. Darüber hinaus fordert die Diakonie hinsichtlich der Bekämpfung von Kinderarmut die Lernmittelfreiheit für Schüler, digitale Leihgeräte in der Jugendsozialarbeit, kostenlosen Nahverkehr für alle Kinder und Jugendlichen, eine auskömmliche Landesfinanzierung der Jugendwerkstätten sowie gesundes Essen in Kindergärten und Schulen.

Darüber hinaus richtet die Diakonie in Niedersachsen weitere Forderungen an die Landespolitik:

Fachkräfte für soziale Berufe: Um dem Fachkräftemangel in vielen sozialen Berufen begegnen zu können, reiche nach Ansicht des Diakonie-Vorstandssprechers nicht allein die „Konzertierte Aktion Pflege“. Denn auch in den Kindergärten fehle Personal. Hier sollte nach Ansicht der Diakonie zunächst die Erzieherausbildung vergütet werden, zudem brauche es mehr Berufsschullehrer. Außerdem setzt die Diakonie auf eine „kluge und ethisch vertretbare Einwanderungspolitik“ in die sozialen Berufe. Anstatt Fachkräfte aus Osteuropa abzuwerben, wo sie dann fehlen, sollte man sich etwa auf die Philippinen oder Jordanien konzentrieren, wo der demographische Wandel kein Problem darstellt. Das gezielte Anwerben koste allerdings bis zu 10.000 Euro pro Person, erklärte er.

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Freiwilliges Engagement stärken: Von dem derzeit wieder einmal diskutierten Pflichtjahr für junge Menschen hält Diakonie-Sprecher Lenke nichts. Sowohl die Pflicht als auch den Fokus auf die Jugend finde er nicht richtig. „Soziales kann nicht jeder. Es funktioniert besser über Freiwilligkeit“, erklärte er seine Beweggründe und führte aus, dass es beim Freiwilligen Sozialen Jahr derzeit mehr Bewerber als freie Stellen gebe. Die Diakonie fordert daher eine bessere Finanzierung der bestehenden Angebote. Vor Ort soll zudem das Ehrenamt durch verlässlich finanzierte Freiwilligenagenturen unterstützt werden.

Einladung an Politiker: Um sich in den kommenden Monaten einen direkten Überblick über die Angebote der Diakonie und die sozialen Herausforderungen im Land verschaffen zu können, lädt Diakonie-Chef Lenke die Kandidaten für den niedersächsischen Landtag zu Besuchen und Hospitationen ein. Die Bewerber sollten sich gezielt an diakonische Einrichtungen in ihrem Wahlkreis wenden oder umgekehrt Angebote dieser Einrichtungen wie zum Beispiel soziale Stadtspaziergänge wahrnehmen, schlug Lenke vor. In Hannover werde beispielsweise SPD-Spitzenkandidat Stephan Weil im Bereich der ambulanten Pflege hospitieren.