„Es ist schwierig, ohne Kopfschmerzen dem Monolog über die armen Palästinenser und die ungerechten und brutalen Zionisten/Juden zu lauschen.“ Das schrieb ein Student in seiner Bewertung des Seminars „Soziale Lage der Jugendlichen in Palästina“ an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) in Hildesheim. Der Kommentar stammt aus dem Sommersemester 2013. Ein Einzelfall? Mitnichten.

Die Bewertungen der Studenten geben einen tiefen Einblick in ein Seminar, in dem es laut Stefanie Schüler-Springorum vom Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin „große interne Spannungen“, auch zwischen den Studenten, gegeben haben muss. So steht es in ihrem Gutachten, das dem Rundblick vorliegt. Diese Spannungen werden aus den studentischen Evaluationen heraus deutlich, vor allem aus den ausführlichen Freitextkommentaren. „In diesen Texten finden sich extrem gegensätzliche Einschätzungen“, heiß es im Gutachten. „Antisemitismus hat an unserer Hochschule keinen Platz“, schrieb Noch-Hochschulpräsidentin Christiane Dienel Anfang August in einer HAWK-Pressemitteilung. Ein Blick in die Evaluationsunterlagen des Seminars hätte genügt, um daran zu zweifeln. Dafür wären nicht einmal zwei Gutachten nötig gewesen.

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So werfen Studenten der Dozentin immer wieder explizit Antisemitismus vor. „In fast jeder Sitzung fielen relativierende und verharmlosende Äußerungen und Vergleiche, die die Situation in Israel/Palästina mit dem Holocaust, den KZs oder dem Warschauer Ghetto gleichsetzten“, steht in einer Bewertung aus dem Wintersemester 2010/2011. Im selben Jahr scheiben Studenten, die Dozentin „hetze gegen die jüdische Bevölkerung“ oder vermittle „anti-israelische ‚Parolen‘“. Drei Jahre später scheibt ein Student, die Vortragsweise der Dozentin sei „sehr emotionsreich und nicht immer sachlich. Sie spricht von ‚guten‘ und ‚bösen‘ Juden.“ Immer wieder wird der Dozentin mit palästinensischem Hintergrund mangelnde Objektivität vorgeworfen.

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Diese mangelnde Objektivität und das große Engagement kommt bei anderen Studenten wiederum gut an. Einige betonen, die Dozentin habe ihnen die „Augen geöffnet“. Im Wintersemester 2011/2012 heißt es in einem Kommentar, ihre Veranstaltung sei aufgrund ihres „persönlichen Bezugs“ ausgesprochen bereichernd und „mit Leben“ angefüllt. Allerdings sehen selbst Studenten, die die Position ihrer Dozentin teilen, die emotionale Herangehensweise an das Thema als Problem: „Ich sympathisiere mit der Grundeinstellung aber der Weg, wie dieses Thema vermittelt wurde, ist der falsche“, heißt es in einer Bewertung aus dem Wintersemester vor sechs Jahren.

Gewiss, die Beurteilungen von Studenten sind mit Vorsicht zu genießen. Sie müssen nicht objektiv sein und geben nur einen Teil der Wahrheit wieder. Allerdings vermitteln die zahlreichen Kommentare aus mehreren Jahren in diesem Fall ein Bild, das eines deutlich werden lässt: Dieses Seminar war auch unter den Studenten hochumstritten. Und vielen Studenten ist im Gegensatz zu den Verantwortlichen an der Hochschule schon sehr früh klar geworden, dass hier etwas nicht stimmte.

So werden die Lehrmaterialien im Gutachten der TU Berlin in ihrer Gesamtheit als israelkritisch bis -feindlich bewertet. Viele Texte hätten einen agitatorischen Charakter, einige arbeiteten mit antisemitischen Klischees. Im Gegensatz dazu kamen die internen Konflikte unter den Palästinensern und Entwicklungen wie der sogenannte Arabische Frühling überhaupt nicht vor. Im Gutachten ist in Bezug auf das Seminar die Rede von einem „missionarischen Charakter einer Lehrveranstaltung, die weder auf plurale Meinungsbildung oder (selbst-)kritische Reflexion abzielte, noch in Textauswahl und -präsentation den Mindeststandards an Wissenschaftlichkeit genügt hat.“

Die Ergebnisse des Gutachtens der TU Berlin, das am Montag in Hannover vorgestellt wurde, decken sich mit dem Gutachten der Amadeu-Antonio-Stiftung, das bereits vor mehr als einem Jahr, im August 2015, vorlag. „Insgesamt sind die meisten Quellen nicht im Ansatz für wissenschaftliche Zwecke nutzbar“, heißt es dort. Die Texte „spiegeln kein israelkritisches, sondern ein zutiefst israelfeindliches Geschichtsbild wider, das sich nicht scheut, auf alte und neue antisemitische Ressentiments zu rekurrieren.“

Objektivität ist ein Ideal der Wissenschaften. Sie setzt allerdings voraus, dass man sich mit den zur Verfügung stehenden Informationen auch auseinandersetzt. Im Antisemitismus-Fall an der HAWK ist dabei eine erstaunliche Kette von Versäumnissen ans Licht gekommen. Es begann mit einem fragwürdigen Zustandekommen des Seminars und einer ebenso fragwürdigen Besetzung der Positionen der Lehrbeauftragten. Im Anschluss nahm das Unheil durch Wegsehen seinen Lauf – über viele Jahre hinweg. Erstaunlich ist auch, dass selbst das Gutachten der Amadeu-Antonio-Stiftung nicht dazu beitragen konnte, dass alle Fakten ans Licht der Öffentlichkeit kamen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt ist die Politik in Hannover Teil der Versäumniskette geworden. (MB.)