Die Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Johanne Modder, äußert sich im Interview mit Klaus Wallbaum und Martin Brüning zu kopftuchtragenden Schülerinnen und vollverschleierten Frauen, die im Fernsehen auftreten.

Rundblick:  Frau Modder, die Schülerin in Belm darf weiter einen Schleier mit Sehschlitz im Unterricht tragen, obwohl das doch eigentlich verboten ist. Halten Sie das für richtig?

Johanne Modder: Grundsätzlich halte ich das Tragen eines Niqab in der Schule für falsch und nicht zu akzeptieren.  Belm stellt dabei eine Ausnahme von diesem Grundsatz dar. Um es aber auch ganz klar zu sagen: Diese Ausnahme darf nicht zur Regel werden. Neue Fälle wie den in Belm darf es nach meiner Meinung nicht geben. Die betreffende Schülerin hat den Unterricht über drei Jahre mit einem Niqab besucht, ohne dass der Schulfrieden gestört ist und kann sich daher – leider – auf einen Vertrauensschutz berufen. Würde ihr die Schule das Tragen des Niqab jetzt untersagen, würde die Schule einen anschließenden Rechtsstreit wahrscheinlich verlieren. Mit dieser Aussicht und vor dem Hintergrund, dass die noch schulpflichtige Schülerin nächstes Jahr einen Abschluss erreicht, halte ich die Entscheidung der Schule in diesem ganz besonderen Einzelfall für nachvollziehbar. Der Niqab ist aus meiner Sicht kein Zeichen gelebter Religiosität, sondern eines Verständnisses der Rolle der Frau, welches schwer mit unserem Grundgesetz und seinen Werten vereinbar sein dürfte. Wir haben gerade als Sozialdemokraten lange dafür gestritten, dass Frauen gleichberechtigt sind, dass sie nicht unterdrückt werden, dass es keine religiösen und gesellschaftlichen Zwänge zum Nachteil von Mädchen und Frauen geben darf. Diese Werte gelten für alle Menschen in unserem Land und sind für mich nicht verhandelbar. Symbole wie der Niqab, die die deutliche Ablehnung dieser Werte zum Ausdruck bringen, dürfen nicht zum allgemeinen Erscheinungsbild in einer Schule werden.

„Eine dauerhafte Duldung ist für mich nicht vorstellbar“: Johanne Modder zum Niqab an der Schule

„Eine dauerhafte Duldung ist für mich nicht vorstellbar“: Johanne Modder zum Niqab an der Schule

Rundblick: Wenn die Sache juristisch so schwer zu regeln ist, müsste man dann nicht die Gesetze eindeutiger und klarer regeln?

Johanne Modder: Das Schulgesetz lässt es bereits zu, gegen eine Verschleierung vorzugehen. Sofern eine Schülerin nicht mehr schulpflichtig ist, könnte man sie als härteste Maßnahme sogar von allen Schulen verweisen. In jedem Fall kann man sie zeitweise vom Unterricht ausschließen. Jede Form des vollständigen Ausschlusses vom Unterricht setzt allerdings voraus, dass der Schulfrieden gestört ist.  Aus meiner Sicht ist der Frieden an einer Schule generell gestört, wenn eine Mitschülerin dort mit einem Niqab am Unterricht teilnehmen möchte. Wir können die Aufgabe der Wahrung des Schulfriedens nicht auf die betroffenen Schülerinnen und Schüler oder auch die Lehrerinnen und Lehrer verlagern. Unsere Verantwortung für diese gebietet, auch in deren wohlverstandenen Interesse ohne konkrete Beschwerden im Einzelfall zu handeln. Im Ergebnis muss Folgendes deutlich werden: Auch wenn es natürlich geboten ist, erzieherisch auf ein den Niqab tragendes Kind einzuwirken, muss am Ende des Prozesses entweder das Ablegen desselben oder – in letzter Konsequenz – der zumindest zeitweilige Verweis von der Schule stehen. Eine dauerhafte Duldung ist für mich nicht vorstellbar.

