Von Martin Brüning

„Sind Sie nicht ein bisschen groß für den Spielplatz?“, fragt eine Anwohnerin Teilnehmer der Gruppe, die gerade am Spielplatz zwischen den Mietwohnungen im Cuxhavener Quartier Lehfeld steht. Zu der Gruppe gehören unter anderem Niedersachsens Bauminister Olaf Lies, der Cuxhavener Baudezernent Martin Adamski sowie die Vorsitzende der SPD im Landtag, Johanne Modder, und  weitere Abgeordnete.

Die Landtagsfraktion ist zur Klausur nach Cuxhaven gekommen und hat sich dort am zweiten Tag in fünf Gruppen aufgeteilt. Mitten im Lehfeld, das früher noch „Ostblock“ genannt wurde und einen äußerst schlechten Ruf genoss, steht die Gruppe „Sozialer Wohnungsbau“. Bevor es bei (kaltem) Wind und (schlechtem) Wetter durch das Quartier geht, erklärt Adamski im modernen Bürgerzentrum, wie das Lehfeld weiterentwickelt wurde und wie die Stadt künftige Sozialwohnungen plant.

Prügeleien und Kellereinbrüche seien im Lehfeld früher an der Tagesordnung gewesen, berichtet ein Anwohner in einem Film, der der Gruppe vorgeführt wird. Heute sind die Häuser, von denen die ersten in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gebaut wurden, frisch saniert, die Spielplätze sind neu, Anwohner treffen sich in einem Gemeinschaftsgarten. Wer durch die Straßen zieht, käme nicht auf die Idee, durch ein ehemaliges Problemviertel zu spazieren. Die Mieten sind immer noch günstig, allerdings schon leicht zu hoch für Menschen, die Transferleistungen beziehen, berichtet Quartiersmanager Bernd Bodewald.

Wir dürfen beim Neubau von Quartieren nicht dieselben Fehler machen wie vor 20 Jahren.

Wichtig sei in den vergangenen Jahren die Bürgerbeteiligung gewesen. „Bürger sind die Fachleute in ihrem Wohngebiet“, sagt er und hält es für einen kapitalen Fehler, Bewohner des Viertels in Entscheidungen nicht mit einzubeziehen. Dazu gibt es auch mehrmals pro Woche Sprechzeiten für die Mieter. „Man muss sowohl kleinräumiger und nachhaltiger denken – nicht nur in Förderperioden“, sagt Bodewald.

Für Olaf Lies ist das Quartier Lehfeld ein gutes Beispiel für ein gelungenes Quartiersmanagement. Es gehe eben nicht nur ums Wohnen, sondern genauso um Leben und Daseinsvorsorge. Wir dürfen beim Neubau von Quartieren nicht dieselben Fehler machen wie vor 20 Jahren. In den 60er und 70er Jahren ging es vor allem darum, in großer Anzahl Wohnraum zu schaffen. Um die richtige Durchmischung, Fahrtwege, Daseinsvorsorge ging es damals weniger. Jetzt finden diese Themen wieder eine neue Beachtung. Bis 2030 will Niedersachsen 40.000 neue Sozialwohnungen schaffen.

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Auch um diesen Plan geht es bei der SPD-Fraktionsklausur in Cuxhaven. Denn inzwischen werden Landkreise, Städte und Gemeinden unruhig. Es gibt zwar schon Förderanträge, aber nach wie vor ist unklar, wie viel Geld dafür im Topf ist und wie die Fördersätze aussehen werden. Die SPD-Fraktion macht in Cuxhaven jetzt Druck. Sie fordert, Geld aus dem Jahresüberschuss 2018 für den Wohnungsbau nutzen. Modder spricht von einer hohen dreistelligen Millionensumme, hinter vorgehaltener Hand ist von 400 Millionen Euro die Rede. „Überall im Land ist ein unheimlicher Druck da“, sagt Modder. Experten zufolge sei das Thema Wohnraum der neue soziale Sprengstoff.

Martin Adamski ist diesem Bild nach der Sprengstoff-Entschärfer der Stadt Cuxhaven. Der Baudezernent erklärt, wie Cuxhaven die speziellen Herausforderungen der Stadt an der Nordseeküste aktiv angehen will. „Die Stadt hat zu lange auf Investoren gehört und zu wenig auf ihre Seele“, sagt er. Adamski setzt unter anderem auf Sozialwohnungen in „de Luxe“-Lage, in Cuxhaven bedeutet das: nah am Wasser. Investoren können dort Luxuswohnungen und Stadtvillen bauen, müssen dort aber auch zu 20 Prozent Sozialwohnungen anbieten. Dadurch verhindere man „gated communities für Reiche“, erklärt Adamski. Man trete gegenüber Investoren inzwischen emanzipierter auf. „Eigentlich wollten wir einen Sozialwohnungsanteil von 30 Prozent, aber man muss die Freunde von der CDU immer mitnehmen“, merkt Gunnar Wegener, SPD-Fraktionsvorsitzender im Rat der Stadt Cuxhaven, spitz an.

Neben dem Bau von Sozialwohnungen versucht die Stadt auch den Konflikt zwischen Dauerbewohnern und Anbietern von Ferienwohnungen entschärfen. Nicht wenige Ferienwohnungen werden illegal angeboten. „Wir kriminalisieren das nicht, aber wir dämmen es ein“, erklärt Adamski. Die Stadt gewähre bei nicht legaler Nutzung als Ferienwohnung teilweise großzügige Übergangsfristen, setze auf das Gespräch.


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Mit dem sozialen Wohnungsbau hat die SPD im Land schon seit einiger Zeit wieder ein Thema gefunden, das vielen Menschen im Land unter den Nägeln brennt und das bei nicht wenigen Wählern noch als sozialdemokratische Kernkompetenz durchgehen könnte. Vermutlich nicht allein deshalb ist die Stimmung während der Klausur der Landtagsfraktion in Cuxhaven entspannt, teilweise fröhlich.

Der Konflikt um den SPD-Landtagsabgeordneten Jochen Beekhuis, der sich für die Klausur entschuldigt hat, spiele in der Landtagsfraktion keine Rolle, heißt es immer wieder auf Nachfragen am Rande der Klausur. Der Skandal um umstrittene Chat-Inhalte des Auricher Abgeordneten scheint nicht auf die Stimmung zu schlagen.

Stattdessen wird bei der Abendveranstaltung immer wieder der Landtagsabgeordnete Uwe Santjer gefeiert, der am 26. Mai für die SPD bei der Oberbürgermeisterwahl in Cuxhaven gegen den parteilosen Harald Zahrte antritt. „Uwe, Uwe, Uwe“, schallt es immer wieder lautstark durch das Lokal. Und Santjer befeuert es, in dem er die Hand ans Ohr hebt und ruft: „Ich habe Euch nicht gehört!“ Die SPD-Flaggen wehen auf der Strandpromenade draußen im Wind, die Abgeordneten feiern und tanzen nach getaner Arbeit bei der Klausur bis in die Nacht. Berlin ist von Cuxhaven fast 500 Kilometer entfernt. In diesen Tagen, so scheint es, sind die Probleme der Bundespartei für die Niedersachsen-SPD sogar noch viel weiter weg.