Von Martin Brüning

Olaf Meinen, der neue Landrat des Landkreises Aurich ist gekommen, ebenso aus dem Kreis Wittmund Landrat Holger Heymann. Sie sitzen auf den Besucherplätzen des Landtags wie auch Emdens neuer Oberbürgermeister Tim Kruithoff, Aurichs Bürgermeister Horst Feddermann und der SPD-Bundestagsabgeordnete Johann Saathoff aus Emden.

An diesem Dienstagmorgen geht es im Landtag nicht nur um 1500 Beschäftigte, deren berufliche Zukunft bei Enercon in Aurich düster aussieht. Es geht um einen Arbeitsplatzabbau, der die ganze Region hart treffen wird, wie CDU-Fraktionsvize Ulf Thiele, dessen Wahlkreis in Leer liegt, in der Debatte sagt. Und es geht um eine Branche, die in Deutschland auf der Kippe steht. „Wenn es so weitergeht, wird es in Zukunft keine deutsche Windindustrie mehr geben“, warnt Ministerpräsident Stephan Weil in seiner Regierungserklärung. An diesem Dienstag kommt im Landtag alles aufs Tableau, was zur Energiewende gesagt werden muss. Was schiefgelaufen ist, wo die Probleme liegen und was verändert werden muss.

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Die Bestandsaufnahme:

Ist die Lage von Enercon allein das Problem einer verfehlten Konzernstrategie oder ist sie symptomatisch für die gesamte Branche? Fakt ist: Im Jahr 2017 hat Enercon noch 711 Anlagen aufgebaut, im vergangenen Jahr waren es nur noch 65. So rechnet es Wiard Siebels, Parlamentarischer Geschäftsführer und selbst aus Aurich, den Landtagskollegen vor. Aber Enercon ist mit seinen Problemen nicht allein. Der Markt für die Windindustrie sei im Grunde genommen zusammengebrochen, stellt Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil fest.

Wenn es so weitergeht, wird es in Zukunft keine deutsche Windindustrie mehr geben.

In den vergangenen drei Jahren seien in der deutschen Windindustrie mehr als 40.000 Arbeitsplätze abgebaut worden – fast doppelt so viele, wie es überhaupt in der Braunkohleindustrie gebe. Für die Grünen trägt die aktuelle Politik dabei die meiste Schuld. Die Bundesregierung und das CDU-geführte Bundeswirtschaftsministerium hätten die Energiewende sehenden Auges und ohne Rücksicht auf Arbeitsplatzverluste vor die Wand gefahren, sagt Grünen-Fraktionschefin Anja Piel und spricht von „bundespolitischen Schikanen“. Die falsche Politik werde noch von der niedersächsischen Landesregierung sekundiert. „In Berlin wird eine klimafreundliche Klimaversorgung mit Ansage kaltgestellt, und die Große Koalition in Niedersachsen entwickelt nicht die Kraft, dort auf den Tisch zu hauen“, schimpft Piel.


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Auch Stephan Weil sieht Gründe für die Probleme im Systemwechsel in der Energiepolitik, von festen Fördersätzen hin zu Ausschreibungen und einem Zuschlag für das günstigste Angebot. Zudem entwickelten sich Windparkprojekte immer mehr zu einem Hindernislauf. Neben den wirtschaftlichen Schwierigkeiten sorgt im Fall Enercon aber auch das Verhalten der Geschäftsführung für Frust. „Die Kaltschnäuzigkeit, mit der das Enercon-Management bei dieser zweiten Entlassungswelle vorgeht, macht mich traurig und wütend“, sagt der CDU-Abgeordnete Ulf Thiele. In der Debatte zeigt er das Firmengeflecht von Enercon auf und spricht von Zuliefererbetrieben, die in Wahrheit Töchter von Enercon sind. „Die könnten ohne Zustimmung der Enercon-Spitze nicht einmal einen Bleistift bestellen, sagen Mitarbeiter“ , berichtet Thiele.

