Ministerpräsident Stephan Weil hat beim Besuch der Redaktion des Politikjournals Rundblick deutlich gemacht, dass er für Verhandlungen zur Bildung einer Großen Koalition in Berlin eintritt. Für sich selbst sieht er den Platz allerdings weiterhin in der Staatskanzlei in Hannover – und er lobt den gegenwärtigen Bundesaußenminister Sigmar Gabriel.

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Rundblick: Herr Weil, so häufig, wie Sie in den vergangenen Tagen bei den Sondierungsgesprächen dabei waren – fühlen Sie sich so wie der ranghöchste Pendler nach Berlin?

Weil: Das haben die Umstände so mit sich gebracht…

Rundblick: Manche spekulieren schon, dass Sie der nächsten Bundesregierung angehören könnten…

Weil: Ich habe keinerlei persönliche Ambitionen, was Berlin angeht. Ich bin eher aus Verantwortungsbewusstsein bei den Sondierungsgesprächen dabei gewesen. Es ist schon merkwürdig, wie ein lange Zeit stabiles Gefüge wie die Bundespolitik in Deutschland auf einmal instabil geworden ist. Daran mitzuwirken, diesen Zustand schnell zu ändern, ist Motivation genug.

Rundblick: Also kein Amt für Stephan Weil in der nächsten schwarz-roten Bundesregierung, so sie denn zustande kommt?

Weil: Ich habe mich doch nicht umsonst so angestrengt, Ministerpräsident bleiben zu können… Aus tiefer Überzeugung will ich Regierungschef in Niedersachsen bleiben.

Rundblick: Und womöglich eine noch stärkere Rolle in der SPD?

Weil: Ich habe heute schon eine Rolle in der Bundespolitik.

Rundblick: Bleibt Sigmar Gabriel Minister in einem möglichen neuen schwarz-roten Bundeskabinett? Wie sieht es mit anderen Namen aus Niedersachsen aus?

Weil: Sigmar Gabriel ist ein sehr guter Außenminister. Aber an Personalspekulationen werde ich mich ganz sicher nicht beteiligen.

Ohne die SPD geht in der deutschen Politik aktuell nichts. Daraus folgt eine gesteigerte Verantwortung für uns.

Rundblick: Es hält Sie also in Niedersachsen. Was ist denn das Erfolgsgeheimnis dafür, dass SPD und CDU sich hier so gut verstehen?

Weil: Wir haben einfach eine gemeinsame Verantwortung – und wir wissen, dass wir darauf angewiesen sind, das Beste daraus zu machen. Hier wirken zwei ziemlich starke Parteien zusammen. Auf Bundesebene war das schon schwieriger. Dort verhandeln gegenwärtig drei Parteien, SPD, CDU und CSU, die allesamt bei der Bundestagswahl Verluste hinnehmen mussten. In jeder dieser drei Parteien gibt es heftige interne Debatten. Und die Landespolitik ist auch weit weniger durchlässig als die Bundespolitik, was vor allem bei den vielen Indiskretionen während der Jamaika-Verhandlungen deutlich wurde.

Rundblick: Wie wollen Sie beim SPD-Bundesparteitag am Sonntag in Bonn dafür werben, dass eine Mehrheit für Koalitionsverhandlungen zustande kommt?

Weil: Ohne die SPD geht in der deutschen Politik aktuell nichts. Daraus folgt eine gesteigerte Verantwortung für uns. Prägend ist für die SPD, dass sie für den Staat immer große Verantwortung übernommen hat. Wenn wir das tun, darf aber die Erneuerung der Partei darunter nicht leiden. Die SPD muss sich neu aufstellen, sie braucht eine sozialdemokratische Erzählung. Ich finde im Übrigen, dass eine Erneuerung in der Regierung leichter fallen kann als in der Opposition. Es ist kein Naturgesetz, dass man aus einer Oppositionszeit gestärkt hervorgehen muss. Am Sonntag beim Bundesparteitag geht es auch um die Frage, ob die SPD-Mitglieder am Ende über den Koalitionsvertrag abstimmen können sollen. Das kann nur gelingen, wenn die Mehrheit des Parteitags das Tor zur Aufnahme von Verhandlungen öffnet.

Rundblick: Wie kann denn die „sozialdemokratische Erzählung“ aussehen?

Weil: Ich nenne mal drei Elemente: Erstens geht es darum, in einer Zeit des zunehmenden Nationalismus daran festzuhalten, dass es internationale Kooperation und Verantwortung für und in Europa geben muss. Zweitens ist der Zusammenhalt in der Gesellschaft, zwischen den verschiedenen Gruppen, ein Kernelement der Sozialdemokratie. Und drittens geht es um die Arbeit und die Rechte der Arbeitnehmer, aber auch um eine erfolgreiche Wirtschaft, die neue Arbeitsplätze schafft. Das ist noch kein Gesamtkonzept, aber es sind wichtige Bausteine.

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Rundblick: In Niedersachsen geht es beim Zusammenhalt sehr stark um die Frage, dass sich die ländlichen Gebiete nicht von den städtischen abgehängt fühlen sollen. Muss man nicht so ehrlich sein und irgendwann einsehen, dass bestimmte, abgelegene Dörfer nicht den gleichen Standard erhalten können wie Ballungsgebiete?

Weil: Unser Ziel muss es sein, dass alle Teile des Landes sich gleichwertig entwickeln können. Das fängt bei der ärztlichen Versorgung an, reicht über ein relativ wohnortnahes Angebot an Schulen und geht weiter zur guten Anbindung an den Öffentlichen Personen-Nahverkehr. Die Digitalisierung bietet hier große Chancen. So bietet beispielsweise das vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen entwickelte Ecobus-Projekt an, Menschen zu beliebigen Zeiten zuhause abzuholen und zu jedem Ort zu bringen – und das zu nicht höheren Preisen als im normalen Busverkehr. Vielleicht liegt die Zukunft mehr im Rufbus als im Taktbus.

Rundblick: Dazu nötig wären dann leistungsfähige Verkehrsprojekte. Geht Ihnen das nicht auch viel zu langsam voran?

Weil: Ja, im Vergleich mit unseren europäischen Nachbarn dauern Genehmigungsverfahren bei uns sehr lange. Wenn es etwa um den Ausbau von Leitungen geht, schütteln unsere niederländischen Nachbarn den Kopf, sobald sie von unseren Abläufen hören. Die Verkürzung muss nicht auf Kosten der Bürgerbeteiligung gehen – denn gute Bürgerbeteiligung muss nicht dreimal stattfinden.

Unser Ziel muss es sein, dass alle Teile des Landes sich gleichwertig entwickeln können. Die Digitalisierung bietet hier große Chancen.

Rundblick: Könnte eine Große Koalition in Berlin bei derlei Reformvorhaben hilfreich sein?

Weil: Schon. Bei den Sondierungen habe ich die SPD in der Arbeitsgruppe Klimaschutz, Energie und Umwelt vertreten – und mir gegenüber saß mein Kollege aus Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet. Wir haben beide einen sehr pragmatischen Blick und waren uns einig: Wir brauchen ein Beschleunigungsgesetz für den Leitungsausbau.