Professor Eberhard Hartung erinnert sich noch sehr gut daran, wie die Technik langsam aber stetig mehr wurde auf den Höfen. Zu Anfang ging es um die Frage, wann die Tiere gefüttert werden sollten, berichtete der Wissenschaftler vom Institut für landwirtschaftliche Verfahrenstechnik von der Uni Kiel. Danach kamen Beschleunigungssensoren hinzu, die ermittelten, ob das Verhalten eines Tiers von der Norm abwich. Nimmt die Kuh oder das Schwein an Gewicht zu? Wie entwickeln sich die Proportionen?

Neue Technologien können dem Landwirt auch wieder mehr Zeit für ihre Tiere ermöglichen, hoffen Forscher – Foto: funkydata / Getty Images

Dann kamen optische Sensoren, die beispielweise die Milch am Euter nach Verunreinigungen untersuchen und unterschieden, ob es Dreck war oder das Anzeichen für eine Erkrankung. Prof. Hartung schilderte diese Entwicklungsschritte der bäuerlichen Digitalisierung kürzlich bei einer Digitalveranstaltung der Volkswagenstiftung, die eigentlich als Teil der Herrenhäuser Gespräche in Hannover stattfinden sollte. Im Mittelpunkt stand die Frage, ob und wie Künstliche Intelligenz (KI) dem Tierwohl nützen kann. Doch ist das, was Prof. Hartung da beschrieb, eigentlich schon Künstliche Intelligenz?

Ist ein Melk-Roboter schon KI?

Jemand, der täglich mit diesem Begriff zu tun hat, ist Prof. Joachim Hertzberg vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz in Osnabrück. Für ihn ist KI alles, „was aus der Informatik kommt, mit Daten umgehen kann und daraus Schlüsse zieht.“ Sein Paradebeispiel für den Agrarbereich ist dabei der Melk-Roboter beziehungsweise das Melk-Karussell. Dabei handelt es sich um eine Vorrichtung, in die die Kuh einfach hineingehen kann, wenn sie das möchte.

Bis dahin wäre es nur eine technische Vorrichtung, die Intelligenz kommt dann ins Spiel: Wenn die Kuh zum Melken kommt, ist der Euter nicht ganz sauber. Außerdem ist nicht jede Kuh gleich gebaut, sie stehen unterschiedlich, die Lichtverhältnisse variieren und trotzdem muss der Roboter so andocken, dass die Kuh das mag – kurzum: So ein Melkroboter ist mit ganz schön vielen Unsicherheiten konfrontiert. Für Prof. Hertzberg ist genau das dann KI: das Erfassen und vor allem Verarbeiten von Daten, um dann mit unsicherem Wissen umgehen zu können.

Eine Software unterscheidet jedes Schaf wie sonst nur ein Schäfer

Einen jüngeren Blickwinkel ergänzte Prof. Admela Jukan vom Institut für Datentechnik und Kommunikation an der TU Braunschweig. Sie sagte, was Prof. Hertzberg ausgeführt hatte, sei zunächst eine klassische Methode und nicht besonders neu. Was nun an Innovation hinzukomme und künftig immer mehr werde, seien Systeme mit KI-Verfahren, die dabei helfen, dass Menschen und Tiere besser miteinander kommunizieren können. Prof. Hertzberg stimmt ihr zu: Was sich nun durch die fortschreitende Digitalisierung ändern werde, sei die Vernetzung – auch zwischen den Maschinen.

Durch größere Rechenleistung und mehr Daten, die immer mehr Sensoren und Maschinen miteinander teilen, könnte schon heute eine individuelle Erkennung aller Tiere möglich sein, vergleichbar mit der Gesichtserkennung beim Menschen. Die Software kann künftig also jedes einzelne Schaf erkennen und theoretische beim Namen rufen, wie es einst nur der Schäfer konnte.

Endlich wieder mehr Zeit für das Tier im Stall

Wird der Landwirt also bald überflüssig? Die Antwort von Prof. Hartung auf diese Frage war ein klares Nein. Der Landwirt sei und bleibe das Maß aller Dinge, auf ihn komme es auch in Zukunft an. „Künstliche Intelligenz soll kein Ersatz sein, sondern dem Menschen helfen“, antwortete der Wissenschaftler allgemein und konkretisierte: „Sie soll dem Tierhalter ermöglichen, Dinge früher zu erkennen als wir das bislang machen können.“ Zudem entlaste die Künstliche Intelligenz den Bauern auch von lästigen Aufgaben und schaffe so erst die Möglichkeit, sich noch besser um die Tiere direkt zu kümmern.

Eine Entfremdung vom Tier fürchtet Prof. Hartung deshalb auch nicht. Eher im Gegenteil: Der Landwirt kann und will noch mehr wissen. Gerade auf großen Betrieben stelle sich vermehrt die Frage, wie man sinnvoll mit seiner Arbeitszeit umgehe. Prof. Hartung glaubt, dass Anwendungen der Künstlichen Intelligenz sogar dazu führen können, dass der Bauer wieder mehr Zeit im Stall verbringt – statt am Schreibtisch, um zahlreiche Dinge zu dokumentieren. Gleichzeitig kann der Landwirt aber auch jene Tiere im Blick behalten, die nicht in Sichtweite sind, weil sie etwa entfernt auf der Weide grasen. Früher habe man dafür zur Kontrolle nur das Läuten der Kuhglocken gehabt, sagte er: Wenn die nicht mehr zu hören waren, gab es ein Problem.

Prof. Nicole Kemper von der Tierärztlichen Hochschule Hannover (TiHo) pflichtet Prof. Hartung bei. Auch sie glaubt nicht daran, dass die KI den Menschen im Stall je wird ersetzen können. Aus der Perspektive der Tierärztin betonte sie, dass all die Daten, die durch Sensoren und KI generiert werden, ohne die Beurteilung des Menschen auch nichts taugten. Als Beispiel führte sie später noch das Problem des Schwanzbeißens bei Schweinen an. Um zu vermeiden, dass die Tiere sich gegenseitig verletzten, und diese dann an den Wunden erkrankten, hat man den Ferkeln lange Zeit die Ringelschwänze abgeschnitten. KI-Anwendungen können nun dabei helfen, diesen Tick des Schwanzbeißens in einem Schweinestall frühzeitig zu erkennen. Hier mache eine kamerabasierte Auswertung sehr viel Sinn, sagte Prof. Kemper. Doch nach den Ursachen müsse immer noch ein Mensch forschen und dann versuchen, dieses Verhalten abzustellen.

Von Niklas Kleinwächter