Die gute Nachricht vorab: Niedersachsen startet am heutigen Donnerstag in ein neues Schuljahr, das so werden soll „wie vor Corona“, sagt Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD). Die Kinder und Jugendlichen werden allesamt in Präsenz unterrichtet und auch Schulfahrten und andere Aktivitäten können ohne Einschränkungen angeboten werden. Einzig eine auf Freiwilligkeit beruhende Test-Woche bis zum kommenden Mittwoch und die anschließende Möglichkeit, sich zwei Mal pro Woche testen zu lassen, erinnern noch daran, dass bis vor kurzem die Corona-Pandemie die Welt in Atem gehalten hat.

Zwei andere Umstände bereiten dem Kultusminister allerdings Sorgen. Denn zum einen fehlen Lehrkräfte, insbesondere an Haupt-, Real- und Oberschulen im ländlichen Raum. Zum anderen steigt die Zahl der Schüler voraussichtlich um etwa vier Prozent auf rund 875.000. Im vergangenen Schuljahr waren es noch 843.000 Schüler. Besonders groß ist der Zuwachs an den Grundschulen. Dort erwartet man in diesem Schuljahr an die 20.000 zusätzliche Kinder. Allein in den ersten Schuljahrgang werden voraussichtlich 84.000 Kinder eingeschult, 6000 mehr als noch im vergangenen Jahr.

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Ursächlich für den Anstieg ist nach Angaben des Kultusministers die seit 2014 steigende Geburtenrate – eine Entwicklung, auf die man sich habe vorbereiten können und auch vorbereitet habe. Zwei weitere, unerwartete Einflüsse kamen allerdings noch hinzu: Dass in diesem Jahr rund 15.000 Kinder aus der Ukraine nach Niedersachsen geflüchtet sind, und dass im vergangenen Jahr 9600 Kinder von ihren Eltern noch nicht zur Schule geschickt wurden, obwohl die Möglichkeit bestanden hätte, sei langfristig schlicht nicht absehbar gewesen, so Tonne.

„Ob die Anmeldezahlen an den Grundschulen tatsächlich eintreffen, ist mehr als ungewiss.“

Über die tatsächliche Quote zur Unterrichtsversorgung lasse sich derzeit noch nichts sagen. Der entsprechende Stichtag ist erst der 8. September. Prognosen wollte der Kultusminister zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeben, zu viele Variablen seien in diesem Jahr unbekannt. „Vor allem wissen wir nicht, wie viele ukrainische Kinder tatsächlich an den Schulen sein werden. Auch, ob die Anmeldezahlen an den Grundschulen tatsächlich eintreffen, ist mehr als ungewiss“, sagt Tonne. Als Zielmarke gab er allerdings eine Unterrichtsversorgung von 98 Prozent aus.

Kultusminister Tonne (m.) stellt die Pläne für das neue Schuljahr vor. | Foto: Kleinwächter

Um die überraschend gestiegenen Mehrbedarfe kurzfristig bedienen zu können, hat Tonne bereits Ende Juni sein Lehrkräfte-Gewinnungspaket auf den Weg gebracht. Mit Prämien und gelockerten Voraussetzungen für den Quereinstieg sollen mehr Lehrer in den Schuldienst gelockt werden. Insgesamt 1624 neue Lehrkräfte beginnen nun mit dem neuen Schuljahr ihren Dienst an Niedersachsens Schulen. Davon gehen 597 an die Grundschulen, 106 an Haupt- und Realschulen, 216 an Oberschulen, 323 an die Gymnasien, 287 an Gesamtschulen und 91 an Förderschulen. Etwa 80 Prozent der ausgeschriebenen Stellen konnten bislang also besetzt werden, erläuterte der Kultusminister.

Darunter seien auch 122 Quereinsteiger, was einer Quote von sieben Prozent entspreche. Tonne erklärte, im laufenden Besetzungsverfahren wolle er die Zahl der Quereinsteiger gern noch einmal verdoppeln. Zusätzlich zu den neuen Lehrkräften konnte rund 450 Lehrerstellen dadurch ergänzt werden, dass Studenten oder Pensionäre einspringen oder Teilzeitkräfte ihren Stundenanteil erhöhen. Weitere Kapazitäten möchte Tonne künftig dadurch freisetzen, dass Verwaltungsassistenten die Pädagogen von organisatorischen Aufgaben entlasten. Die Diskussion gibt es schon länger, Tonne sagt, er wolle die Frage jetzt nicht mehr länger nur theoretisch debattieren, sondern in der Praxis ausprobieren. Dazu wird das Kultusministerium nun auf 20 interessierte Schulen zugehen und ein Modellprojekt initiieren.

Der Opposition kamen die Weichenstellungen für die Lehrkräftegewinnung zu spät. „Der SPD-Kultusminister hat es versäumt, sich rechtzeitig um Lehrkräfte zu bemühen. Die zusätzlichen 32.000 Schülerinnen und Schüler sind keinesfalls allesamt plötzlich aufgetaucht“, erklärt Björn Försterling, der bildungspolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion.