Der Präsident des Städte- und Gemeindebundes, Marco Trips, äußert sich im Interview mit dem Politikjournal Rundblick zu den Defiziten und Herausforderungen der Flüchtlingspolitik in Niedersachsen.

Rundblick: Wie beurteilen Sie den Stand der Integration von Flüchtlingen in Niedersachsen? Was läuft gut – und woran hapert es?

Trips: Zunächst einmal nehme ich mit Befremden die Diskussion in den Medien wahr. Für mich ist klar, dass die Zuwanderung nach Europa vor allem aus Afrika in den nächsten Jahren weiter stark zunehmen wird. Dass wir hierfür ein europäisches Konzept und dessen Durchsetzung brauchen, ist selbstverständlich. Solange beides nicht vorliegt, werden vor allem die östlichen EU-Länder weiter auf Distanz zur EU gehen und sich in nationale Lösungen flüchten. Daran kann die EU zerbrechen. Auch für die deutsche Gesellschaft scheint mir klar, dass eine weitere unbegrenzte Zuwanderung nicht auf Akzeptanz stoßen wird. Dies wird sich dann auch in Wahlen äußern, wie zum Beispiel in Italien. Wer meint, dass dies nur ein Problem der bayerischen Landtagswahl ist, der täuscht sich.

Rundblick: Was heißt es für die Integration der hier lebenden Zuwanderer?

Trips: Die Menschen sind nicht dumm. Sie sehen, dass der Staat bis auf ein paar Sprachkurse wenig bis gar nichts für die Integration tut. Mittlerweile gilt anscheinend: Aus den Augen – aus dem Sinn. Im aktuellen Landeshaushalt werden die Mittel für die Landessprachkurse und die Sprachförderkoordination bei den Landkreisen gestrichen. Was bleibt, ist das Deckblatt des Bündnisses „Niedersachsen packt an“, das sicherlich viele gute Initiativen ideell unterstützt und eine Geisteshaltung vermittelt, letztendlich aber keine Integrationsstruktur liefert. Dabei ist Niedersachsen auch nach offiziellen Zahlen Schlusslicht bei den Alphabetisierungs- und Integrationskursen des BAMF. Auch bei der lange von uns geforderten Integrationspauschale an die Kommunen kommt nichts. Dabei wird gerade vor Ort noch einiges an Integration mit Sozialarbeitern, an Schulen oder in Kindergärten betrieben. Doch die Städte und Gemeinden werden dabei nicht ausreichend unterstützt. Sie können auch ihre Angebote nicht ausweiten.

Mittlerweile gilt anscheinend: Aus den Augen – aus dem Sinn. Im aktuellen Landeshaushalt werden die Mittel für die Landessprachkurse und die Sprachförderkoordination bei den Landkreisen gestrichen.

Rundblick: Gibt es andere Bundesländer, in denen die Integration von Flüchtlingen besser läuft? Wenn ja, was kann Niedersachsen von dort übernehmen?

Trips: In Baden-Württemberg haben Land und Kommunen einen Pakt für Integration geschlossen, der mit 320 Millionen Euro für zwei Jahre hinterlegt ist. Kernstück des Paktes für Integration ist die flächendeckende Gewährleistung einer sozialen Beratung und Begleitung von Geflüchteten auch in der Anschlussunterbringung. Den Städten und Gemeinden wird die Einstellung eines Integrationsmanagers ermöglicht. In Niedersachsen tut das zuständige Sozialministerium bisher nichts. Die neuen Bundesgelder sollen anscheinend wieder im Landeshaushalt versickern. Dabei bemängelt sogar der Bund selber, dass die Mittel nicht bei den Kommunen ankommen.

Rundblick: Sollte das Land Ihrer Meinung nach mehr Verantwortung bei der Integration von Flüchtlingen übernehmen – oder sollte im Gegenteil stärker kommunalisiert werden?

Trips: Ich bin überzeugt, dass wir ein bundeseinheitliches, verpflichtendes Integrationskonzept benötigen. Wir müssen wissen, wer kommt, und wir müssen diese Menschen mit verpflichtenden Angeboten zum Spracherwerb, aber auch zur Einführung in die Arbeit stärker begleiten. Hier sollte nochmals die Idee eines geförderten Arbeitsmarktes für Zuwanderer bewegt werden. Auf der anderen Seite haben wir ja Fachkräftemangel: Wieso kann eigentlich unsere Wirtschaft nicht Strukturen entwickeln, Zuwanderer gezielt anzusprechen? Dass das einigen Aufwand kostet, ist klar. Insgesamt muss man sagen: Wer will, dass die Menschen Vertrauen in die Politik haben und keine Ressentiments bis hin zum Rassismus entwickeln, muss beim Thema verpflichtende Integration und Steuerung der Zuwanderung deutlich mehr tun.


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Rundblick: Wären zentrale Aufnahme- und Bearbeitungsstellen für besondere Gruppen von Flüchtlingen, die sogenannten Ankerzentren, aus Ihrer Sicht sinnvoll und hilfreich?

Trips: Ich kenne noch kein Konzept hierzu. Aus meiner Sicht brauchen wir eine Straffung der Zuwanderungsverfahren in einer Hand und mit schnellen Rechtsbehelfsverfahren. Wer bleibt, muss dann verpflichtend integriert werden, wer nicht bleibt, muss wieder zurück. Es scheint mir aber nur sinnvoll, solche Zentren gemeinsam mit Frankreich, Spanien, Italien und Griechenland unter gemeinsamen Einwanderungsvoraussetzungen und unter Zurücknahme vor allem deutscher Pull-Faktoren zu betreiben. Auch die Idee von Ausbildungsmöglichkeiten und strukturierten Angeboten in Afrika finde ich einleuchtend. Auch hier muss man größer denken und geistige Barrieren über Bord werfen. Ob das gelingt, bleibt abzuwarten.

Wer will, dass die Menschen Vertrauen in die Politik haben und keine Ressentiments bis hin zum Rassismus entwickeln, muss beim Thema verpflichtende Integration und Steuerung der Zuwanderung deutlich mehr tun.

Rundblick: Hat sich die Aufnahmesperre, die in Salzgitter und Delmenhorst wirkt, Ihrer Ansicht nach bewährt – oder sollte sie anders gestaltet werden? Ist sie womöglich gar entbehrlich?

Trips: Wohnsitzsonderregelungen sind problematisch. Wo fangen wir da an, und wo enden wir? Erkenntnisse über die Auswirkungen der Zuzugssperre werden aktuell vom niedersächsischen Innenministerium evaluiert. Sobald uns die Ergebnisse daraus vorliegen, werden wir uns diese anschauen und bewerten. Wichtiger ist es einheitliche Lebensverhältnisse in den Städten und auf dem Land zu bekommen.