Immer dann, wenn das Kabinett tagt, die Parteien zu ihren internen Tagungen einladen oder auch Prominente bei Neujahrsempfängen auftreten, steht schon mindestens ein Trecker vor der Tür. Sogar EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen war mit aufgebrachten Landwirten konfrontiert, als sie vergangenen Freitag bei einem Empfang der CDU in ihrem Heimatort Burgdorf auftrat. Also rechnete die Führungsspitze der niedersächsischen Christdemokraten vor ihrer am Freitag und Sonnabend stattfindenden Klausurtagung im „Forellenhof“ in Walsrode fest mit neuen Bauernprotesten. Die Demonstranten waren dann überraschenderweise doch nicht da – aber in der Sitzung ging es hinter verschlossenen Türen dennoch intensiv um dieses Thema.

Der Druck von beiden Seiten wächst

Die CDU, gerade in Niedersachsen, fühlt sich in die Zange genommen. Da sind zum einen die wütenden Landwirte, die weit radikaler und kompromissloser wirken im Vergleich zu den Zeiten, als der Bauernverband und das Landvolk als ihr Sprachrohr noch allein auf weiter Flur waren. Wer genau hinter der merkwürdigen Gruppe „Land schafft Verbindung“ steckt, bleibt immer noch rätselhaft, anscheinend sind es tatsächlich Aktivisten, die mit den erfahrenen Interessenverbänden wenig oder gar nichts zu tun haben. Gleichwohl aber sind ihre aktuellen Kundgebungen perfekt organisiert, die Regieführung ist beispielhaft. Zu den alten Bauernverbänden immerhin hat die CDU noch gute, über lange Zeit gepflegte Kontakte. Aber zu den neuen Gruppierungen? Das fällt schwer.

Zum anderen sind die deutschen Landwirte europaweit fast schon isoliert. Was Düngeauflagen angeht, sind die Niederländer und Dänen viel fortschrittlicher als wir, dort werden Einschränkungen für die Landwirtschaft auch deshalb eher akzeptiert, weil man früher und konsequenter die Umstellung beschlossen und eingeleitet hat. Für die deutschen Bauern kommen die jetzt beschlossenen Veränderungen knüppeldick, und in Niedersachsen, dem Agrarland Nummer eins, wirkt das noch doppelt und dreifach. Verknüpft mit einer Protestbewegung, die radikaler und unkalkulierbarer agiert als früher, ist das eine explosive Mischung. Viele in der Landespartei reagieren verunsichert und irritiert.

Die Niedersachsen-CDU pocht auf regionale Sonder-Regelungen

Wie geht die CDU nun damit um? Schon seit Monaten mahnt die Parteispitze, Landeschef Bernd Althusmann, Fraktionschef Dirk Toepffer und Generalsekretär Kai Seefried vornweg, in Berlin eine pragmatischere Haltung von Bundesagrarministerin Julia Klöckner an. Die Rufe nach weiteren Glättungen in den als zu starr empfundenen Vorgaben des Bundes werden immer lauter. Das gilt auch für die EU-Vorschriften. In dem Positionspapier, das die CDU auf ihrer Klausurtagung beschlossen hat, wird auch eine Novelle der EU-Nitratrichtlinie gefordert, ein Ausgleich für alle Bauern, die Einschränkungen beim Pflanzenschutz vorgeben und ein „neuer Gesellschaftsvertrag“. Landwirtschaft und Gesellschaft müssten „wieder zusammengeführt werden“. Die CDU schreibt: „Wir sind dazu bereit. Wir hören zu.“

Die Niedersachsen-CDU pocht auf regionale Sonder-Regelungen für die von der vom Bundeskabinett geplanten Auflage, die Düngung in „roten Gebieten“, also Zonen mit hoher Nitratbelastung im Grundwasser, pauschal um 20 Prozent zu kürzen. „Gemeindescharfes Verursacher-Monitoring“ heißt das und gemeint ist, in Einzelfällen (etwa bei Grünland) doch mehr Düngung zu erlauben – wenn genauere Messungen das gestatten. Solche Rufe nach Ausnahmen werden hingegen in Brüssel mit Stirnrunzeln verfolgt. Agrarministerin Barbara Otte-Kinast sagte, die 20-Prozent-Vorgabe, die in der Düngeverordnung am 3. April im Bundesrat beschlossen werden soll, werde vermutlich nicht mehr zu kippen sein. An dieser Stelle sei EU streng. Aber man wolle Milderungen bei der Bundesregierung erreichen, etwa eine „Länderermächtigung“, die etwa ein Verursacher-Monitoring erlaube. CDU und SPD in der Landesregierung zögen hier an einem Strang.

