Je länger der Untersuchungsausschuss zur salafistischen Gefahr in Niedersachsen dauert, desto mehr Pannen, Fehleinschätzungen und Probleme treten ans Tageslicht. Gestern musste sich die Präsidentin des Landesamtes für Verfassungsschutz, Maren Brandenburger, als Zeugin im Ausschuss rechtfertigen. Dies geschah nur teilweise in öffentlicher Sitzung – denn einige interne Dokumente sind von der Landesregierung als „geheim“ eingestuft worden, darüber wollte Brandenburger lediglich intern im abhörsicheren Raum des Landtags sprechen.

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Die Abgeordneten Jörg Bode (FDP) und Jens Nacke (CDU) konfrontierten Brandenburger mit einer Reihe von Verdächtigungen und Vorwürfen, die sich aus dem Ausschuss vorliegenden Unterlagen ergeben. Vor allem geht es um die insgesamt rund 20 Wolfsburger, die nach Syrien und in den Irak ausgereist sind, um am „heiligen Krieg“ mitzuwirken – insbesondere zwischen Frühjahr und Herbst 2014. Im Herbst 2015, im Prozess gegen zwei Rückkehrer, wurde von Polizeibeamten massive Kritik an der Arbeit der Sicherheitsbehörden geübt. Daraufhin forderte Innen-Staatssekretär Stephan Manke vom LKA und vom Verfassungsschutz Berichte an, und in denen wurden massive Defizite beschrieben. Der LKA-Bericht wurde von der Polizeiabteilung des Innenministeriums bewertet und massiv in Zweifel gezogen. Ein Ursprungsbericht der Fachabteilung des Verfassungsschutzes von Oktober 2015 gelangte gar nicht erst an die Spitze des Ministeriums. Er missfiel Brandenburger offenbar so sehr, dass sie ihn stoppte. Das Ursprungspapier, von dem Manke erst viel später erfuhr, ist inzwischen als „geheim“ eingestuft worden.

 

Im Ausschuss tastete sich die Opposition an mehrere Detailprobleme heran und listete Defizite in der Arbeit der Verfassungsschützer auf:

  •     Der peinliche Fall Yassine O.: Über diesen gefährlichen Mann, der als „Anführer“ der Salafisten und Anwerber für Ausreisen gilt, hatte das LKA offenbar erst Erkenntnisse nach dessen Ausreise im Mai 2014. Der Verfassungsschutz soll vorher schon Hinweise auf ihn erhalten haben, angeblich im März. Wie es heißt, leitete das Landesamt diese aber nicht an das LKA weiter, denn es soll sich um Informationen des Bundesamtes für Verfassungsschutz gehandelt haben. Und es gilt im Verfassungsschutz die Regel, dass Hinweise anderer Behörden nur mit deren Einverständnis weitergeleitet werden dürfen. Konnte Yassine O. also nur deshalb ausreisen, weil der Verfassungsschutz dem LKA einen wichtigen Hinweis vorenthielt? Brandenburger erklärte, sie könne an den Regeln, die die Weitergabe von Informationen betreffen, nichts ändern. Die Opposition vermutet, die Präsidentin habe das Thema der Übermittlung von Hinweisen aus dem Ursprungsvermerk ihrer Fachabteilung an das Innenministerium gestrichen.
  •     Die späte Erkenntnis: Brandenburger sagte, die Wolfsburger Salafistenszene mit bis zu 50 Mitgliedern habe sich nach außen „stark abgeschottet“. Die Strukturen habe man erst richtig erkennen können, als viel später der Prozess vor dem OLG Celle gegen zwei zurückgekehrte IS-Kämpfer geführt wurde. Der FDP-Politiker Bode vermutet, der Verfassungsschutz habe die „fünf Rückkehrer mit Kampferfahrung“, die sich in Niedersachsen aufhalten, zumindest zeitweise nicht richtig im Blick gehabt.
  •     Der zögerliche Personalaufbau: Schon im Mai 2014 stellte Innenminister Boris Pistorius fest, dass es einen Mangel an Islamismus-Experten beim Verfassungsschutz gibt. Ein knappes Jahr später wurde umstrukturiert, fünf Mitarbeiter wurden aus anderen Bereichen abgezogen. Erst 2016 aber, nach Ansicht von Jens Nacke (CDU) sogar erst nach dem Messer-Attentat von Safia S. im Februar 2016, hat es einen gezielte Personalverstärkung beim Landesamt gegeben. Es wurden dann auch „Ermittlungsteams“ gebildet, um besser mit der Polizei zusammenarbeiten zu können, erklärte Brandenburger im Ausschuss.
  •     Die Nicht-Speicherung von Minderjährigen: Brandenburger erklärte im Ausschuss, radikale Salafisten in Niedersachsen seien überwiegend männlich und jung, die jüngsten seien 15. Aus Sicht der Opposition wurde hier zum Problem, dass Pistorius 2014 ankündigte, Minderjährige sollten in den Dateien des Verfassungsschutzes nur noch unter bestimmten strengen Bedingungen gespeichert werden. Aus dem Verfassungsschutz-Rechtsreferat kam im September 2015 eine Mail, aus der hervorgeht, dass im Vorgriff auf eine geplante Gesetzesänderung die Daten Minderjähriger nicht mehr so leichtfertig wie bisher gespeichert werden sollten. War das der Grund, fragten Bode und Nacke im Ausschuss, warum etwa Safia S. in Hannover zunächst nicht ins Visier des Verfassungsschutzes gekommen war? Brandenburger meinte, dies habe nicht nur an Safias Alter, sondern auch an anderen Umständen, etwa der Ermittlungsarbeit der Polizei, gelegen.

Während CDU und FDP der Verfassungsschutzpräsidentin vorwerfen, die Probleme zu vertuschen, nimmt die Koalition sie in Schutz. Helge Limburg (Grüne) meint, die Behörden hätten aus den anfänglichen Schwierigkeiten alle nötigen Konsequenzen gezogen. Grant Hendrik Tonne (SPD) sagt, der Verfassungsschutz reagiere „konsequent und dynamisch auf die Bedrohung durch islamistischen Terror“. (kw)