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Rundblick: Sind wir hierzulande zu tolerant gegenüber Muslima, die verschleiert sind? Müssten wir nicht strenger durchgreifen?

Johanne Modder: Wir haben beispielsweise in Frankreich das Burkaverbot im öffentlichen Raum, das dort auch durchgesetzt wird. Das ist in Deutschland verfassungsrechtlich nicht möglich. Der Staat kann letztlich seinen Bürgerinnen und Bürgern nicht vorschreiben, welche Kleidung sie in der Öffentlichkeit zu tragen haben. Populistische Forderungen in diese Richtung erwecken Erwartungen, die nicht erfüllt werden können. Innerhalb einer Schule gibt es allerdings Handlungsmöglichkeiten, wie ich bereits dargestellt habe. Dort bedarf es zukünftig klarer Entscheidungen, um die Grenzen der Toleranz aufzuzeigen. Dasselbe gilt übrigens auch für sonstige Situationen, die von der Öffentlichkeit abgrenzbar sind. Eine Burka oder einen Niqab halte ich auch an einer Universität oder in einem Gericht für nicht dauerhaft zu dulden. Einen gesellschaftlichen Konflikt wird man allerdings am Ende nicht mit Verboten gewinnen. Deswegen können Verbote immer nur das letzte Mittel sein. Ich sehe es als unsere gesamtgesellschaftliche Verantwortung an, im Dialog unser Verständnis von Gleichberechtigung und dem Leben in einer freien, demokratischen Gesellschaft deutlich zu machen. Klar ist aber auch: Eine Integration neuer Bürgerinnen und Bürger, die stets von beiden Seiten ausgehen muss, wird durch Symbole wie den Niqab für die Betroffenen unmöglich gemacht. Andere Muslime, die den Niqab selber ablehnen, werden oftmals durch populistische Parteien in Sippenhaft genommen. Sie bekommen womöglich eine Ablehnung der Mehrheitsgesellschaft zu spüren, welche sie hilflos zurück lässt. Genau diese Spaltung zwischen der Mehrheitsgesellschaft und den in Deutschland lebenden und zumeist gut integrierten Muslimen ist Ziel radikaler Islamisten. Dem müssen wir uns entschlossen entgegenstellen.

Burka

Rundblick: Der Auftritt einer Frau mit Niqab bei „Anne Will“ hat hohe Wellen geschlagen. War es richtig, dieser Frau, die noch dazu islamistische Propaganda verbreitet hat, im Fernsehen ein Forum zu geben?

Johanne Modder: Ich habe mir die Sendung nur teilweise angesehen, weil es nicht mehr ertragen konnte und ich mich sehr geärgert habe. Das ist ein fatales Bild, das damit ausgesendet wird. Und ich kann mir vorstellen, dass auch hier lebende, gut integrierte Muslime bei diesem Anblick ein Störgefühl haben. Wir müssen uns alle die Frage stellen, wie weit darf unsere Toleranz gehen, wenn wir intoleranten Menschen gegenübertreten? Und diese Teilnehmerin der Talk-Show hat intolerante Positionen vertreten. Eine völlig verschleierte Frau im öffentlich-rechtlichen Fernsehen kann ich nicht akzeptieren.

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Rundblick: Nehmen Sie wahr, dass viele Menschen verunsichert sind, wenn Vollverschleierung in der Öffentlichkeit toleriert wird?

Johanne Modder: Ich habe Verständnis dafür, dass der Anblick Vollverschleierter Verunsicherung auslöst. Wir sind eine offene Gesellschaft und dafür trete ich als Sozialdemokratin jeden Tag ein. Dazu gehört für mich, dass wir uns als Teile dieser Gesellschaft auch offen gegenübertreten. Symbole, die den Werten unseres Grundgesetzes entgegenstehen, sind daher nachvollziehbar Grund für Verunsicherung.