Die Lösungen:

Weil präsentiert in der Debatte einen 10-Punkte-Plan und spricht sich für den Neustart in der Energiewende aus. Für ihn steht fest: Ohne erneuerbare Energie gibt es keine Energiewende und damit auch keinen Klimaschutz. Es gehe jetzt darum, Farbe zu bekennen. „Reden wir nur über Klimaschutz, oder handeln wir auch?“ Sonderausschreibungen für die nächsten beiden Jahre, Modernisierung von bestehenden Anlagen unter erleichterten Bedingungen, direkter Nutzen von Windpark-Nachbarn – zum Beispiel durch vergünstigte Grünstromtarife, das sind Punkte, die auf Weils Liste stehen. Man könne auch Konzessionsabgaben einführen, fügt Weil hinzu. „Es wird keinen wirksamen Klimaschutz geben können, wenn alles beim Alten bleibt. Wir werden mehr Windräder an Land akzeptieren müssen“, betont der Ministerpräsident.

Die 1000-Meter-Abstandsregelung ist der letzte Todesstoß für die Windbranche.

Für die Grünen muss der bisher von der Bundesregierung geplante Mindestabstand von 1000 Metern bei der Windenergie verhindert werden. Der frühere Umweltminister Stefan Wenzel nennt diese Pläne „bösartig“. „Da könnten sie die ganze Chemieindustrie in Deutschland platt machen, wenn man solche Regeln dort einführen würde“, ruft Wenzel. Auch Imke Byl von den Grünen hält die Regelung für den „letzten Todesstoß für die Windbranche“ und warnt vor einem faulen Kompromiss zwischen Union und SPD, bei dem man am Ende bei 950 Metern Abstande lande. Jede neue pauschale Abstandsregel müsse ausgeschlossen werden. In Bezug auf die Enercon-Krise in der Region fordert die FDP-Abgeordnete Hillgriet Eilers aus Emden einen „Ostfriesland-Plan“, der die Region beim Strukturwandel unterstützen soll.

Die Konflikte:

Der FDP-Fraktionsvorsitzende Stefan Birkner warnt davor, die Krise der Windkraft mit noch mehr Planwirtschaft zu lösen, durch die das Problem seiner Meinung überhaupt erst entstanden ist. Es brauche vielmehr „wettbewerbliche Systeme“, damit die Branche eine Zukunft habe und nicht „von schlechten politischen Entscheidungen abhängig“ sei.

Birkner kritisierte Weils Regierungserklärung scharf. Es sei ein Kurzschluss, die Windenergiepolitik mit der Klimapolitik gleichzusetzen. Weil versuche das Thema damit moralisch zu erhöhen und diejenigen mit kritischen Tönen mundtot zu machen. So ließen sich dann weitere Planwirtschaft, keine festen Abstandsregelungen und die Relativierung des Nachbarschaftsschutzes und weniger Artenschutz begründen. „Wir befürchten, dass man so Klimapolitik instrumentalisiert, um ganz andere Interessen zu verfolgen. Damit diskreditiert man die Klimapolitik letztendlich und versucht, eine Art ‚Klimaabsolutismus‘ voranzubringen“, so Birkner.

Für Stefan Wirtz von der AfD ist die Solidarität der Abgeordneten mit den Enercon-Beschäftigten ohnehin nicht viel wert. Die Windenergie sei insgesamt ein Misserfolg, und es sei ein Armutszeugnis der Politik, Windräder künftig den Menschen „praktisch in den Vorgarten“ setzen zu wollen. Die Windenergiebranche verglich er mit der Asbest-Industrie, die sich vor Jahrzehnten zum Entsorger gewandelt habe. Auch die Windkraftunternehmen sollten sich nach Wirtz‘ Meinung auf Abbau und Wartung spezialisieren.

Gibt es keinen Kurswechsel, könnte die Politik dieses AfD-Szenario sogar selbst organisieren. Für Stephan Weil ist die Zukunftsperspektive der Branche derzeit miserabel. Um das zu ändern, müssten die aktuellen Bremsen gelöst werden. Weil will bei der Energiewende jetzt Tempo machen. Sein Credo: Im Zweifel für die erneuerbaren Energien.