Bundesagrarministerin fühlt sich als oberste Verbraucherschützerin

Doch das Umfeld, in dem diese Diskussion verläuft, ist für die Niedersachsen nicht sehr komfortabel. Die Lobby der Landwirte mag hier noch sehr stark sein – in anderen Gegenden Deutschlands verhält sich das ganz anders. Dass Bundesagrarministerin Klöckner ihrer Rolle zuerst als oberste Verbraucherschützerin und nicht als oberste Vertreterin der Bauern ansieht, mag außerhalb Niedersachsens durchaus viel Zuspruch finden.

Der Grundkonflikt herrscht indes auch hier. Es war CDU-Landtagsfraktionschef Toepffer, der erst vor wenigen Tagen darauf hingewiesen hatte, dass die CDU auch in Niedersachsen auf Dauer nur dann erfolgreich sein kann, wenn sie auch die großstädtische Bevölkerung und ihre Belange nicht ignoriert – und dazu gehören gesunde Ernährung, weniger Fleischverzehr, mehr Trinkwasserschutz und mehr Tierschutz, vor allem auch weniger Massentierhaltung. Eine CDU, die in den Parlamenten kaum noch Vertreter einer modernen, liberalen Großstadtpolitik habe, sei auch nicht erstrebenswert.

Wir brauchen wieder Behörden, die ins Gelingen und nicht mehr ins Verhindern verliebt sind.

Der Ehrengast auf der CDU-Klausurtagung, CDU/CSU-Bundestagsfraktionschef Ralph Brinkhaus aus Westfalen, bat seine niedersächsischen Parteifreunde mit Blick auf diese Konflikte um Geduld und Nachsicht. Die Agrarpolitiker im Bundestag seien doch „vielen Sachzwängen ausgesetzt“, sagte Brinkhaus. Er könne keinem Landwirt versprechen, dass die Auflagen und Einschränkungen seiner Produktionsweise beseitigt werden. „Was aber die Bauern verdient haben, ist Planungssicherheit.“

„Was aber die Bauern verdient haben, ist Planungssicherheit“, sagt Ralph Brinkhaus, Unions-Fraktionschef im Bundestag. – Foto: kw

Immer wieder habe er mit Landwirten Kontakt, die vor allem eines wissen wollten – ob es sich lohne, in neue Maschinen und Ställe zu investieren, ob es sich lohne, den Hof an einen Nachfolger zu übertragen. In der Diskussion wird auch das Thema Bürokratie angesprochen, beispielsweise die starren Immissionswerte bei der Genehmigung von Stallneubauten. Es sei doch für viele Bauern auch deshalb schwierig, sich für die Zukunft zu rüsten, weil jeder Erweiterungsplan auf viel zu komplizierte Vorschriften stoße. Brinkhaus hat dafür volles Verständnis, wie er sagt: „Wir brauchen wieder Behörden, die ins Gelingen und nicht mehr ins Verhindern verliebt sind“, sagt er – und erntet kräftigen Applaus.

Bernd Althusmann, Barbara Havliza und Kai Seefried vor neuem Türkis. – Foto: kw

Die Niedersachsen-CDU reagiert auf die aktuellen Herausforderungen noch mit einem anderen Schritt – einer optischen Auffrischung. Bisher war ein nüchternes Blau die Farbe der Landespartei. Jetzt nennt sich der Landesverband „Die Niedersachsen-Union“ und präsentiert als Hintergrundfarbe ein blasses Türkis. Das erinnert sehr stark an die Erfolgsgeschichte eines anderen Konservativen, des österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz. Der hatte seine ÖVP in „die neue Volkspartei“ umgetauft und ebenfalls türkis als Parteifarbe gewählt. Das markierte für Kurz den Beginn einer Siegesserie. Nur: Die Probleme mit der Landwirtschaft waren in Österreich auch längst nicht so überragend. (kw)