In der Debatte um Diesel-Fahrverbote hat die Industrie ungewöhnlich scharfe Kritik an der Landeshauptstadt Hannover geübt. Die Stadt dürfe „keine Puppenstube für verkehrspolitische Experimente“ sein, sagte Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer von Niedersachsenmetall. Laut dem Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Hannover, Horst Schrage, führt die Debatte dazu, dass Unternehmen inzwischen schon die Standortfrage stellen. Hannovers Oberbürgermeister Stefan Schostok und Umweltdezernentin Sabine Tegtmeyer-Dette sehen keine Chance, um Diesel-Fahrverbote in der Landeshauptstadt herumzukommen.

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Für Schmidt verletzen Fahrverbote dagegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Sie seien auch ein schwerwiegender Eingriff in die Rechte Einzelner. „Fahrverbote führen außerdem zu Verkehrsverlagerungen in angrenzende Wohnquartiere. Sie lösen kein Problem, sondern schaffen viele neue Probleme“, sagte Schmidt auf einer Pressekonferenz in Hannover. Man könne auch daran zweifeln, ob überhaupt eine wirksame Kontrolle möglich sei. Schließlich gebe es bei der Polizei offenkundig eine zu hohe Arbeitsbelastung und eine Unterausstattung. Allein die Beamten der Polizeidirektion Hannover schöben derzeit 265.000 Überstunden vor sich her.

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Schrage erklärte, die Debatte habe eine große Unsicherheit bei den Unternehmen zur Folge. „Das führt zum Teil schon jetzt zu der Frage, ob wir an Standorten in Hannover noch so wirtschaften können, wie es bisher der Fall war.“ Über das Verhalten der Stadtverwaltung zeigte sich Schrage irritiert. Die IHK habe schon vor über einem Jahr der Stadt konkrete Vorschläge gemacht. „Wir sind deshalb erstaunt, dass sie sich damit nicht konstruktiv auseinandergesetzt und jetzt einen weiteren Schritt in die andere Richtung unternommen hat.“ Eine Metropole wie Hannover kann sich nach Meinung des IHK-Hauptgeschäftsführers keine Fahrverbote leisten. „Hannover ist die mit Abstand die größte und attraktivste Einkaufsstadt in Niedersachsen mit einem Einzugsbereich, der teilweise über einige hundert Kilometer hinaus geht. Die Zahl der Einpendler liegt jeden Tag bei 175.000 Euro“, betont Schrage.


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„In Hannover reicht offenbar eine Klage der sogenannten Deutschen Umwelthilfe aus, dass die Landeshauptstadt in vorauseilendem Gehorsam weitreichende Eingriffe in die Rechte Einzelner vornimmt, ohne überhaupt eine Gerichtsverhandlung abzuwarten“, wundert sich Schmidt. Das hänge möglicherweise auch mit der Strategie des hannoverschen Umweltdezernats zusammen, den Individualverkehr weiter einzuschränken und Fahrbahnen zurückzubauen. „Es drängt sich für uns der Eindruck auf, dass es der politischen Führung dieser Stadt offensichtlich nicht nur um Grenzwerte, sondern um einen ideologisch motivierten Feldzug gegen den Individualverkehr geht“, sagt Schmidt.

„Keine Puppenstube für verkehrspolitische Experimente“: Horst Schrage (links) und Volker Schmidt bei der Pressekonferenz in Hannover- Foto Tim Schaarschmidt

Er attestierte der politischen Führung der Landeshauptstadt einen „bemerkenswerten intellektuellen Spagat“. Auf der einen Seite lasse sie keine Gelegenheit aus, Hannover als bedeutenden Standort der Autoindustrie zu verkaufen und verweise dabei auf Volkswagen, Continental oder Wabco. Deren Gewerbesteuer und die Lohnsteuer der Beschäftigten trügen maßgeblich zur Finanzierung des städtischen Haushalts bei. Zugleich seien die Verantwortlichen vorne dabei, die Hysterie und Unsicherheit über die Zukunft des Automobils zu schüren – und das in einer Phase, in der eine ganze Industrie durchgerüttelt werde. Schmidt wünscht sich, dass sich Hannover die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt Düsseldorf zum Vorbild nimmt. Dort würden Fahrverbote ausdrücklich abgelehnt. Düsseldorf wolle gegebenenfalls den Rechtsweg beschreiten, weil das Prinzip der Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt sei.

Niedersachsenmetall und IHK Hannover sehen im Streit um Diesel-Fahrverbote auch die Landesregierung in der Pflicht. Sie könne die Landeshauptstadt anweisen, nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts den Klageweg zu gehen. Dann käme der Fall an das Oberverwaltungsgericht Lüneburg. Es könne durchaus sein, dass die Stickoxidwerte bis dahin so weit gesunken seien, dass das Thema schon gar nicht mehr diskutiert werde, meint Schmidt.